REUTLINGEN. Die blauen Sportschuhe, die fein säuberlich an den Schnürsenkeln zusammengebunden in etwa zehn Metern Höhe an der Reutlinger Marienkirche baumelten, werfen Fragen auf: Wie sind sie dorthin gekommen, wieso hängen sie dort, ist es einfach nur ein Lausbubenscherz, oder steckt mehr dahinter?
Diese Fragen stellen sich nicht nur die Menschen in der Reutlinger Fußgängerzone, denn in luftiger Höhe baumelnde Schuhpaare fallen mittlerweile in zahlreichen Orten auf. Sie wurden auf Kabeln und Strommasten, Ampeln und Laternen, Brücken und Bäumen gesehen. So auch beispielsweise in Leipzig, Flensburg, München oder Konstanz.
Zeichen für den Verlust der männlichen Unschuld?
Eine wirklich eindeutige Erklärung für die hängenden Schuhe gibt es offenbar nicht. Im Internet gibt es dagegen zahlreiche Erklärungsversuche. Demnach soll es unter anderem eine Legende geben, die angeblich in Schottland ihren Ursprung haben soll. Dort sind baumelnde Schuhe ein Zeichen dafür, dass in unmittelbarer Nähe ein junger Mann seine Unschuld verloren hat.
Andere Hypothesen gehen davon aus, dass es ein Zeichen von Schülerinnen und Schülern ist, nachdem sie ihre Abschlussprüfungen geschafft haben. In anderen Ländern sollen Soldaten ihre Stiefel nach oben werfen, wenn ihre Militärzeit beendet ist. In den USA wird auch davon berichtet, dass hängende Schuhe die Gebiete von Straßengangs markieren.
Sogar in der Kunst haben die Schuhe schon Einzug gehalten. So gibt es bereits den Begriff »shoefiti« (aus dem Englischen für shoe = Schuh und graffiti = Graffiti). Dieser benennt innerhalb der Straßenkunst ein weltweit zu beobachtendes Phänomen, dass Paare von Schuhen zusammengebunden über Äste, Leinen, Kabel oder dergleichen geworfen werden.
»Schuhbaum« als Touristenattraktion
Die romantischste Erklärung stammt aus dem US-Bundesstaat Nevada. Dort hängen in der Nähe des Ortes Middlegate Hunderte Schuhe in einem Baum. Den Anfang soll vor Jahrzehnten ein frischvermähltes Ehepaar gemacht haben. Beide stritten sich unter dem Baum. Vor Wut schmiss der Bräutigam die Schuhe seiner Braut in den Baum. Weil sie so nicht weiterlaufen konnte, setzten sie sich unter den Baum, redeten und legten ihren Streit bei. Weil es ihnen viele Pärchen nachahmten, hängt der Baum bei Middlegate jetzt voller Schuhe und ist zur Touristenattraktion geworden. Ob die Schuhe an der Reutlinger Marienkirche einen ähnlich romantischen Hintergrund haben? Wer weiß?
Kein Bußgeld in Reutlingen
In Reutlingen werden die Schuhe an der Marienkirche jedenfalls nicht zur langfristigen Touristenattraktion, denn Marienkirchen-Pfarrerin Sabine Großhennig sagte dem GEA: »Unser Mesner, Götz Wellhäuser-Frank, hat das Paar Sportschuhe längst entdeckt.« Im Laufe des Vormittags wurden die Turnschuhe entfernt. Großhennig hält das Ganze ohnehin nur für einen Lausbubenstreich.
Rechtlich bleibt die Sache wohl auch folgenlos, denn es werde keine Anzeige erstattet und für hochgeworfene Schuhe an Kirchenfassaden hat das Ordnungsamt der Stadt Reutlingen nichts Passendes im Bußgeldkatalog. Stadtsprecherin Sabine Külschbach meinte: »Bußgeld gibt's bei uns beispielsweise für weggeworfene Fahrräder, die in Büschen gefunden werden oder auch achtlos weggeworfene Zigarettenkippen.« (GEA)