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Aktuell Mobilität

Ohne eigenes Auto über die Schwäbische Alb? Ein Selbstversuch

Von Münsingen aus ins Thermalbad nach Beuren, dann zum Shoppen nach Metzingen, noch ein Eis essen in Pfullingen und wieder zurück nach Münsingen: Einmal quer über die halbe Alb – ohne eigenes Auto? Funktioniert das? GEA-Redakteurin Marion Schrade hat’s gemeinsam mit Rebecca Hummel, die sich bei der Stadtverwaltung Münsingen um alternative Mobilitätskonzepte kümmert, ausprobiert. Ein Trip mit Carsharing, E-Roller, Bus und Bahn.

Auf Tour: Marion Schrade (links) und Rebecca Hummel. Foto: Marion Schrade
Auf Tour: Marion Schrade (links) und Rebecca Hummel.
Foto: Marion Schrade

MÜNSINGEN/REUTLINGEN. Oh mein Gott. Ist das aufregend. Da wartet es schon, das Elektro-Auto, das wir über die Deer-App reserviert haben. Seit einigen Wochen ist Münsingen auf der Karte des E-Car-Sharing-Anbieters Deer verzeichnet – als bisher einziger Standort im Landkreis Reutlingen. Das soll so nicht bleiben, erklärt Rebecca Hummel. Sie weiß: Auch in Reutlingen, Metzingen, Engstingen und in anderen Orten sollen bald Deer-Elektro-Autos zum Ausleihen an entsprechenden Ladesäulen parken. Aber soweit ist es noch nicht. Und bis dahin gilt: Der von Münsingen aus nächstmögliche Ort, an dem man das geliehene Auto wieder abgeben kann, ist bisher Beuren im Nachbarkreis Esslingen. Das Thermalbad in der Gemeinde am Fuße der Burg Hohenneuffen ist das deshalb auch erstes Ziel unseres etwas anderen Roadtrips.

Ohne Vorplanung geht’s nicht

Die Aufgabe unseres Ausflugs-Experiments, bei dem wir insgesamt rund 85 Kilometer zurücklegen werden, haben wir uns selbst gestellt: Wir steuern ein paar Ziele in der Region an, die sich wirklich lohnen – und nutzen dabei möglichst viele alternative Mobilitätsangebote. Mit dabei sind die guten alten Klassiker Bus und Bahn genauso wie E-Roller und E-Bikes, die per Smartphone-App gemietet und bezahlt werden. Für jemanden, der sonst entweder mit dem eigenen Auto oder Rad unterwegs ist, ist vieles ganz schön neu – und ja: echt aufregend.

GEA-Redakteurin Marion Schrade kommt sich im elektrischen Renault Zoé vor wie im Raumschiff. Foto: Marion Schrade
GEA-Redakteurin Marion Schrade kommt sich im elektrischen Renault Zoé vor wie im Raumschiff.
Foto: Marion Schrade

Wenn man sich in Münsingen ein Deer-Auto mieten will, braucht man zunächst einmal die App, sonst geht gar nichts. Spontan runterladen und glauben, dass es dann direkt losgehen kann, ist allerdings keine gute Idee: »Man muss schon ein paar Tage Vorlauf einplanen, weil unter anderem auch der Führerschein geprüft wird«, sagt Rebecca Hummel. Wenn man das geschafft, ein Auto reserviert und es mithilfe der App gefunden hat, wartet schon die nächste Challenge: die Tür aufkriegen. Ohne Smartphone, das wird schnell klar, wäre die Reise hier schon wieder zu Ende. Das »Sesam öffne dich« ist im Fall des Elektro-Autos der Button in der App, mit dem das Auto entriegelt und gleichzeitig entliehen wird. Es macht klick, der fliegende Teppich ist startklar. Theoretisch. Aber ehrlich: Wenn man im Alltag einen 13 Jahre alten Benziner ohne Schnickschnack fährt, kommt man sich im elektrischen Renault Zoé vor wie im Raumschiff. Der erste Schock legt sich schnell, denn eigentlich ist alles ganz einfach – wenn man weiß, wie’s geht. Gestartet wird das Fahrzeug per Knopfdruck, gefahren wird ohne Schaltgetriebe wie im Automatik-Auto. Wahnsinnig leise, wahnsinnig angenehm. Und viel zu schnell vorbei. Nach 30 Kilometern sind wir in Beuren, wo wir das Auto an seiner Ladesäule abstellen. Parken allein reicht allerdings nicht: Die Rückgabe ist erst vollständig, wenn das Auto am Ladekabel hängt, damit der nächste eine volle Batterie hat.

