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Aktuell Jahrestag

Auftakt zur deutschen Reformation

Vor 500 Jahren, am 18. April 1521, trat Martin Luther unerschrocken vor dem Wormser Reichstag auf

Reutlinger Wappen am Wormser Luther-Denkmal.  BILD: STADTARCHIV WORMS
Reutlinger Wappen am Wormser Luther-Denkmal. BILD: STADTARCHIV WORMS Foto: Privat
Reutlinger Wappen am Wormser Luther-Denkmal. BILD: STADTARCHIV WORMS
Foto: Privat

REUTLINGEN. Unter den zahlreichen Lutherdenkmalen Deutschlands ragt das Wormser als weltweit größtes heraus. 1868 auch mit einem Reutlinger Beitrag errichtet, erinnert es an Martin Luthers unerschrockenen Auftritt vor Kaiser Karl V. auf dem Wormser Reichstag von 1521 und sein legendäres Statement »Hier stehe ich, ich kann nicht anders«.

Gesagt hat das der deutsche Reformator so zwar nicht, aber auch seine historisch verbürgten Worte, mit denen er sich auf sein Gewissen berief, waren brisant genug. Das zeigt auch die Geschichte Reutlingens, denn im selben Jahr hatte die mit einer eigenen Agenda in Worms vertretene Reichsstadt einen neuen Prediger berufen, der sich bald als unerschütterlicher Anhänger Luthers in Schwaben erweisen sollte, Matthäus Alber. Grund genug also, im Vorfeld des morgigen Jahrestags einen Blick zurück zu werfen.

Begonnen hatte alles mit einem Missverständnis. Luther war von Wittenberg nach der Einladung des Kaisers in der festen Erwartung aufgebrochen, ähnlich wie wenige Jahre zuvor an der Universität Heidelberg eine theologische Disputation um seine Thesen zu führen.

Denkwürdige Erklärung

In Worms aber erwartete ihn neben Kaiser und Fürsten der Offizial des Trierer Erzbischofs mit der schlichten Frage, ob erstens die im Saal ausgelegten Schriften, wie etwa die über die Freiheit des Christenmenschen, von ihm stammten, und ob er zweitens zu einem Widerruf seiner Lehren bereit sei – keine Spur also davon, sich anhand der Bibel über ein Richtig oder Falsch auszutauschen. Nach einem Tag Bedenkzeit kam es dann am 18. April 1521 zu der denkwürdigen Erklärung des Reformators vor dem Kaiser und den Ständen des Reichs. Auch wenn Luther freies Geleit versprochen worden war, gehörte Mut dazu – jedem war bewusst, dass der tschechische Theologe Jan Hus 100 Jahre zuvor in nicht ganz unähnlicher Situation auf dem Scheiterhaufen endete.

Martin Luther (im dunklen Rock) vor Kaiser Karl V. (Mitte) auf dem Reichstag zu Worms 1521.  BILD: HEIMATMUSEUM REUTLINGEN
Martin Luther (im dunklen Rock) vor Kaiser Karl V. (Mitte) auf dem Reichstag zu Worms 1521. BILD: HEIMATMUSEUM REUTLINGEN Foto: Privat
Martin Luther (im dunklen Rock) vor Kaiser Karl V. (Mitte) auf dem Reichstag zu Worms 1521. BILD: HEIMATMUSEUM REUTLINGEN
Foto: Privat

Diesmal aber war es anders. Zwar erwirkte der Kaiser im Wormser Edikt die Verdammung von Luthers Lehre und dessen Achterklärung, aber die Zeiten hatten sich geändert. Es war die erste, sich über Monate hinziehende Reichsversammlung des jungen Kaisers, der neben der »Luthersache« dringlichere außenpolitische Themen hatte und deshalb auf die Unterstützung des Reichs angewiesen war. Dort aber gab es eine starke Fraktion, die eine schützende Hand über den Reformator hielt. Zudem waren schon erste Vorboten von Untertanenerhebungen zu spüren, die etliche Fürsten fürchteten. Und bei den Bauern und Bürgern erfreute sich Luther einer wachsenden Beliebtheit.

Reutlinger in Worms

Dazu zählten zweifellos die Reutlinger, auch wenn aus dem Jahr 1521 noch keine direkten Belege für eine reformatorische Bewegung vorliegen. Doch schon zwei Jahre später gelangten Nachrichten über Reutlinger Predigten im Sinn Luthers bis nach Wien, und Broschüren, die für den neuen Glauben warben, wurden von Reutlingern herausgegeben. Über den Eindruck, den die Gesandten der Stadt von Luthers Auftritt mit nach Hause nahmen, liegen keine Nachrichten vor. Sie hatten indes anderes zu tun.

