REUTLINGEN. Reutlingen hat sich während der Pandemie als Hochburg des Protests etabliert. Seit Monaten gehen in der Innenstadt Samstag für Samstag Tausende auf die Straße, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Oft sind es die teilnehmerstärksten Kundgebungen in ganz Baden-Württemberg. Was die Menschen eint, ist ihre Abneigung gegen eine Vielzahl von Regeln. Auf ihren Plakaten haben sie sich vor allem gegen Masken, 2G, 3G und Impfzwang gewehrt. All das ist jedoch weitgehend Geschichte. Stehen die Demonstrationen damit vor dem Aus?
Angst vor erneuten Einschränkungen
»Nein«, stellt Mit-Organisatorin Michaela Brandner auf GEA-Anfrage klar. »Wir werden weiter auf die Straße gehen«. Zwar seien zentrale Forderungen der Teilnehmer mittlerweile erfüllt, man sei sich aber sicher, dass viele Maßnahmen wieder kommen, wenn die Infektionszahlen steigen. »Ich habe so ein Bauchgefühl, dass die Spielchen im Herbst von vorne losgehen«, sagt die gelernte Pflegerin, die ihren Beruf seit März wegen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht nicht mehr ausübt.
Die Fortsetzung des Protests ist laut Brandner nicht nur prophylaktisch, für den Fall, dass sich die pandemische Lage ändert. Corona sei nämlich nur ein kleines Thema gewesen. Es gebe genug andere Punkte, die aktuell die Gesellschaft spalten und für die es sich lohne auf die Straße zu gehen. Als Beispiele nennt Brandner Sexismus, die Benachteiligung von Frauen, die größer werdende Schere zwischen Arm und Reich sowie den Krieg in der Ukraine. Bei diesen Themen müsse das Volk »ein Zeichen setzen«.
Brandner: »Das Volk hat kein Mitspracherecht«
Außerdem fordere man »grundsätzlich eine Änderung des Systems«, sagt Brandner und ergänzt: »Was in Deutschland abgeht, ist nicht vertretbar.« Die Bundesrepublik sei zwar eine Demokratie, »das Volk hat jedoch kein Mitspracherecht«. Wie ein alternatives System konkret aussehen soll, kann sie auf GEA-Nachfrage nicht beantworten. Volksentscheide wie in der Schweiz halte sie aber für ein geeignetes Mittel, um die Bürger direkt zu beteiligen.
Ein Ende der Protestzüge in der Reutlinger Innenstadt sieht Brandner erst dann gekommen, »wenn Politiker volksnäher geworden sind und wir gehört werden«. Bis das so weit ist, werden sie und Co-Organisator Kevin Brügmann weiter für jeden Samstag eine Demonstrationen in der Reutlinger Innenstadt anmelden. Auch wenn die Teilnehmerzahlen zuletzt niedriger waren als zu Spitzenzeiten, ist sich Brandner sicher, dass der harte Kern weiter an Bord sein wird. (GEA)