Der Roller macht echt Spaß

Man könnte – nach der Wellness-Pause im Thermalbad (für uns bleibt sie ein Wunsch, wir haben keine Zeit) – einfach wieder mit dem E-Mietwagen zurück nach Münsingen fahren. Unser Abenteuer ist aber noch nicht zu Ende. Deshalb marschieren wir zu Fuß an die Bushaltestelle in Balzholz und lassen uns nach Metzingen chauffieren. Dort könnte man Shoppen oder Kaffee am Kelternplatz trinken. Machen wir in dem Fall nicht, wir wollen weiter nach Reutlingen – und zwar mit dem Zug. Am Metzinger Bahnhof wird eine Verspätung von fünf Minuten angezeigt, aus der erst zehn und dann noch ein paar mehr werden. Wertvolle Zeit, die uns nachher bei unserer Pause im Eiscafé in Pfullingen fehlen wird und die wir mit unserem nächsten Verkehrsmittel auch nicht reinholen können. Denn die türkisblauen Roller des Anbieters Tier, die wir uns nach Ankunft in Reutlingen schnappen und ebenfalls per App entsperren und bezahlen, schaffen maximal 20 Kilometer pro Stunde.

Am Metzinger Bahnhof gibt's eine Zwangspause. Foto: Marion Schrade
Am Metzinger Bahnhof gibt's eine Zwangspause.
Foto: Marion Schrade

Und schon wieder wird’s aufregend: Premiere für eine Älblerin, die noch nie auf einem E-Roller gestanden hat. »Man muss kurz mit dem Fuß anschucken«, sagt Rebecca Hummel. Okay, wie beim guten alten Tretroller ohne Motor also. Das Tier hat im Unterschied zum Oldschool-Modell aus Kindertagen rechts einen orangefarbenen Knopf, auf dem »Go« steht. Einfach mal durchdrücken – und erschrecken. Das Tier galoppiert erstaunlich zackig los.

Nach dem ersten Kennenlernen läuft’s ganz gut, auch wenn das Kopfsteinpflaster in der Metzgerstraße eher ungemütlich ist. Außerdem tut sich der Roller mit seinen kleinen Rädchen schwer mit höheren Kandeln – ein Nachteil, wenn man, wie auf dem Weg nach Pfullingen, zahlreiche Einmündungen überqueren muss. Das Tier tut sich nicht nur schwer, es ist auch schwer – es über einen höheren Absatz zu lupfen macht wenig Freude. Ansonsten ist die Fahrt aber ein großer Spaß – fast schade also, dass sie in Pfullingen endet, wo wir nach einem schnellen Eis in den Bus in Richtung Alb umsteigen.

Mit dem Bus geht's von Pfullingen Richtung Alb. Foto: Marion Schrade
Mit dem Bus geht's von Pfullingen Richtung Alb.
Foto: Marion Schrade

Wir könnten jetzt einfach sitzen bleiben und uns über Unterhausen, Honau und Engstingen heim nach Münsingen kutschieren lassen. Machen wir aber nicht, denn auf unserer Liste fehlt noch was: das Miet-E-Bike. Mit der App checken wir, ob zwei Räder in Kohlstetten am Bahnhof stehen. Warum ausgerechnet in Kohlstetten? Weil Engstingen und Münsingen seit gut einem Jahr Modell-Kommunen im Förderprojekt »Land-Mobil« sind: Sie erproben für den Kreis Reutlingen, ob und wie Angebote aus dem urbanen Raum auch auf dem Land funktionieren – und passen sie entsprechend an. Weil E-Roller für die langen Strecken auf der Alb nicht taugen, setzt der Anbieter Tier hier E-Bikes ein, die man im sogenannten Free-Floating-System mieten kann: Man sucht sich ein freies Bike, legt eine beliebige Strecke zurück, stellt es am Zielort ab und loggt sich aus. Finden kann man die auffälligen Räder, wie auch die Roller in der Stadt, fast überall: Sie warten an Bahnhöfen und Bushaltestellen, vor öffentlichen Gebäuden – oder einfach da, wo sie der letzte Benutzer abgestellt hat. Dafür, dass sie immer einsatzbereit sind, sorgt ein Wartungsteam, das sich auch um das Aufladen des Akkus kümmert.