Genau einen Monat vor Luthers Erklärung gelang es ihnen, vom neuen Kaiser die Erneuerung grundlegender Privilegien zu erlangen. Diese Urkunde untermauerte die Reichsunmittelbarkeit der Stadt, die kurz zuvor durch den Überfall Herzog Ulrichs von Württemberg massiv erschüttert worden war. Um 1500 war es den Reutlingern mit erheblichem Kapitaleinsatz noch gelungen, von Kaiser Maximilian die sogenannten Achalmrechte über die Stadt zu erwerben. Endlich war man praktisch unumschränkter Herr im eigenen Haus.

Aber der ungestüme Nachbar nutzte das Machtvakuum nach dem Tod dieses Kaisers 1519 und marschierte in Reutlingen ein. Damals hatte er die Rechnung ohne die Solidargemeinschaft des Schwäbischen Bundes gemacht, schnell war Ulrich aus dem Land vertrieben.

Doch die Sorge der Reichsstädter blieb, man wollte auf Nummer sicher gehen. Aus heutiger Sicht ist die Privilegienbestätigung von Worms ein Segen, denn etliche darin aufgeführte ältere Urkunden sind im Original verloren und nur über diese Abschrift bekannt. Aber die Reutlinger wollten mehr.

Wochen nach Luthers Abreise gelangte nochmals eine Angelegenheit der Reichsstädter vor den Kaiser. Es ging darum, die Jagdgerechtigkeit der Achalm, deren Distrikt sich auch über die Stadtmarkung erstreckte, zu erwerben. Diesmal aber erwies sich der Kaiser auf Anraten seines Bruders Ferdinand, der Statthalter in Württemberg war, als unzugänglich: Das Weidwerk wolle man lieber behalten und lediglich die »niedere Jagd« gestand man den Reutlingern zu. Aber immerhin mit einer anderen Sache drangen sie durch: Wirtschaftlich noch immer von den Verheerungen durch Herzog Ulrich beeinträchtigt, erhielt die Stadt für sechs Jahre Steuerfreiheit.

Wappen am Denkmal

Der spektakuläre Wormser Auftakt des Kaisers im Reich blieb den Reutlingern also in guter Erinnerung, besser als der Kaiser selbst, der die protestantischen Stände später für einige Jahre in die Knie zwang. Als nun das Wormser Denkmalskomitee 1861 um einen Beitrag für das geplante Lutherdenkmal nachsuchte, zauderte der Stadtrat nicht lange und sagte 50 Gulden zu, kein geringer Betrag. Dafür ist Reutlingen als einer der ersten Orte der Reformation mit seinem Wappen am Denkmal vertreten.

Die Vorlage dazu lieferte der damals weithin bekannte Glasmaler Heinrich Pfort (1816 bis 1868), von dessen Können nicht nur in Reutlingen noch etliche Proben erhalten sind. Ob eine Reutlinger Delegation unter den rund 20 000 Gästen der Einweihung war, ist nicht bekannt. Über die dortige Vorfreude berichtet aber Auguste Curtze im Juni 1868 an Friederike Hecht in Reutlingen: »Worms bietet alles auf, um jedem Dagewesenen diese denkwürdige geschichtliche Weltepisode unvergesslich zu machen.«

Den Anfang gemacht

Der Wormser Reichstag von 1521, so der Reformationshistoriker Thomas Kaufmann, bildete »den eigentlichen Auftakt der deutschen Reformationsgeschichte«. Und die neu erschienene gewichtige Geschichte der Diözese Rottenburg-Stuttgart hält zur Reformation im Südwesten fest: »Reutlingen machte den Anfang.« Bewusst war dies den Menschen damals sicherlich nicht, heute ist dieser Jahrestag aber Anlass genug, die vielschichtigen und zuweilen dramatischen Ereignisse der Wochen zwischen März und Mai 1521 wieder in Erinnerung zu rufen. (GEA)

 

MEHR INFORMATIONEN

Originaldokumente zur Reformation Reutlingens sind online einsehbar unter www.reutlinger-refomationsakten.de. Weitere Unterlagen können nach Voranmeldung im Lesesaal des Stadtarchivs eingesehen werden.

www.reutlingen.de/stadtarchiv