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Aktuell Infektion

Erster Fall von Affenpocken im Kreis Reutlingen bestätigt

Affenpocken
Eine elektronenmikroskopische Aufnahme zeigt reife, ovale Affenpockenviren (l). Foto: Cynthia S. Goldsmith
Eine elektronenmikroskopische Aufnahme zeigt reife, ovale Affenpockenviren (l).
Foto: Cynthia S. Goldsmith

KREIS REUTLINGEN. Im Landkreis Reutlingen wurde am Donnerstag, 23. Juni, die erste Infektion mit Affenpocken bestätigt. Das teilt das Landratsamt per Pressemitteilung mit.

Der erkrankte Mann wird demnach isoliert in der Infektionsstation am Universitätsklinikum Tübingen behandelt, sein Gesundheitszustand sei stabil, so die Mitteilung. Das Kreisgesundheitsamt ermittelt derzeit mögliche Kontaktpersonen. Es sind ansonsten keine Verdachtsfälle im Landkreis bekannt, steht weiter in der Mitteilung.

Eine Gefährdung für die Gesundheit der breiten Bevölkerung in Deutschland wird nach derzeitigen Erkenntnissen als gering eingeschätzt, betonen die Verantwortlichen im Landratsamt. Affenpocken sind eine seltene, vermutlich vor allem von Nagetieren auf den Menschen übertragene Viruserkrankung. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist selten und nur bei engem Kontakt möglich. Sie kann durch Kontakt mit Körperflüssigkeiten und den typischen Hautveränderungen der Affenpocken-Infizierten stattfinden.

Kein Grund zur Besorgnis

Keinen Grund zur Besorgnis sieht aktuell auch Angelika Walliser, Kreisbeauftragte für den Notfalldienst im Bezirk Reutlingen der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. »Affenpocken können für Menschen mit Immunschwäche oder HIV gefährlich sein. Für alle anderen sind sie eher ungefährlich«, sagt Walliser auf GEA-Anfrage. Nach aktuellem Kenntnisstand müsse man nicht mit einer Pandemie rechnen. »Affenpocken sind nicht so leicht übertragbar wie das Coronavirus«, beschreibt die Medizinerin die Eigenschaften des Erregers. Die Diagnose sei mit einem geschulten Blick möglich, »es sind praktisch kleine Bläschen vor allem im Gesicht, an den Handflächen oder den Fußsohlen«.  Walliser, die während der Corona-Pandemie im Dauereinsatz gewesen ist, meint zusammenfassend: »Wir sind aufmerksam«. 

Erste Symptome der Krankheit sind Fieber, Kopf-, Muskel- und Rückenschmerzen und geschwollene Lymphknoten. Einige Tage nach dem Auftreten von Fieber entwickeln sich Hautveränderungen, welche die Stadien vom Fleck bis zur Pustel durchlaufen und letztlich verkrusten und abfallen. (pm/zen)

www.rki.de/affenpocken

Das vom Institute of Tropical Medicine Antwerp zur Verfügung gestellte Foto zeigt Hautsymptome von Affenpocken-Patienten
Das vom Institute of Tropical Medicine Antwerp zur Verfügung gestellte Foto zeigt Hautsymptome von Affenpocken-Patienten. Foto: Institute of Tropical Medicine, Antwerp/dpa
Das vom Institute of Tropical Medicine Antwerp zur Verfügung gestellte Foto zeigt Hautsymptome von Affenpocken-Patienten.
Foto: Institute of Tropical Medicine, Antwerp/dpa

Fragen und Antworten: WHO-Alarm wegen Affenpocken?

Von Gisela Gross und Christiane Oelrich, dpa

Die Corona-Pandemie ist noch nicht vorbei - und erneut beraten Fachleute darüber, ob wegen eines Krankheitserregers eine Notlage von internationaler Tragweite ausgerufen werden sollte. Was droht mit den Affenpocken?

Genf (dpa) - Die Zahl der Affenpocken-Nachweise steigt in Deutschland und mehr als 40 anderen Ländern. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat deshalb einen Affenpocken-Notfallausschuss einberufen. Am Donnerstag begannen die in den Ausschuss berufenen unabhängigen Fachleute mit einer Lagebeurteilung. Sie prüfen, ob die öffentliche Gesundheit in größerem Umfang bedroht ist. Dann würden sie die Ausrufung einer »Notlage von internationaler Tragweite« empfehlen. Letztlich liegt die Entscheidung bei der WHO. Das Ergebnis der Beratungen wird nach WHO-Angaben nicht vor Freitag erwartet.

Warum trifft sich der Ausschuss?

Die WHO ist wegen der Häufung der gemeldeten Fälle besorgt. Das Virus verhalte sich ungewöhnlich und es seien immer mehr Länder betroffen, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. Bis Mitte Juni wurden der WHO gut 2100 Fälle gemeldet. Seitdem hat sich die Zahl aber allein in Deutschland schon verdoppelt. Beunruhigend für die WHO ist, dass 98 Prozent der Fälle in Ländern entdeckt wurden, in denen das Virus bislang praktisch unbekannt war, und nicht aus den afrikanischen Ländern, die Ansteckungen seit Jahrzehnten kennen. »Wir wollen nicht warten, bis die Situation außer Kontrolle geraten ist«, sagte WHO-Spezialist Ibrahima Socé Fall zur Einberufung des Ausschuss.

