REUTLINGEN. »Was ist das denn für ein komischer Club?« So beschreibt Dichter Andreas Knapp erste Reaktionen der Nachbarn auf seine Männer-WG. Vier erwachsene Männer, die zusammen in der Plattenbausiedlung in Leipzig wohnen. Sie alle gehören dem Orden »Kleine Brüder vom Evangelium« an. Sie wohnen in einfachen Verhältnissen, beten viel, suchen den Kontakt zu ihren Mitmenschen. Ein Durchschnitts-Leben ist das gewiss nicht. Doch noch viel spannender ist, wie und warum Bruder Andreas diesen Weg eingeschlagen hat. Im 110. Zeitgespräch »Menschen und Themen« berichtet er den Moderatoren Bernhard Bosold und Professor Dr. Norbert Vogel sowie rund 60 Zuhörern von seinem Werdegang.
Schnapsidee Gymnasium
Schon in jungen Jahren hat Knapp andere Vorstellungen als seine Kameraden. Er will unbedingt das Gymnasium besuchen. Das ist in seinem Dorf, in dem die meisten Leute handwerkliche Berufe ausübten, alles andere als üblich. »Ich weiß auch nicht, wie ich auf diese Schnapsidee gekommen bin«, sagt Knapp lachend. Nach der Schule studiert er Theologie. Inspiriert dazu wird er von seiner Tätigkeit in der kirchlichen Jugendarbeit. Im Zuge seines Studiums verbringt Knapp über ein Jahr in Rom. Dort hat er das erste Mal regelmäßig Kontakt mit ausgegrenzten Menschen. Nach dem Abschluss des Studiums und seiner Promotion arbeitet der 59-Jährige als Regens, also als Leiter des Priesterseminars. Bis zu diesem Zeitpunkt durchläuft Knapp eine ganz normale Laufbahn in der Kirche.
Doch dieser Weg erfüllt ihn nicht. Er bemängelt seinen »festgezurrten« Beruf, zu wenig Freiheiten. »Ich wollte einmal Jesus nachfolgen, doch ich war ein Beamter geworden«, blickt der Dichter zurück. Er schließt sich den »Kleinen Brüdern vom Evangelium« an. Dieser Orden zeichnet sich durch die Nähe zu Menschen im Abseits aus. Sie gehen normalen Berufen nach und wohnen, meist in Gemeinschaften von drei oder vier Männern, in armen Verhältnissen.
Knapps Aufenthalte in Frankreich und Bolivien tragen maßgeblich zu seinem Lebensweg bei. Dort führt er niedere Tätigkeiten aus. Auch wenn es zunächst hart ist, auf materielle Dinge zu verzichten, an die er sich gewöhnt hatte: Knapp sieht seinen Weg klar vor sich. »Ich habe mich gefragt, was mir wirklich wichtig ist.« Und das kristallisiert sich schnell heraus. Unter Menschen zu sein, ihnen zu helfen. In Bolivien ist er an einem Projekt zur Alphabetisierung von Straßenkindern beteiligt.
Heute lebt Knapp, der zwischendurch einmal 40 Tage fernab jeglicher Zivilistion in der Sahara verbrachte, mit drei Ordensbrüdern in Leipzig. Er schreibt vielgelesene Gedichte und Bücher, arbeitet am Fließband, ist außerdem als Gefängnisseelsorger tätig.
Mit Taschentüchern ins Gefängnis
Diese Arbeit erfüllt ihn besonders, dort werden ihm Sorgen und Gedanken der verschiedensten Menschen anvertraut. Dabei kann es auch schon mal zu einem Gefühlsausbruch kommen, erzählt der Dichter. »Ich habe immer Taschentücher dabei, wenn ich ins Gefängnis gehe.« Zusätzlich zu den Einzelgesprächen organisiert er kleine Gottesdienste hinter Gittern. Daran nehmen auch Nicht-Christen teil, Ersthörer der Evangelien. Auch zu Hause hat er es mit vielen verschiedenen Leuten zu tun. So zum Beispiel mit seinem Nachbar Ziad.
Dieser gehört zu den vom IS aus dem Irak vertriebenen Christen. Dies sieht er äußerst kritisch. »Es wird keine große christliche Gesellschaft im Nahen Osten mehr geben.« Auch die Situation der Geflüchteten bewertet Knapp alles andere als positiv, vor allem die Zustände in den Lagern.
Zum Schluss der Veranstaltung liest der Dichter einige Auszüge aus seinen Werken vor. Er will mit seinen Gedichten und Büchern mehr Menschen zum Glauben einladen und ihnen Halt geben. Denn das ist Knapps Lebensaufgabe: anderen zu helfen. (GEA)