REUTLINGEN. Gute Idee – wurde nur von der aktuellen Lage überrannt: Das Konzept für ein Haus der Kulturen/Bürgerhaus, das die Stadtverwaltung dem Reutlinger Gemeinderat am Dienstag bei einer wegen der Coronapandemie in die Stadthalle verlegten Sitzung vorstellte, erhielt viel Lob von den Fraktionen. Doch ob das Projekt in absehbarer Zukunft auch finanzierbar ist? Und ob es Sinn macht, gerade jetzt nach einem passenden Gebäude zu suchen? Angesichts der sich zuspitzenden Haushaltslage meldeten manche Stadträte da Zweifel an. Die große Mehrheit setzte dennoch grundsätzlich einen Haken dran. Über die konkrete Umsetzung wird der Gemeinderat bei den Haushaltsberatungen 2021/2022 entscheiden.
Lediglich die Vertreter der AfD verweigerten dem Konzept für ein Haus der Kulturen und der Begegnung aller Bürger komplett die Zustimmung. Ingo Reetzke sagte: »Das Projekt macht Sinn«, aber er sehe in absehbarer Zeit keine Finanzierbarkeit. Die Stadt müsse sich jetzt »auf ihre Kernaufgaben konzentrieren«.
»Das Konzept ist in der Schublade gut aufgehoben«
Er unterstützte den Antrag zur Geschäftsordnung von Karin Villforth (CDU), den dreiteiligen Beschlussvorschlag der Stadtverwaltung in drei Beschlüsse zu trennen. Villforth betonte, sie stehe hinter dem Konzept, habe aber Probleme mit dem Zeitplan. »Ein Suchlauf nach einem geeigneten Standort und Objekt braucht Zeit und Personal, und das sehe ich momentan nicht.« Ihrer Meinung nach ist das Konzept in der Schublade gut aufgehoben: »Man kann es jederzeit herausnehmen und muss es nicht verstauben lassen.«
In einem 28-seitigen Entwurf hatte das Amt für Integration und Gleichstellung unter Leitung von Sultan Plümicke das Wesen und die Funktionen des Projekts herausgearbeitet. Sie erinnerte das Gremium daran, dass dafür viele Impulse aufgegriffen wurden, Bürger, Migrantenorganisationen und Fachleute beteiligt waren. Eine Delegationsgruppe hatte drei Städte besucht, um ähnliche Einrichtungen zu vergleichen.
Erfahrungen in anderen Städten hätten gezeigt, dass für ein solches Haus der Kulturen mindestens 800 Quadratmeter Fläche benötigt werden – für Begegnungen, Feiern, Veranstaltungen, Themenwochen, Spiele, Bildungsangebote und einen offenen Bereich mit Café. Es soll möglichst zentral gelegen und gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein. Der Veranstaltungsbereich soll laut Entwurf (bestuhlt) Platz für 200 Menschen bieten. Es brauche einen Hausmeister, Mitarbeiter für die Öffentlichkeitsarbeit, einen Geschäftsführer. Getragen werden soll das Vorhaben von einem Verein, wobei die Stadt dauerhaft die Grundfinanzierung in Form eines Zuschusses sichern soll. Man rechne für Miete, Nebenkosten und Personal mit Kosten in Höhe von einer halben Million Euro pro Jahr.
»Integration ist oft nicht so positiv besetzt«, sagte Plümicke. Doch ein Bürgerhaus könne einen Beitrag dazu leisten, dass Begegnung auf Augenhöhe passiert und Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen voneinander lernen. Ein solcher »Leuchtturm der Internationalität und der kulturellen Vielfalt« zahle auch auf die »Marke Stadt Reutlingen« als positiver Standortfaktor ein.
Uneingeschränkte Unterstützung erhielt »die glückliche Sache« von Njeri Kinyanjui (Grüne und Unabhängige). »Der Weg vom Gastarbeiter zum Bürger der Stadt ist lang«, sagte sie. Es sei eine gute Nachricht für Reutlingen und eine Win-win-Situation, wenn Migrantenorganisationen mit ihrer Arbeit »aus den Hinterhöfen und Wohnzimmern« in die Öffentlichkeit rücken. Das Projekt habe im vergangenen Jahr eine Dynamik erfahren – »dabei sollte es bleiben«.
Auch die SPD zeigte sich »im Ganzen vom Konzept überzeugt«. Helmut Treutlein stimmte auch der Standortsuche zu: »Sonst hat man ja keine Entscheidungsgrundlage.« Das Projekt soll seiner Meinung nach »auch in schwierigen Zeiten Wirklichkeit werden. Wir sagen Ja zum Bürgerhaus« als Ort der Demokratie, der Verständigung und Gemeinsamkeit.
»Der jetzige Zeitpunkt ist suboptimal«
Für Sarah Zickler (FDP) ist das Bürgerhaus »ein Zeichen für Weltoffenheit und Toleranz«. Sie stimme der Beschlussvorlage zu, auch wenn sie »den jetzigen Zeitpunkt suboptimal« finde. Ihr wäre wohler, wenn es keine Zeitvorgaben gäbe. Ihr Fraktionskollege Hagen Kluck mahnte, sich jetzt nicht in Detailfragen zu verlieren oder bereits über Personalfragen zu reden.
Die angestrebte Personalausstattung hatte zuvor die WiR-Fraktion angesprochen. Professor Dr. Jürgen Straub und Marco Wolz befürworteten eine Reduzierung auf zwei halbe Stellen.
Jürgen Fuchs (FWV) warb dafür, Einschränkungen jetzt erst einmal zurückzustellen: »Finanzdiskussionen sollten wir jetzt nicht führen.« Die Haushaltsberatungen würden früh genug zeigen, welche Projekte unter den Tisch fallen.
Man könne die Standortsuche auch bis nach der Sommerpause schieben und schauen, wie sich die Dinge entwickeln, kam Bürgermeister Robert Hahn den Skeptikern entgegen. Mit der Zustimmung zum Konzept ergäben sich keine »Umsetzungsansprüche«. Es sei klar, dass über die Finanzierung bei den Haushaltsberatungen entschieden werde. (GEA)