Logo
Aktuell Event

Marbach Classics: Slapstick auf Hufen und ein Bariton

Das zehnte Treffen von edler Klassik und stolzen Rössern wird gekrönt von klangstarkem Livegesang

Zwei Hufschmiede und ein Schlagzeuger sind die Stars dieses Beitrags zum Marbach-Classics-Programm: Stefan Jaiser, Markus Kurz v
Zwei Hufschmiede und ein Schlagzeuger sind die Stars dieses Beitrags zum Marbach-Classics-Programm: Stefan Jaiser, Markus Kurz von der Württembergischen Philharmonie Reutlingen und Michael Krehl bei der »Amboss-Polka« von Albert Parlow. Vor dem Wagen die prächtigen langmähnigen Schwarzwälder Wildbach und Weissenbach. Foto: Thomas Warnack
Zwei Hufschmiede und ein Schlagzeuger sind die Stars dieses Beitrags zum Marbach-Classics-Programm: Stefan Jaiser, Markus Kurz von der Württembergischen Philharmonie Reutlingen und Michael Krehl bei der »Amboss-Polka« von Albert Parlow. Vor dem Wagen die prächtigen langmähnigen Schwarzwälder Wildbach und Weissenbach.
Foto: Thomas Warnack

MARBACH. Die Zehn ist voll bei den Marbach Classics. Im zehnten Jahr verschmolzen gestern Abend im Haupt- und Landgestüt Marbach die live gespielten Klänge der Württembergischen Philharmonie Reutlingen (WPR) mit der Eleganz edler Pferde – erneut mitveranstaltet vom Reutlinger General-Anzeiger. Heute Abend ist eine zweite Aufführung – lange ausverkauft wie die erste.

Zur Feier der runden Zahl hatten sich die Organisatoren um Gestütsleiterin Dr. Astrid von Velsen-Zerweck etwas einfallen lassen. Manche Lieblingsnummer aus vergangenen Jahren war nochmals zu sehen. Vor allem aber erfüllten sich Velsen-Zerweck & Co. einen lang gehegten Wunsch: endlich auch mal einen Sänger ins Programm zu integrieren.

Nicht nur für diesen war es ein erstes Mal: Fawzi Haimor, der neue Chefdirigent der Württembergischen Philharmonie, leitete das Orchester zum ersten Mal bei den Marbach Classics. »Nein, ich habe noch nie ein Orchester zu einer Pferdeshow dirigiert«, gesteht er lachend. Als Amerikaner mit arabischen Wurzeln hat er das Reitergen jedoch gleich von zwei Seiten geerbt. Er sitzt gern im Sattel – »die richtige Pferdenärrin in der Familie ist aber meine Tochter«, schmunzelt er.

Swing in der Pferde-Arena

Den Marbach Classics hat er bei der Auswahl der Musikstücke jedenfalls gleich mal eine ordentliche Portion Amerika verpasst. Was sich bewährt, denn so kommt zur Bewegungsenergie der Vierbeiner der Drive des Swing. Mit John Philip Sousas Jazz-Marsch »Semper Fidelis« samt herrlichem Trompetensolo bringt die Philharmonie gleich mal richtig Leben in die Bude.

Die Kutsche mit GEA-Verleger Valdo Lehari, WPR-Intendant Cornelius Grube, Dirigent Haimor und Gestütsleiterin Velsen-Zerweck scheint geradezu hereinzuschweben bei solch energiegeladener Rhythmik. Doch gleich schon geht es in die Urgründe der europäischen Pferdezucht, wie Moderator Jan Tönjes ausführt, seines Zeichens Chefredakteur des Pferdesport-Fachmagazins St. Georg. Aus dem Gestüt Lipica in Slowenien kommen die vier schneeweißen Pferde, die nun mit ihren Reitern ihre Dressurkünste zeigen. Hier in Lipica wurden seit 1580 die berühmten Lipizzaner für den Habsburgischen Hof in Wien gezüchtet, ehe die Zucht im Ersten Weltkrieg nach Österreich verlagert wurde.

Grazie schneeweißer Pferde

Ein Traum, mit welcher Grazie die Pferde ihre Dressurfiguren absolvieren, mal majestätisch federnd, dann wieder ballettartig ausgreifend. Wie perfekt diese kontrollierte Eleganz doch mit dem noblen Groove von Leroy Andersons »Blue Tango« harmoniert! Auch da hat der Amerikaner am Pult wieder auf genau den richtigen Landsmann gesetzt.

