KREIS REUTLINGEN. Deutschland hat ein Bildungsproblem, der Kreis Reutlingen kommt besser weg: »Stagnation am oberen Ende des schulischen Qualifikationsspektrums, wachsende Probleme am unteren«, beschreibt der Bildungsbericht 2020 der Bundesregierung die Lage. Einfacher ausgedrückt: Es gibt einen unguten Trend zum Schulabgang ohne Abschluss.
Bundesweit sind es jetzt 6,8 Prozent der Jugendlichen, die nach der Schule Problemkinder sind, weil sie keinen Abschluss haben. 2013 waren es noch 5,2 Prozent. Im Kreis Reutlingen blieben zuletzt 6,3 Prozent (Vorjahr: 5,3 Prozent) ohne jeglichen Abschluss. Im bundesweiten Vergleich bedeutet das für den Kreis Reutlingen Platz 191.
Es ist allerdings im Gegenzug auch festzustellen, dass der Anteil der Abgehenden mit Abitur bundesweit einen neuen Höchstwert erreicht hat: 34,8 Prozent der zuletzt gezählten Schulabgängerinnen und -abgänger hatten das Reifezeugnis in der Tasche. Verglichen damit liegt die Quote im Kreis Reutlingen mit rund 31 Prozent Abiturienten niedriger als im Bund. Und in der Bundesliga der Abiturienten liegt der Kreis Reutlingen damit auf Platz 219 unter den 403 im Regionalatlas ausgewerteten Städten, Kreisen und Stadtstaaten.
Der Blick auf die Kehrseite der Bildungsmedaille hat seinen Grund: Hier liegt sozialer Sprengstoff, weil die Aussicht auf ein gutes Leben fehlt. In ganz Baden-Württemberg beendeten 6,4 Prozent junge Menschen die Schulzeit, ohne einen Hauptschulabschluss in der Tasche zu haben. Das ist eine etwas geringere Quote als im Vorjahr mit damals 6,6 Prozent.
Dabei gilt nach wie vor: Mama Abitur, Papa Abitur, Kind Abitur ist eine zutreffende Voraussage für den Bildungsweg: »Mehr als sieben von zehn Kindern, von denen mindestens ein Elternteil Abitur oder Fachhochschulreife hat, erreichen diesen Abschluss ebenfalls«, sagt die Bildungsstatistik. Das heißt auch: »Bei den Grundschulübergängen auf weiterführende Schularten treten weiterhin erhebliche soziale Disparitäten auf«, sprich »Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Elternhäusern« werden von ihren Eltern nicht gleich aufs Gymnasium geschickt. Sie wechseln dann zwar häufig den Bildungsweg, »die anfänglichen Unterschiede werden damit aber kaum ausgeglichen«, heißt es im Bildungsbericht.
Der Anteil der Abiturienten lag mit 35,7 Prozent 2013 bundesweit schon mal höher, aktuell gilt: 34,8 Prozent der zuletzt gezählten Schulabgängerinnen und -abgänger hatten das Reifezeugnis in der Tasche. Verglichen damit liegt die Quote im Kreis Reutlingen mit 31 Prozent Abiturienten niedriger als im Bund.
Warum das kein reines Hurra auslöst, ist einfach zu erklären: Mama kriminell, Papa kriminell, Kind kriminell, ist auch eine Gleichung, vor der seit Jahren gewarnt wird. Denn: »Betrachtet man den Einfluss der Bildungsvariablen auf kriminelle Verhaltensweisen, so zeigt sich, dass der Abbruch einer Ausbildung, ein fehlender Hauptschulabschluss sowie der Besuch der Hauptschule an sich eine signifikante, meist hochsignifikante Rolle bei der Erklärung kriminellen Verhaltens spielt.« Aufgrund des Einflusses dieser Variablen sei zu vermuten, dass insbesondere von Jugendlichen, die ihren Schulabschluss nicht geschafft oder ihre Ausbildung abgebrochen haben, häufiger kriminelle Verhaltensweisen an den Tag gelegt werden und für sie die Gefahr besteht, in die Kriminalität abzurutschen.
Um kriminellem Verhalten wirksam vorzubeugen, sei es daher von entscheidender Bedeutung, Jugendlichen Bildungschancen und, damit verbunden, die Aussicht auf ein selbstbestimmtes und glückliches Leben in Beruf und Gesellschaft zu eröffnen. Dieser Satz ist zehn Jahre alt. Er stand im Jahr 2010 in einer Bertelsmann-Studie mit dem Titel: »Unzureichende Bildung: Folgekosten durch Kriminalität« zu lesen.
Zehn Jahre später ist das Problem nicht kleiner, sondern im Bundesschnitt um 0,5 Prozentpunkte größer geworden. Im Kreis Reutlingen sogar um 1,9 Prozentpunkte. (teb/zds)