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Ärztemangel im Kreis Reutlingen? »Die Lage wird sich weiter zuspitzen«

Das Land braucht Landärzte, sagt die Landesregierung. Studierende, die tatsächlich am Ende auf dem Dorf eine Praxis eröffnen wollen, dürften allerdings auf einige Hürden stoßen, gerade im Landkreis Reutlingen.

Ein Arzt behandelt eine ältere Frau.
Ein Arzt behandelt eine ältere Frau. Foto: dpa
Ein Arzt behandelt eine ältere Frau.
Foto: dpa

REUTLINGEN/MÜNSINGEN/METZINGEN. Es klingt ein wenig romantisch und auch ein bisschen nach »Der Bergdoktor«: Motivierte Studierende verpflichten sich von Beginn des Studiums an, einmal als Hausärzte aufs Dorf zu ziehen und dort zu praktizieren. Beim Gesundheitsministerium in Stuttgart heißt es dazu, nach erfolgreichem Abschluss des Studiums müssten die Bewerber dann »in einem hausärztlich unterversorgten Gebiet tätig sein«. Dörfer gibt's auch im Landkreis Reutlingen genügend und auch so einige ohne einen einzigen Hausarzt oder eine Landärztin im Ort.

Nur gibt's im Landkreis Reutlingen offiziell keinen Ärztemangel. Laut Kassenärztlicher Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) besteht im Kreis sogar eine Überversorgung mit Ärztinnen und Ärzten. In der aktuellen Übersicht zur Hausärztlichen Versorgung der KVBW wird der Landkreis aufgeteilt in die Bereiche Reutlingen, Münsingen und Metzingen. Für Reutlingen und Münsingen gibt es demnach sogar eine Überversorgung von 108 und 111,7 Prozent. Lediglich im Bereich Metzingen gibt die Vereinigung die Versorgungsdichte mit 95,2 Prozent an, was fast an eine hundertprozentige medizinische Versorgung durch Hausärzte heranreicht. 

Einteilung in Gebiete realitätsfremd

Für den Hausarzt Dr. Johannes Müller, der in Hohenstein-Bernloch eine bestehende Praxis von seinem Vorgänger übernommen hat und sich selbst auch als Landarzt sieht, ist diese Einteilung von Gebieten in »versorgt« oder »unterversorgt« völlig veraltet und realitätsfremd. »Die gehört komplett abgeschafft«, fordert er im GEA-Gespräch. Denn sie verhindere, dass sich Hausärzte in ländlichen Gebieten niederlassen. Tatsächlich ist es so, dass überversorgte Gebiete von der Kassenärztlichen Vereinigung als »gesperrt« eingestuft werden.

Hier dürfen und können sich in der Regel keine neuen Ärzte niederlassen, auch keine mit abgeschlossenem Landarztstudium. »Das Landärzteprogramm ist zwar gut, aber es ist nicht die Lösung des Problems«, sagt Hausarzt Müller. Das Programm berücksichtige nämlich nicht, ob es in den einzelnen Dörfern einen Hausarzt gebe, sondern zähle Hausärzte im entsprechenden Gebiet zusammen. »Ein Ärztehaus oder ein Gesundheitszentrum, wie beispielsweise in Münsingen, macht da schon etwas aus«, so Johannes Müller. 

Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung gibt zu bedenken: »Es ist auch immer eine Frage, wie ländliche Gebiete definiert werden. Zählen wir etwa Pliezhausen dazu? Ist das ländlich?«. Pliezhausen mit seinen nahezu 10.000 Einwohnern hat gleich mehrere Ärzte vor Ort. Das benachbarte Walddorfhäslach verfügt über ein neues Ärztehaus. Wer in Pfronstetten auf der Alb lebt, muss dagegen in Nachbarorte zu dortigen Ärzten fahren.

Viele gehen in den Ruhestand

Der Sprecher des Hausärzteverbandes, Manfred King, ist überzeugt: »Die Situation bei den Hausärzten im Land wird sich weiter zuspitzen.« Die geburtenstarken Jahrgänge würden in wenigen Jahren in Ruhestand gehen und nicht alle würden auch Nachfolger für ihre Praxen finden.

Das Berufsbild der Hausärzte hat sich in den letzten Jahren zudem stark verändert. Das hat auch Dr. Gottfried Roller festgestellt. Er war bis vor einem Jahr Leiter des Kreisgesundheitsamtes Reutlingen und ist jetzt Chef des baden-württembergsichen Landesgesundheitsamtes. Er sagt: »Wir haben bei unseren Befragungen unter Ärztinen und Ärzten im Landkreis Reutlingen eine zunehmende Feminisierung festgestellt.« Soll heißen: Immer mehr Frauen wollen Ärztinnen werden. Der Trend gehe zudem davon weg, eine eigene Praxis eröffnen zu wollen.

»Vielmehr streben junge Ärztinnen und Ärzte ein Angestelltenverhältnis an, auch um Familie und Beruf besser in Einklang zu bringen«, so Gottfried Roller. Es zeichneten sich außerdem auch weiterhin Probleme bei der Praxis-Nachfolge ab. »Da wird es Lücken selbst in der Stadt Reutlingen geben und nicht nur in ländlichen Gebieten«, stellt Roller fest. Gesundheitszentren, wie solche in Hohenstein, in Münsingen oder in Zukunft auch in Hülben könnten diese Wünsche im Kreis Reutlingen eher erfüllen. Eine eigene Landarztpraxis bedeute dagegen nicht nur in Notfällen ständig einsatzbereit sein zu müssen. Das Landärzteprogramm sei ein weiterer Baustein, um die Situation bei der ärztlichen Versorgung zu verbessern, aber eben nur einer. (GEA)