Das Tier quält sich am Buckel

Wir beenden unseren Ausflug also mit einer kleinen Radtour. Auf den ersten Kilometern Richtung Gomadingen läuft’s ganz gut, im Tal geht’s zügig voran. Die hügelige Alb erweist sich wenig später allerdings nicht nur für die Räder, sondern auch für die, die sie fahren, als Herausforderung. Die E-Bikes sind komfortabel, benutzerfreundlich und robust, aber auch sehr schwer und technisch simpel: Sie haben weder eine Gangschaltung noch verschiedene Leistungsstufen – man muss sich also drauf verlassen, dass das Rad selbst die richtige Übersetzung und Unterstützung wählt. Das tut es allerdings nicht immer. An zwei Anstiegen in Steingebronn und am Dottinger Segelflugplatz kurz vorm Ziel in Münsingen muss man schon in die Eisen steigen, wenn man nicht wieder rückwärts runterrollen oder absteigen will. Schieben ist mit Blick auf das Gewicht der Räder auch keine gute Idee. Wir ziehen’s also tapfer durch und landen glücklich wieder in Münsingen.

Die hügelige Alb ist für E-Bike-Fahrer eine Herausforderung.
Die hügelige Alb ist für E-Bike-Fahrer eine Herausforderung. Foto: Marion Schrade
Die hügelige Alb ist für E-Bike-Fahrer eine Herausforderung.
Foto: Marion Schrade

Fazit: Ein Roadtrip über die Alb ohne eigenes Auto ist möglich. Aber nicht ohne Planung und ohne Handy. Man muss schon frühzeitig Fahrpläne für die »Öffis« checken, die Apps für Deer und Tier runterladen und sich damit beschäftigen, damit man nicht irgendwo in einer Sackgasse landet. Ein bisschen Mut, sich auf etwas Neues einzulassen, gehört dazu.

Ganz billig ist so ein Ausflug auch nicht, insgesamt haben wir pro Person rund 40 Euro ausgegeben. Dafür hat er einen hohen Spaßfaktor, der sein Geld wert ist – vor allem dann, wenn man bisher weder ein E-Auto noch einen E-Roller benutzt hat. Gut: Bei Deer wird nicht nach Minuten, sondern nach Stunden abgerechnet. Der Anbieter sitzt im Schwarzwald und will vor allem auch den Ländlichen Raum bedienen. Hier sind die zurückgelegten Strecken eher lang, die Fahrzeiten sind es auch. 7,90 Euro pro Stunde sind fair. Das ist, gemessen an den Preisen für die Bus- und Bahntickets, vor allem aber auch an den Leihgebühren für die Elektro-Roller und E-Bikes, ziemlich günstig: Der Anbieter Tier nimmt für seine Roller und Räder pro Fahrt einen Euro Grundgebühr und zusätzlich 19 Cent für jede Fahrminute. Für die sieben Kilometer mit dem Roller von Reutlingen nach Pfullingen zahlen wir 6,70 Euro, für die Radtour von Kohlstetten nach Münsingen (14 Kilometer) werden zehn Euro fällig. Dass die E-Bikes leistungstechnisch eher schwach auf der Brust sind, ist für den Alb-Einsatz ein Minuspunkt.

 

Das Elektro-Auto ist gefragt

Potenzial hat das E-Auto, das erst im Juli als neuer Baustein ins »Land-Mobil«-Projekt aufgenommen wurde. Auch wenn Münsingen bisher der einzige Deer-Standort im Kreis Reutlingen ist: Praktikabel ist die Ausleihe trotzdem. Denn in der Regel, schildert Rebecca Hummel die ersten Erfahrungen, wird das Leih-Auto von Menschen genutzt, die von Münsingen aus etwas zu erledigen haben, einen Arztbesuch zum Beispiel, und danach wieder an den Ausgangspunkt zurückfahren. Ebenfalls interessant ist die Möglichkeit, das Elektro-Auto für eine Fahrt zum Flughafen Stuttgart zu nutzen: Dort gibt es eine Deer-Station, an der man es abgeben kann. Gemessen an den Tarifen, die fürs Parken des eigenen Autos fällig werden, ist diese Variante attraktiv. Die Statistik zeigt: Bereits in den ersten 20 Tagen wurde das Auto 16 Mal genutzt. Bedarf ist also da. (GEA)

www.deer-carsharing.de

www.tier.app