REUTLINGEN. Eben noch vergießt das Kind bittere Tränen, scheint untröstlich über den Tod eines geliebten Menschen. Es klingelt. Der Spielkamerad steht vor der Tür. Ein paar Minuten später tollt dasselbe Kind ausgelassen beim Fußballspielen auf dem Bolzplatz umher. »Von Pfütze zu Pfütze springen« nennen Trauerexperten das Phänomen des Stimmungswechsels, der »die Seele gesund erhält« – und den sich traurige Erwachsene oft verwehren.
»Von Kindern können wir trauern lernen. Sie können Trauerpausen machen«, erklärt Dietmar Stooß beim Pressegespräch in der Reutlinger Oberlinstraße. Er koordiniert beim Ambulanten Hospizdienst Reutlingen den Bereich Kinder- und Jugendtrauer. Seit zehn Jahren gibt es dort die »Trauergruppe für Kinder im Landkreis Reutlingen«. Demnächst startet ein neuer Kurs.
Der oben genannte Umgang darf nicht darüber hintäuschen, dass Kinder oft besonders unter der Situation daheim leiden. Trauerbegleiterin Heike Schneider ist von Anbeginn des Kursangebots dabei. Sie weiß: Die neue Situation wird als »existenziell bedrohlich« empfunden. Das Kind erleidet, was Schneider als »doppelten Verlust« bezeichnet: Stirbt ein Elternteil oder eines der Geschwister, sind Vater und/oder Mutter oft von der eigenen Verlustbewältigung absorbiert. Das lebendige Kind gerät aus dem Fokus der Eltern. Hinzu kommt, dass sich viele Kinder bemühen, Vater und/oder Mutter nicht durch eigene Ansprüche zusätzlich weiter zu belasten.
Die Wahrnehmung der Erwachsenen »Mein Kind trauert nicht«, ist falsch, weiß die Expertin. Jedes Kind leide, wenn es einen geliebten Menschen verliere. Aber: »Kindern trauern nur krass anders.« Und zeigen dabei bisweilen wenig nach außen.
» Du darfst weinen. Du darfst aber auch wütend sein«
Die Betroffenen außerhalb der Familie ein Stück weit aufzufangen, ist Ansatz der speziellen Trauergruppe. Viele Kinder mögen es auch nicht, in der Schule auf ihren Kummer angesprochen zu werden. Zugleich tue sich die Gesellschaft insgesamt mit dem Tabuthema Tod schwer. Die Kinder sind allein mit ihrem Schmerz.
Im geschützten Raum der Gruppe mit Gleichbetroffenen sollen sie sich sicher fühlen und zugleich gesehen. »Wie du trauerst, ist richtig. Du darfst weinen. Du darfst aber auch wütend sein«: Die Kinder sollen »Bestärkung in ihrem Sein« erleben, erläutert Heike Schneider.
Dabei helfen Videos, Bilderbücher, Spiele, Sport und etwas zum Naschen. Die Kursteilnehmer können, wenn sie möchten, über ihre Gefühle sprechen. Zentral ist jedoch laut Schneider kreative Arbeit. Mit Ton, Speckstein, in Holz oder auf Leinwand kann Schmerz ohne Worte Ausdruck finden.
Neue Kindertrauergruppe ab März
Am 16. März beginnt eine neue kostenfreie Trauergruppe für Kinder in der Oberlinstraße 16 in Reutlingen. Am Samstag, 2. März, 14 Uhr gibt es dazu einen Infonachmittag für Eltern (Telefonische Anmeldung über 07121 278463 oder per Mail info@hospiz-reutlingen.de). Die Termine sind sieben Mal (16. März, 20. April, 11. Mai, 8. Juni, 20. Juli, 21. September und 19. Oktober) jeweils samstags 14 bis 16.30 Uhr. Zwölf Plätze sind vorhanden. Die Gruppe wird gegebenenfalls nach Alter gesplittet. Das Angebot richtet sich an Kinder zwischen 8 und 16 Jahren, die den Tod eines geliebten Menschen verkraften müssen: Das können Familienangehörige, aber auch ein vertrauter Nachbar sein, den das Kind vermisst. Auch jüngere Kinder bekommen in der Oberlinstraße Hilfe, dann aber eher in Einzelbegleitung. »Wir weisen keine Trauernden ab«, verspricht Katja Badstöber, die Geschäftsführerin des Ambulanten Hospizdienstes im Landkreis Reutlingen. Unter dessen Dach läuft das Angebot für die Kinder seit nunmehr zehn Jahren – von Spenden getragen. (igl)
Spendenkonto: Kennwort: Kindertrauer, KSK Reutlingen, IBAN: DE19 6405 0000 0000 0865 74
Die Teilnahme am Kurs stelle eine »hohe Hürde« dar, weiß Dietmar Stooß. Doch die gemeinsame Trauerarbeit trägt Früchte: Die Kinder begännen, sich gegenseitig an die Hand zu nehmen, es entstünden Freundschaften.
Erstmals wird dieses Jahr zu den Kurszeiten ein »Elterncafé« angeboten, ein Angebot für die Erwachsenen sich auszutauschen, während der Nachwuchs im Kurs ist. Die Begleitung der Kinder ist eine »Investition« in die Zukunft. Viele Erwachsene laufen mit unverarbeiteter Trauer aus ihrer Kindheit umher. Neue Verlusterfahrungen triggern und kumulieren mit den alten Gefühlen, weiß der Sozialarbeiter Dietmar Stooß.
Die Hilfe wird gut angenommen. Für die wichtige Arbeit gibt es jedoch keine öffentliche Gelder. »Die Trauerarbeit ist nicht refinanziert«, berichtet Katja Bad-stöber, die Geschäftsführerin des Ambulanten Hospizdienstes, unter dessen Dach und Koordination die Kurse stattfinden. So arbeiten die 20 Trauerbegleiterinnen und Begleiter nach einer umfangreichen Ausbildung ehrenamtlich.
»Unsere Trauerarbeit ist nicht refinanziert«
Heike Schneider gehört zum Dreierteam, das ab März die neue Gruppe leiten wird. Seit Gründung des Angebots vor zehn Jahren ist die Mutter von vier Kindern dabei. »Die Arbeit hat meine Sicht auf das Leben verändert«, sagt die 59-Jährige zur Motivation für ihr Engagement. »Dankbarkeit und Zufriedenheit« beschere ihr die Tätigkeit. Von Kindern könne man lernen, den Moment zu genießen und aus dem Verlustschmerz wieder herauszukommen. Ebendies ist ist laut Dietmar Stooß eine Falle der Erwachsenen: »Sie versinken oft in ihrer Trauer.« Was nicht heißen soll, dass man Gefühle unterdrücken sollte. Denn darin sind sich beim Pressegespräch alle einig: »Gegen Trauer hilft nur trauern.« (GEA)