Nun wird’s spanisch! Mit Georges Bizets »Carmen«, die erst floppte und dann doch Operngeschichte schrieb. Acht Mädchen und ein Junge von der Marbacher Voltigiergruppe lassen mit ihrer Leiterin Christiane Niethammer zu den iberischen Rhythmen rote Gazetücher wie Flügel durch die Luft schweben. Allein, zu zweit, zu dritt schwingen sie sich auf den Rücken eines Pferdes, halten in anmutigen Posen das Gleichgewicht auf dem bewegten Rücken, bilden gar Pyramiden. So viel Wagemut hätte der wilden Carmen gefallen, der es nie gefährlich genug sein konnte! Wobei diese Balanceakte auch etwas Filigranes haben – so zart wie das zauberhafte Flötensolo Martin Kühns.

Keine Frage, es geht auch kerniger. Mit Albert Parlows »Amboss-Polka«. Da fahren sie auch schon herein, die drei Ambosse auf einem stabilen Kutschwagen. Mit veritablen Hämmern werden sie im Takt bearbeitet von drei muskulösen Mannsbildern: WPR-Schlagzeuger Markus Kurz sowie den echten Hufschmieden Michael Krehl und Stefan Jaiser. Rohe Kraft mal ganz taktvoll, möchte man sagen.

Gefolgt von einer beeindruckenden Stimme. Der kroatische Bariton Miljenko Turk füllt die Halle mit Kraft und Seele. Und natürlich wieder mit etwas Amerikanischem: Songs von Aaron Copland, in denen beseelte Nachdenklichkeit mit flammender Leidenschaft abwechselt, ein zartes Wiegenlied von ausgelassenem Tanzgeist durchkreuzt wird. Den Sänger wird man im zweiten Teil mit weiteren Copland-Liedern hören. Coplands Verbindung von Seele, Temperament und Natur, sie passt hier jedenfalls bestens.

Widerspenstige Vierbeiner

Tierischer Slapstick empfängt uns nach der Pause. Kaum wendet der Franzose Guillaume Assire Becar seinen beiden Pferden den Rücken zu, treiben sie Schabernack mit ihm. Klauen den Hut von seinem Kopf, entledigen sich der Satteldecke, schubsen ihren Reiter. Später, im Zugabenblock, entfaltet Assire Becar ähnliche Komik mit einem Pony und zwei Hunden. Auch die tun alles, nur nicht das, was ihr Herr ihnen scheinbar vorgibt. Diesmal untermalt die Philharmonie das mit vergnügt wippenden mexikanischen Tänzen von William E. Rhoads.

Genug der Clownereien. Gesammelte Kraft füllt nun die Arena. Drei Reiterinnen und drei Reiter auf sechs muskulösen Hengsten durchmessen die Halle in anmutigen Choreografien, eine Demonstration beherrschter Energie. Dazu strahlt vom Orchesterpodest mit nicht weniger Pracht die Opernmusik des französischen Romantikers Emmanuel Chabrier.

Zauberhafte Bilder zu spanischen Klängen: die Voltigiergruppe Marbach.
Zauberhafte Bilder zu spanischen Klängen: die Voltigiergruppe Marbach. Foto: Thomas Warnack
Zauberhafte Bilder zu spanischen Klängen: die Voltigiergruppe Marbach.
Foto: Thomas Warnack

Noch einmal bezaubert einer der Lipizzaner mit Namen Conversano Allegra mit der Eleganz seiner Bewegungen. Diesmal allein und ohne Reiter, geführt an langen Zügeln. Eine Eleganz, die sich wunderbar mischt mit dem feinen Federn der »Hornpipe« aus Händels »Wassermusik«. Noch eine schwungvolle Vierer-Choreografie von Auszubildenden des Gestüts (Joana Bernauer, Saskia Triebig, Oliver Wenz, Theresa Mayer) mit anmutigen Sprüngen über kreuzförmig platzierte Hindernisse – dann ist es schon Zeit für das Schlussbild.

Silberne Herde zu »Solveigs Lied«

Die berühmte »Silberne Herde« füllt die Arena, jene Vollblutaraber, deren Zucht bereits König Wilhelm I. von Württemberg 1816 aus dem Orient ins Schwabenland holte. Es berührt, diese Tiere ohne Zaum und Zügel in ihrer natürlichen Eleganz zu sehen. Und zu erleben, wie sich diese naturhafte Grazie mit den weichen Klängen von »Solveigs Lied« aus Griegs »Peer Gynt«-Musik verbindet.

Natürlich folgt ein Zugabenblock. Noch mal mit tierischem Slapstick sowie mit Dank an Teilnehmer, Veranstalter, Förderer. Mit Sousas Marsch »Stars and Stripes Forever« – so viel Gruß vonseiten des US-Dirigenten muss sein! Am Ende versammeln sich alle Teilnehmer in der Arena, empfangen Blumensträuße und das Orchester zieht es nach Frankreich: mit dem Rákoczy-Marsch aus der Oper »Fausts Verdammnis« von Hector Berlioz. Der Nabel der sinfonischen Pferdewelt jedoch, er liegt auch im zehnten Jahr hintereinander in Marbach. (GEA)