REUTLINGEN. Was sich beim städtischen Pressegespräch am Mittag gezeigt hatte, wiederholte sich am Mittwochabend im Spitalhof beim Podium der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft: Ein sicht- und hörbar aufgebrachter Sozialbürgermeister Robert Hahn war angetreten, um die Pläne der Stadt zu einem sechsten Gymnasium, dann in privater Trägerschaft, zu verteidigten. Vor einem Publikum, das mehrheitlich aus Projektgegnern bestand.
Hahn präsentierte die Rechnung der Stadt. Er verteidigte die Pflicht zur Teilnahme am evangelischen Religionsunterricht: »Das ist ja keine missionarische Veranstaltung.« Er betonte, dass auf privaten Gymnasien keineswegs eine »Elite« lerne, das lasse sich durch Abi-Schnitte belegen. Außerdem befand er, dass sich nicht Schulen die Schüler aussuchen. Sondern dass Eltern wählen: »Das List-Gymnasium ist ja bekannt dafür, dass leistungsorientierte Eltern ihre Kinder dort anmelden.«
Auf der anderen Seite ging’s – mit Ausnahmen – nicht weniger sicht- und hörbar emotional zur Sache. Carola Reinmuth, Vorsitzende des Fördervereins Isolde-Kurz-Gymnasium, warf der Stadt vor: »Ein privater Träger erhält Millionen, während die Fördervereine kaum Mittel bekommen.« Es sei nicht mehr tragbar, dass die Arbeit der Fördervereine nur durch riesiges Engagement Ehrenamtlicher aufrechterhalten werden könne.
Besonders zerschnitten scheint das Tischtuch beim Thema evangelisches Gymnasium zwischen Bürgermeister Hahn und Dr. Günter Ernst, dem Geschäftsführenden Schulleiter der Gymnasien. »Jede Kröte« habe man in puncto Sparkurs der Stadt geschluckt, so ein aufgebrachter Ernst in Richtung Hahn. Mit den neuen Plänen scheint das Fass nun aber übergelaufen zu sein. Ernst äußerte die Angst, dass bildungsnahe Familien zum evangelischen Gymnasium abwandern. Und dass somit auch den Fördervereinen – einem essenziellen Baustein der Reutlinger Schulpolitik – die Ehrenamtlichen wegbrechen. Eine Zuhörerin berichtete, dass Privatschulen keineswegs alle Schüler aufnehmen würden: »Ich bin Mutter einer behinderten Tochter. Diese wollte ich an Privatschulen unterbringen. Alle haben dankend abgelehnt.«
Am Ende das Abends war zumindest so viel klar: Diese Diskussion dürfte nicht dazu beigetragen haben, die Gräben zuzuschütten und die Gegner des sechsten Gymnasiums zu überzeugen. Es wurde vielmehr deutlich, dass die Fronten verhärtet sind: Am Diskussionsstil und an manch’ einem hämischen Lacher, der bei den Ausführungen der Befürworter aus dem Publikum ertönte. Was ebenso klar ist: Der Otto Normalbürger geht in der Zahlen-Schlacht zwischen Gegnern und Befürwortern des Privatgymnasiums hilflos unter. Beide Seiten legen ihre Berechnungen jeweils überzeugend dar. Doch die Materie ist so kompliziert, dass man sie ohne Verwaltungserfahrung kaum komplett durchdringen kann. (GEA)