MÜNSINGEN. Das Wahrzeichen der Schwäbischen Alb schlechthin ist die Silberdistel, Carlina acaulis. Sie prangt auch auf den Hinweisschildern zum Biosphärengebiet Schwäbische Alb.
Sie ist die Charakterpflanze der Wacholderheiden. Wie kleine, strahlende Sonnen leuchten sie dem Albwanderer entgegen. Sie zeigen den Spätsommer und den Frühherbst an. Die Große Eberwurz, wie sie auch genannt wird, ist ein Korbblütengewächs. Die eigentliche Blüte besteht aus vielen kleinen, zwittrigen Röhrenblüten im Zentrum des Strahlenkranzes. Die silberweißen Strahlen sind lediglich die Hüllblätter für das Körbchen in der Mitte und Namen gebend.
»In der Walpurgisnacht geholt, erhält sie Pferde das ganze Jahr gesund«
Der lateinische Gattungsname Carlina wurde ihr zum Andenken an den mächtigen Frankenkaiser Karl den Großen verliehen, der im 8./9. Jahrhundert Klöster verpflichtete, Heilpflanzen zu züchten. Darunter fiel auch die Silberdistel, deren antibakterielle Wirkung gegen die Pest im Mittelalter genutzt wurde.
Die Wurzeln enthalten ätherisches Öl, Zucker und Inulin und wurden zur Herzstärkung, gegen Rheuma und zur Verdauungsförderung verabreicht. Zu Pulver vermahlene Wurzeln wurden einst in Essig gesotten und gegen Hautkrankheiten verwendet. Mit Wein vermischt, ging es Bandwürmern an den Kragen. Rossknechte priesen damals die Kraft der bis zu einem Meter langen Wurzeln: »Eberwurz in der Walpurgisnacht geholt und den Pferden drei Stück davon gegeben, erhält sie das Jahr gesund.«
Die Laubblätter der Silberdistel sind vielfiedrig geteilt und stechen mit ihren dornigen Spitzen schmerzhaft. Weidetiere meiden sie deshalb. Um die Klauen der Vierbeiner vor Dornen zu schützen, stachen die Schäfer einst die Pflanze mit der Schippe aus. Dies hat aber niemals zum Aussterben der strahlenden Silbersonnen der Wacholderheiden geführt.
Auf den meist steinigen und warmen Böden war es der Distel leicht, sich zu vermehren und jedes Jahr wieder zu blühen. Erst das später einsetzende Ausgraben und Sammeln der attraktiven Pflanze gefährdete ihre Bestände, vor allem aber die Aufgabe der Beweidung ihrer Standorte. Ihren strahlenden Reiz entfaltet sie im Sonnenlicht. Im Schatten aufkommender Gehölze jedoch verliert sie allmählich ihren Glanz und droht endgültig zu erlöschen.
So hängt das Erblühen der Silberdisteln mit dem Auf- und Niedergang der Weidewirtschaft eng zusammen. Der Bund Naturschutz Alb-Neckar (BNAN), hat die Silberdistel seit seiner Gründung 1973 im Vereinswappen. Er kümmert sich um die Pflege auch ihrer Standorte. Heute muss sie vollkommen geschützt werden, weil sie viele Areale verloren hat.
Weil sie als Wetterglas oder Hygrometer dienen kann, wird sie häufig auch als Wetterdistel bezeichnet. Ihre silbrigen Hüllblätter ziehen Wasser an, bewegen sich bei feuchter Luft nach innen, schließen sich zu einem Dach zusammen und schützen die Röhrenblüten. Bei trockenem Wetter öffnen sie sich aber wieder weit und strahlen mit der Sonne um die Wette. Bienen, Hummeln, Schmetterlinge und eine ganze Schar anderer Insekten besuchen dieses Nobelrestaurant gern.
»Am stimmungsvollsten sind sie im Herbst auf verbranntem Rasen«
Robert Gradmann, Pfarrer und Botaniker, der im 19. Jahrhundert das umfassende Werk »Das Pflanzenleben der Schwäbischen Alb« verfasste, schrieb über diesen typisch schwäbischen Blumenschmuck der Alb-Heidelandschaften: »Am stimmungsvollsten sind sie im Herbst, wenn aus den kurzen, sonnenverbrannten Rasen ... die weitoffenen, großen weiß strahlenden Blumenkronen der stengellosen Silberdistel wie lauter Sonnen auf der Heide liegen.« Und im Frühjahr kann man auf den kargen Schafweiden ausgebleichte Blütenböden der Silberdisteln ähnlich Nadelkissen als letzten Gruß des Vorjahres finden. (GEA)



