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»Der Junge mit dem Koffer« im franz.K ging unter die Haut

»Der Junge mit dem Koffer« der Eduard-Spranger-Gemeinschaftsschule im franz.K ging unter die Haut

Naz (links, Salah Abdelrazek) trifft Krysia (Laura Renn) bei ihrem reichen Onkel (Paule Brandenburg) wieder. Naz und sein Bruder
Naz (links, Salah Abdelrazek) trifft Krysia (Laura Renn) bei ihrem reichen Onkel (Paule Brandenburg) wieder. Naz und sein Bruder (rechts, Firas Turki) arbeiten als Autowäscher. FOTO: BÖHM
Naz (links, Salah Abdelrazek) trifft Krysia (Laura Renn) bei ihrem reichen Onkel (Paule Brandenburg) wieder. Naz und sein Bruder (rechts, Firas Turki) arbeiten als Autowäscher. FOTO: BÖHM

REUTLINGEN. Kurz vor den Pfingstferien brachte die Eduard-Spranger-Gemeinschaftsschule noch ein Meisterwerk auf die Bühne des franz.K. Das Theaterstück »Der Junge mit dem Koffer« von Mike Kenny erzählt die Geschichte des Jungen Naz, der aus der Heimat ganz allein in eine ungewisse Zukunft aufbrechen muss. »Die Premiere am Donnerstagabend war sehr gut besucht und wurde mit viel Lob bedacht«, freute sich Lehrerin und Regisseurin Gökce Oehler. Der Abend war den Erwachsenen vorbehalten, während die Veranstaltung am Freitagmorgen für Schulklassen wiederholt wurde.

Ein Jahr lang hatte die Stufe 7 unter der Leitung von Theaterpädagogin Cordelia Honigberger an dem Stück gearbeitet. »Ich bin sehr stolz, dass wir uns diesem Thema mit einer solch fantastischen Gruppe gewidmet haben«, sagte Schulleiterin Gabriele Kupfer. Dies insbesondere, da es an der Schule zwei Klassen gebe, die die Geschichte von Naz in ähnlicher Weise erlebt hatten. »Wenn es euch zu viel wird, könnt ihr natürlich den Saal verlassen«, sagte eine Schülersprecherin.

Inszenierung der Schüler

Die Inszenierung lag in den Händen von 54 Schülern. Im Kunstunterricht mit Irene Helfenbein und Martin Leiensetter fertigten sie das Bühnenbild mit gemalten und collagierten Landkarten. Unter Technik-Lehrer Alexander Schreiber wurden universell verwendbare Holz-Glas-Würfel geschaffen, die sich je nach Bedarf in einen Bus, eine Fabrik oder eine Flüchtlingsunterkunft verwandelten. Für Musik und Geräusche sorgte eine Combo unter der Leitung von Musiklehrer Nic Hingar. Um Ethiklehrer Dennis Klein war eine Videogruppe entstanden, die Einspieler für die Bühnenleinwand gedreht hatte. Auch Licht- und Tontechnik hatten die Schüler selbst übernommen.

Die Combo und Perkussionsgruppe lieferte mit Boomwhackers und Xylophon den rhythmischen Auftakt. Die Hauptrolle des Naz hatten sich Vasili Gerovasilis und Salah Abdelrazek aufgrund der Textmenge geteilt. Am Bühnenrand erzählten drei Schülerinnen seine Geschichte und gaben seine Gedanken wieder.

Naz lebt mit seinen Eltern in einem bewusst nicht näher definierten Land. Sein Vater (Paule Brandenburg) liest ihm Geschichten des tollkühnen Seefahrers Sindbad vor. An dessen Mut und Geschick orientiert sich der Junge, als ihn seine Eltern alleine auf die Flucht vor dem Krieg schicken. Seine Mutter (Katharina Merkens) gibt ihm einen Stift mit auf die Reise, mit dem er Postkarten nach Hause schreiben soll. Ziel der Flucht ist London, wo Nazs Bruder (Firas Turki) lebt und das er in Postkarten als Paradies schildert.

Um den Ernst der Lage zu veranschaulichen, lässt die Combo »Schüsse« fallen. Ein Video zeigt Menschen in einem Keller, die in Panik Bombeneinschläge miterleben müssen. Währenddessen friert die Handlung auf der Bühne ein. Die so erzeugten Stimmungen und starken Bilder verfehlten ihre Wirkung nicht. Im Saal war trotz Hunderter Schüler kaum ein Geräusch zu hören.

Nazs Flucht nach England verläuft in mehreren Etappen. »Ich war einfach ich, jetzt bin ich ein Flüchtling«, sagte er zu Krysia, die er in einem Bus kennenlernt. Der Bus wird von Soldaten gestoppt, der Koffer des Jungen geplündert. Je mehr er an seinem persönlichen Eigentum und an seiner Identität verliert, desto farbloser und beliebiger wird seine Darstellung im Video.

Atemlose Stille im Saal

Quasi eine Atempause gab es durch die Tanzgruppe. Unter der Leitung der Tanzpädagogin Teresa Ceran hatte sie Choreografien zu Episoden und Gedanken des Jungen in eine Tanzsprache umgesetzt. So verkörperten die Tänzerinnen unter anderem die stereotype Arbeit in einer Näherei, die Naz und Krysia verrichten, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Die Reise führt sie durch die Wüste, über das Meer und in das Gebirge, dargestellt durch Holzkisten. In London angekommen, muss Naz feststellen, dass sein Bruder in einer Autowäscherei arbeitet und hier keinesfalls »Milch und Honig« fließen. Doch Naz hat überlebt, wird wieder als Mensch gesehen und findet auch Krysia wieder, die ertrunken schien, aber inzwischen bei ihrem reichen Onkel (Paule Brandenburg) lebt.

In der anschließenden Diskussion warfen Schüler die Frage auf, ob die Geschichte ein Happy End habe. Zwischen Publikum und Akteuren ergaben sich viele Gesprächspunkte, die zeigten, dass die Geschichte die Zuschauer erreicht hatte. (GEA)