HOHENSTEIN. Die Hohensteiner Gemeinderäte können ihre Burg jetzt drehen und wenden und von allen Seiten betrachten: Das digitale 3D-Modell der Ruine, das der 23-jährige Ingenieur Jan Reimer in der Sitzung präsentierte, machte Eindruck. Zu verdanken ist es nicht zuletzt einem glücklichen Zufall. Denn Alexander Beetz sitzt nicht nur im Hohensteiner Gemeinderat, er ist auch Professor an der Hochschule für Technik in Stuttgart. Und als Reimer, damals noch Student der Vermessungstechnik und Geoinformatik, auf der Suche nach einem Thema für seine Bachelor-Arbeit war, kam Beetz da so eine Idee ...
Die digitalen Bilder und Animationen, die Reimer auf Basis zahlreicher Messungen und Aufnahmen - zum Einsatz kamen verschiedene Laserscanner und Drohnen - erzeugt hat, sind keine Spielerei. Sie verschwinden nicht in irgendeiner Schublade, sondern werden dringend gebraucht: Sie sind die Datengrundlage für Architektin Stefanie Mayer vom Laichinger Büro Ott und Statikerin Ursula Kallenbach, die die Sanierung des Bauwerks, nach dem die Gemeinde vor 50 Jahren benannt wurde, planen und koordinieren. Das Duo ist eingespielt, die beiden Frauen führten auch auf der Mega-Baustelle Hohenurach Regie.
Exakte Bilder der Schadstellen
Mit der photogrammetrischen Auswertung - so heißt das Verfahren, mit dem Reimer die Bilder aufgenommen und zum Modell zusammengesetzt hat - haben Mayer und Kallenbach exakte geometrische Informationen zu ihrem Sanierungsobjekt, das bis ins winzigste Detail realitätsgetreu abgebildet wird. Die Bilder zeigen jeden Stein, jeden Riss dreidimensional und ermöglichen damit eine exakte Schadenskartierung, die Mayer dem Gemeinderat vorstellte. Fazit: Der Bergfried ist in schlechtem Zustand, wobei die Schäden auf der Ostseite noch vergleichsweise gering sind. Auf allen anderen Seiten gibt es zahllose Risse, lose Steine und Ausbruchstellen. Moose, Algen und andere Pflanzen haben dem Mauerwerk zugesetzt und der Feuchtigkeit Tür und Tor geöffnet, die Schäden schreiten rapide voran. Burghof und Ringmauer bleiben von der Sanierung unberührt.
Die Restaurierung ist so unvermeidbar wie kostspielig. Seit Frühsommer 2024 schon ist der Turm eingerüstet. Stellen, an denen lose Steine Besucher gefährden könnten, wurden mit massiven Holzkonstruktionen von Zimmerleuten gesichert. Provisorien, keine Dauerlösung. Ende August rechnet Mayer mit der Baugenehmigung. Die Arbeiten - gesucht wird vor allem ein denkmalerfahrener Maurer, der sich mit den Techniken und Materialien für Restaurierungen auskennt und die nötige Ausrüstung besitzt - könnten dann noch im Herbst ausgeschrieben werden. Sobald es im Frühjahr frostfrei ist, soll der Baustellenbetrieb losgehen.
Die im 11. Jahrhundert errichtete und bis ins 15. Jahrhundert genutzte Burg gilt nach Paragraf 28 des Denkmalschutzgesetzes als Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung, berichtete Mayer. Das ist schön für die Gemeinde, der ihr Wahrzeichen zweifellos lieb und teuer ist - buchstäblich, denn die voraussichtlichen Sanierungskosten ließen Verwaltungsleute und Gemeinderäte dann doch erschrocken schlucken. Die Fachfrauen kommen auf insgesamt 525.000 Euro - viel für eine kleine Gemeinde, die sich vom Denkmalschutz auch ein Stück weit im Stich gelassen fühlt.
Es gibt zwar Fördergelder, versicherte Mayer, und man bemühe sich auch darum, weitere Quellen aufzutun. Gesichert sind bisher aber gerade mal 24.000 Euro. Eine halbe Million Euro muss die Kommune im ungünstigsten Fall also selbst aufbringen - in Zeiten, in denen etliche andere Aufgaben anstehen und entscheidende Weichen für die Zukunft gestellt werden. Dass die Sanierung des Hohenurach mit viereinhalb Millionen Euro um ein Vielfaches teurer war, mag wenig trösten. Denn im Gegensatz zur Gemeinde Hohenstein, die als Eigentümerin der Ruine in der Instandhaltungspflicht ist, musste die Stadt Bad Urach den Geldbeutel überhaupt nicht aufmachen - die Uracher Burgruine gehört dem Land.
Baustelle auf schwierigem Gelände
Bereits in den 1980er-Jahren wurde die Ruine Hohenstein schon einmal saniert - ebenfalls auf einer Datengrundlage, die die Stuttgarter Hochschule geliefert hatte, damals noch in einem analogen Verfahren mit Glasnegativen und Tuschezeichnungen. Das Ergebnis war für die damalige Zeit sehr gut, sowohl was die Kartierung als auch die Sanierungsarbeiten selbst angeht. Das betonten die Vermessungsfachleute ebenso wie die beiden Bauexpertinnen. Pfusch am Bau ist also nicht der Grund dafür, dass nach rund 40 Jahren wieder umfangreiche Arbeiten anstehen - es ist schlichtweg der Lauf der Zeit, wie Kallenbach betonte: »Die haben in den 80ern einen tollen Job gemacht, da haben wir schon anderes gesehen.« Was damals galt, gilt heute wieder: Die Natur wird sich die Burg zurückerobern, »die nachfolgende Generation wird wieder etwas tun müssen«. Den Bewuchs zu dezimieren, verlangsamt den Prozess, verhindert ihn aber nicht.
Warum die Sanierung so viel Geld kostet? »Das ist alles sehr arbeitsintensiv«, erklärte die Architektin, ihre Kollegin Kallenbach betonte: »Wir machen, was notwendig ist.« Die Fachfrauen veranschaulichten das, was auf der Baustelle passieren wird, anhand von Bildern vom Hohenurach. Lose Steine werden mit Mörtelmischungen nach historischem Vorbild wieder zusammengefügt, Risse gefüllt, fehlende Mauerteile mit passgenau behauenen Ersatzsteinen ersetzt. Um die Statik zu sichern, werden Bohrungen, Stangen und Stahlnadeln gesetzt und eingezogen. Die Ostseite des Turms , wo das Mauerwerk noch relativ homogen sei, so Mayer, kann abgebürstet werden, die anderen Seiten werden leicht feucht abgestrahlt. Auch die Umstände machen die Sanierung teuer: Die Einrichtung einer Baustelle im Wald auf hügeligem Terrain ist schwierig, »man muss alles hochtragen, es gibt kein Wasser und keinen Strom«, erläuterte Mayer. Und auch die Vorgaben der Denkmalpflege schlagen sich in Zahlen nieder - allein schon deshalb, weil eine umfangreiche Dokumentation gefordert wird. (GEA)