MÜNSINGEN. »Was erwarten sie von diesem Prozess?«, fragte der Staatsanwalt zu Prozessbeginn die Verteidigung: »Wir brauchen einen Freispruch erster Klasse«, antwortete der Kollege. Den bekamen er und sein Mandant auch: Für eine Verurteilung wegen versuchter Unterschlagung und der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen reichten die Beweise nicht, die Staatsanwaltschaft selbst beantragte im Verfahren vor dem Münsinger Amtsgericht einen Freispruch, Richterin Julia Felbinger folgte.
Vor der Strafanzeige durch das Unternehmen stand die Kündigung des Angeklagten, er wollte selbst gehen. Von der Kündigung wurde sein Chef überrascht, aber den Reisenden wollte er auch nicht aufhalten. Der war in höchst verantwortlicher Stellung im Firmengeflecht tätig, hatte Einblick in alle Tochtergesellschaften und Geschäftsbereiche und als gelernter Private-Investment-Banker auch in die Vermögensverhältnisse der Unternehmerfamilie als »Family Office Manager«.
Kündigung aus eigenem Wunsch
Seinem Chef hatte er die Kündigung im Januar 2023 auf den Tisch gelegt, nebst einem millionenschweren Wunsch nach einer Provision oder Abfindung. Sein Ausscheiden hatte er gut vorbereitet, den Arbeitsplatz aufgeräumt und alles, was der Firma gehörte, mitgebracht, bereit fürs Übergabeprotokoll. Einem Kollegen fiel aber auf, dass eine mobile Festplatte fehlte. Die war noch im Rucksack des Angeklagten, auf Nachfrage holte er sie heraus. Ein kurzer Blick auf den Datenspeicher zeigte, dass er voll mit sensiblen Daten war.
Für seinen Chef war klar: Der Scheidende wollte die Festplatte behalten, die Daten verkaufen, vielleicht sogar gegen Lösegeld zurück ans Unternehmen - sein Arbeitgeber witterte Erpressung. Vor Gericht sagte er, dass sein enger Vertrauter nach einer Scheidung - am Vortag der Kündigung - in finanziellen Schwierigkeiten steckte, auch deswegen kam die Kündigung überraschend. Der Chef kündigte dem Mann noch während des Gesprächs fristlos und erstattete Anzeige.
Klarer Fall von Firmenspionage? Ganz so einfach war's nicht, das Gericht nahm sich reichlich Zeit zur Zeugenbefragung. Zuerst mit dem Angeklagten. Der konnte erklären, warum er in Zeiten der IT-Cloud jeden Abend eine Festplatte im Rucksack nach Hause und am nächsten Tag wieder zurückschleppte. Er habe eben mit Daten der Tochterfirma A gearbeitet, die die Tochterfirma B nichts angingen. Mit Partnern und oft mit Anwälten korrespondiert, wo auch technische Details etwa zu Patenten ausgetauscht werden mussten. Und nicht zu vergessen die Verbindungen zur Familie: »Als Investmentbanker weiß man, dass oft sogar die Kinder nicht alles wissen sollen.« Da war es für ihn selbstverständlich, nicht im Firmennetzwerk zu arbeiten. Und die besagte Festplatte nicht vor versammelter Mannschaft vor Chef, Steuerberater, IT-Chef und einem Kollegen auf den Tisch zu legen. Er wollte sie unter vier Augen überreichen und den Inhalt noch erläutern. Richterin Felbinger hielt das zumindest für plausibel.
Die Zeugen, Beschäftigte des Unternehmens, sagten aus, dass der Mann mehrfach aufgefordert werden musste, die Festplatte herauszugeben. Ein Kollege hatte die Platte bei der Übergabe vermisst. Mit einem »Meinst du die?«, hat der Angeklagte sie dann aus seinem Rucksack gezogen. Das mehrmalige Nachhaken rechnete Richterin Felbinger ihm zu seinem Ungunsten an, es könnte auch auf die mittlerweile etwas aufgeheizte Atmosphäre zurückgeführt werden.
Hoch sensitive Daten auf externer Festplatte
Blieb die Frage zu klären, ob mobile Festplatten im Unternehmen üblich waren. Gibt's bei uns nicht, sagte der Geschäftsführer. Sein IT-Leiter relativierte das etwas: Das Marketing nutze sie bei großen Datenmengen, etwa bei Filmaufnahmen. USB-Sticks gebe es, sagten Geschäftsführer und IT-Leiter, für Präsentationen oder etwa um Daten von einem Rechner auf einen anderen zu schaufeln, wenn das über das Netz zu lange dauern würde. Allerdings seien die Übergänge zwischen Stick und mobiler Platte mittlerweile fließend. Die besagte Festplatte hatte ja auch nur die Größe eines Smartphones. Auf jeden Fall hätte er mit der Platte jeden Tag im Büro, dass er sich mit dem Geschäftsführer und zwei Kollegen teilte, offen gearbeitet. Daran konnte sich keiner der Zeugen erinnern, allerdings musste wenigstens der Kollege, der das gute Stück vermisste, davon gewusst haben. Er konnte wegen Krankheit nicht am Prozess teilnehmen.
Wo die Festplatte abgeblieben ist, konnte im Prozess nicht geklärt werden, beim Geschäftsführer, glaubte der IT-Leiter, beim IT-Leiter sein Chef. Auf jeden Fall seien auf der Platte 70.000 Dokumente gewesen, »das gesamte Know-how des Unternehmens«, sagte der Geschäftsführer. Die Polizei hatte sich bei ihren Ermittlungen nicht darum bemüht, die Platte sicherzustellen und zu sichten.
Aussage gegen Aussage
Für das Urteil spielte die Hardware auch keine Rolle. »Sie sind freizusprechen«, sagte der Staatsanwalt. Im Kern gehe es um die Festplatte, ob der Angeklagte die Absicht hatte, sie mitzunehmen, könne »hier nicht bestätigt werden«. Dass er die Festplatte am voraussichtlich letzten Arbeitstag bei sich hatte, deute eher darauf hin, dass er sie übergeben wollte. Er hätte sie ja einfach zu Hause lassen können. Der Angeklagte sei ein unbescholtener Bürger und genieße einen Vertrauensvorschuss. Richterin Felbinger folgte seiner Argumentation weitgehend. Vom Vorwurf der Unterschlagung sei er schon freizusprechen, weil er besagte Platte selbst gekauft hatte. Ob die Daten rechtmäßig auf der Platte waren, können nicht geklärt werden, hier stehe Aussage gegen Aussage. (GEA)
Transparenzhinweis: In einer früheren Version des Artikels war im Vorspann von »Datendiebstahl« die Rede. Richtig ist jedoch »versuchter Datendiebstahl«. Außerdem stand im ersten Absatz, die Staatsanwaltschaft habe die Einstellung des Verfahrens beantragt. Richtig ist jedoch, dass ein Freispruch beantragt wurde. Beides haben wir korrigiert. Präzisiert haben wir zudem, dass die Aussage zur Scheidung des Angeklagten von dessen Chef getätigt wurde.