Was bedeutet es, wenn eine Notlage ausgerufen wird?

Die Erklärung einer Notlage (PHEIC - Public Health Emergency of International Concern) ist die höchste Alarmstufe, die die WHO zünden kann. Unmittelbare praktische Auswirkungen hat das nicht. Vielmehr soll dies die Aufmerksamkeit der 194 Mitgliedsländer erhöhen. Der Expertenrat gibt Empfehlungen: etwa, dass Kliniken und Praxen nach Fällen Ausschau halten und mit Aufklärung dafür sorgen sollen, dass sich möglichst wenig Menschen anstecken. Der Rat begutachtet auch »das Risiko einer internationalen Ausbreitung und Risiken für den internationalen Verkehr«, sagt WHO-Sprecherin Carla Drysdale. Welche Schlüsse Regierungen daraus ziehen, bleibt ihnen selbst überlassen.

Wenn die Notlage erklärt wird: Muss die Welt sich auf eine Pandemie wie mit dem Coronavirus einstellen?

Nein. Zwar hat die WHO auch nach dem Auftauchen von Sars-CoV-2 am 30. Januar 2020 eine »Notlage von internationaler Tragweite« erklärt. Aber die Krankheiten lassen sich überhaupt nicht miteinander vergleichen.

Affenpocken werden nach bisherigem Kenntnisstand hauptsächlich durch engen Körperkontakt von Mensch zu Mensch übertragen. Nach WHO-Angaben sind 99 Prozent der bisher Betroffenen Männer bis 65 Jahre, die Sex mit Männern haben. Generell kann sich aber jeder infizieren, der engen körperlichen Kontakt mit Infizierten hat.

Dagegen verbreitet sich das Coronavirus Sars-CoV-2 über virenhaltige Aerosole, die beim Atmen, Husten und Sprechen von Infizierten entstehen. Die Aerosole können über längere Zeit in der Luft bleiben, was zur schnellen Übertragung beiträgt.

Bei Corona gab es am 30. Januar 2020 gut 20 000 bestätigte und wahrscheinliche Infektionen mit dem neuen Virus in China, sowie 83 gemeldete Fälle in anderen Ländern. Bei Affenpocken meldete die WHO Stand 15. Juni gut 2100 Fälle aus gut 40 Ländern.

Was spricht für und was gegen die Erklärung einer globalen Notlage?

Zunächst einmal: Gesundheitsexperten in Genf halten es für eher unwahrscheinlich, dass der Ausschuss schon bei seinem ersten Treffen die Erklärung einer Notlage empfiehlt.

Dagegen spricht: Die Infektionszahlen steigen nicht explosiv, weil die Übertragung nach jetzigem Kenntnisstand deutlich schwieriger ist als bei Corona. Beim aktuellen Ausbruch werden bisher in der Regel auch keine schweren und tödlichen Krankheitsverläufe beobachtet. Außerdem handelt es sich beim Affenpocken-Erreger um ein DNA- und kein RNA-Virus wie Sars-CoV-2: DNA-Viren sind träger und mutieren kaum. Deshalb werden immer ansteckendere Varianten wie bei Corona nicht so schnell erwartet. Es gibt auch anders als beim Beginn von Corona bereits einen Impfstoff. Der wurde gegen Menschenpocken entwickelt, ist aber auch gegen Affenpocken wirksam.

Dafür spricht: Das Virus verhält sich anders als bislang bekannt war. Affenpocken sind eigentlich eine Krankheit bei Nagetieren in West- und Zentralafrika. Vereinzelt springen sie dort auf Affen und auch auf den Menschen über. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist bei engem Kontakt möglich. Dass sich das Virus auch in Europa ausbreitet, ist neu.

Die WHO ist mehrfach scharf kritisiert worden, weil sie zu spät auf Bedrohungen reagiert hat. Nach dem Ebola-Ausbruch in Westafrika 2013 hat sie erst im August 2014 mit Notfallmaßnahmen reagiert. Mehr als 11 000 Menschen kamen ums Leben. Auch bei Corona wurde ihr das vorgeworfen. Problem war aber mehr, dass sich viele Länder - auch Deutschland - trotz aller WHO-Warnungen im Januar 2020 zu lange fälschlicherweise gut gewappnet fühlten. Bis heute hat die WHO mehr als 530 Millionen Corona-Infektionen und mehr als 6,3 Millionen Todesfälle registriert. Sie geht von einer hohen Dunkelziffer aus.

Wie ist die Lage in Deutschland?

Mit Stand 23. Juni haben 14 Bundesländer Affenpocken-Nachweise gemeldet, mit insgesamt rund 592 Betroffenen. Eine weitere Zunahme wird erwartet. »Es scheint weiterhin möglich, den aktuellen Ausbruch in Deutschland zu begrenzen, wenn Infektionen rechtzeitig erkannt und Vorsichtsmaßnahmen umgesetzt werden«, schreibt das Robert Koch-Institut.