REUTLINGEN. Immense Polizeipräsenz sorgte am Mittwochvormittag für Aufsehen in Reutlingen. Rund 150 Bereitschaftspolizisten aus Bruchsal sowie Bundespolizisten aus Leipzig waren angerückt, um den »Langen Marsch der Kurden« abzusichern, der an diesem Tag durch Reutlingen zog. Organisiert wird dieser Marsch von der kurdischen Jugend. Rund 150 Teilnehmer laufen sechs Tage lang durch Städte in Süddeutschland. Start war am Sonntag in Heilbronn, die Aktion in Reutlingen fand am vierten Demo-Tag statt. Ziel ist Freiburg. Die Kurden fordern die Freiheit von Abdullah Öcalan, dem in der Türkei inhaftierten Führer der Arbeiterpartei Kurdistans. Die PKK ist unter anderem in den USA, in den Staaten der EU und der Türkei als Terrororganisation eingestuft.
Mit dem Marsch soll Druck auf die deutsche Öffentlichkeit ausgeübt werden, sagte die 21-jährige Rosa Müller aus Berlin, eine Sprecherin der Aktion. Die Kurden fordern, dass EU-Staaten wie Deutschland Einfluss auf die Türkei nehmen, und dass auf diese Weise Öcalans Haftbedingungen verbessert werden oder er sogar freikommt. Müller selbst ist keine Kurdin, zählt sich aber zum linken, antifaschistischen Spektrum. Auch aus Tübingen waren mehrere Antifa-Mitglieder zum Marsch nach Reutlingen gekommen. Die Kurden und die Antifa vereinen viele Ziele, so ein junger Mann, der eine rote Fahne schwang: Gleichberechtigung von Mann und Frau, Überwindung des Kapitalismus und ein friedliches Zusammenleben aller Ethnien und Religionen.
Forderung: Freiheit für Öcalan
Kurdenführer Öcalan ist sehr umstritten. Zum einen hat er sich schon seit den 1990er-Jahren für Frauenrechte starkgemacht. Seine Anhänger sehen ihn als »Vordenker eines neuen Sozialismus des 21. Jahrhunderts«, wie die Berlinerin Rosa Müller dem GEA gegenüber sagte. Auf der anderen Seite hat sich Öcalan aber immer wieder antisemitisch geäußert. Auch hat er Morde an Dissidenten in Auftrag gegeben und zu Terroranschlägen aufgerufen.
Wohl wissend, dass ein Aufeinandertreffen von Kurden und nationalistisch gesinnten Türken in Gewalt münden kann, wurde der Marsch am Mittwoch von Beginn an von einer immensen Polizeipräsenz begleitet.
Auf der Karlstraße, Höhe Silberburgstraße, kam es dann nach rund 20 Demo-Minuten zur ersten Auseinandersetzung. Aus einem Auto heraus, das auf der Gegenfahrbahn an der Ampel stand, zeigte ein Mann den Wolfsgruß. Die Nerven einiger Demo-Teilnehmer gingen daraufhin durch, es gab ein heftiges Gerangel. Nur mit Mühe konnten die heranstürmenden Bereitschaftspolizisten eine größere Auseinandersetzung verhindern. Ähnliche Situationen wiederholten sich.
»Ja, es gab hier in Reutlingen mehr Provokationen, als an den Marsch-Tagen zuvor«, bilanzierte der Bruchsaler Polizeidirektor Michael Wernthaler am Ende des Tages. »Auch die Demonstranten haben deutlich gewaltgeneigter reagiert.« Wie blank die Nerven bei den Kurden lagen, zeigte sich, als die Demo auf Höhe des franz.K stoppte. Türkische Passanten unterhielten sich unweit von den Kurden über die Preise für Babynahrung in Deutschland. Dabei fiel laut Wernthaler der Satz »Das hätte es in der Türkei nicht gegeben, so einen teuren Preis«. Den ersten Teil dieses Satzes münzte ein Kurde offenbar auf den Kurdenmarsch. Es gab eine Schlägerei, ein Demo-Teilnehmer trat einer schwangeren Frau in den Bauch. Später wurden die Kurden aus Autos heraus von offenbar türkischstämmigen Menschen gefilmt und warfen daraufhin Plastikflaschen auf die Gefährte. (GEA)