ENINGEN. »Ja bitte?« Frank Ausmeier gibt das »Fräulein vom Amt«. Am Apparat ist Jürgen Schauer, er möchte verbunden werden. Deshalb hat er den schweren Hörer seines Telefons in die eine Hand genommen, mit der anderen die Kurbel am Gerät gedreht und in der Vermittlungsstelle angerufen. Dort wird wieder gekurbelt, ein Stecker umgesteckt, der Anrufer mit dem gewünschten Gesprächspartner verbunden und aufgelegt.
Kein Handy in der Tasche? Keine Kontakte gespeichert? Guthaben aufgebraucht? Welchen unglaublichen Sprung die Telefonie in den vergangenen Jahrzehnten gemacht hat, das zeigen die beiden gelernten Fernmeldehandwerker eindrücklich in einer interaktiven Ausstellung im Heimatmuseum Eningen. Sie nehmen Besucher mit in eine Zeit, in der es einem Wunder glich, dass die menschliche Stimme auf Reise gehen kann.
Davon, dass jeder Haushalt sein eigenes Telefon zuhause stehen hat, war man damals natürlich noch meilenweit entfernt. In Eningen wurde 1897 die erste Telephonumschaltstelle eröffnet, im Postamt des Gasthofes Traube & Post. Vier Jahre später zählte das Reutlinger Telefonnetz immerhin bereits 175 Teilnehmer – inklusive Eningen. Zehn bis 15 Telefone, schätzt Ausmeier, gab es damals in der Achalmgemeinde.
»Acht Minuten haben 23 Pfenning gekostet«
Erst viele Jahre später fanden Fernsprechtischapparate Einzug in die Haushalte. Mit ihnen wurde dank Wählscheibe selbstständiges Anrufen möglich. Die Geräte blieben Eigentum der Deutschen Bundespost, wurden lediglich gemietet, so Ausmeier. Alle Extras kosteten extra – ein längeres Kabel 60 Pfenning, erinnert sich Schauer. Auch für den über die Jahre gewachsenen Komfort musste gelöhnt werden, für die Wahlwiederholtaste etwa oder für Speicherplätze. Ebenso fürs Tastenfeld, was den Schwaben natürlich gar nicht schmeckte, wie Ausmeier lachend erzählt. Nach dem Motto »Des zahl’ i ed, i ko dreha« hätten sich viele mit der Wählscheibe zufriedengegeben.
»Sie haben die Wahl« hieß es auch bald in Sachen Optik: Wurden die ersten Apparate in schlichtem Kieselgrau gehalten, standen später auch Modelle in Ockergelb, Lachsrot, Hellrotorange und Farngrün zur Auswahl. Wer auch hier sparen wollte, stülpte dem Gerät einfach eine Haube aus Brokatstoff über und sorgte so für Abwechslung.
Klein ist der Raum im Eninger Heimatmuseum, in dem jährlich eine neue Sonderschau zu sehen ist. Groß die Erzählungen und Anekdoten, die Frank Ausmeier – Eninger mit Begeisterung für Geschichte – und sein Arbeitskollege Jürgen Schauer aus Ammerbuch auf Lager haben. Beide teilen sie eine Sammelleidenschaft. In der von ihnen innerhalb nur eines Monats konzipierten Schau stehen daher auch viele Stücke aus ihrem eigenen Fundus. Das Älteste aber ist eine Leihgabe: ein Fernsprechapparat OB5 aus dem Jahr 1905, der heute einen enormen Sammlerwert hat.
Stunden können Besucher hier verbringen und Wissenswertes, gut verständlich aufbereitet, erfahren. Von der Entwicklung des Fernmeldewesens in Eningen etwa, von Gebührenzählern (»Acht Minuten haben 23 Pfenning gekostet«, weiß Schauer), und vom großen Brand in der Reutlinger Vermittlungsstelle, der 1998 die halbe Stadt lahmgelegt hat. Zudem können Besucher verschiedenste Techniken selbst ausprobieren.
»Das ist eine ganz andere Welt heute«
Ausmeier und Schauer haben miterlebt, wie die staatseigene Bundespost in privatrechtliche Aktiengesellschaften überging. Heute ist die Telekom ihr Arbeitgeber, aus "Postlern" wurden Servicetechniker. »Das ist eine ganz andere Welt heute«, sagt Ausmeier. "Früher hatte man zwei Drähtle und hat das Telefon angeschlossen – heute ist das Ganze fast undurchschaubar." Auch der Anspruch der Kunden habe sich geändert. Seien diese früher froh gewesen, wenn nach drei Monaten der Fernmelder endlich kam ("Sitzen Sie hin, trinken Sie einen Sprudel", habe es dann geheißen), müsse heute alles ganz schnell gehen.
Rückwärtsgewandt aber sind die beiden bewanderten Fachmänner nicht. Auf einem Tisch veranschaulichen sie, wie mit Glasfaserkabeln Hochleistung in die Haushalte einzieht. Von einem »Wahnsinns-Wandel« spricht Ausmeier. Die Technik sei wesentlich komplizierter geworden, für die Nutzer vieles einfacher.
Ein Fragezeichen tut sich allerdings bei Kindern und Jugendlichen auf, die die Schau besuchen, haben Ausmeier und Schauer amüsiert festgestellt. »Die stehen ahnungslos vor der Wählscheibe.« Die Experten liefern gern Erklärungen. (GEA)
ÖFFNUNGSZEITEN
Noch an drei Sonntagen ist die Ausstellung »Telefone aus 100 Jahren« im Heimatmuseum Eningen zu sehen. Am 4., 11. und 18. August, jeweils von14 bis 17 Uhr. Die beiden Experten sind an allen Sonntagen anwesend. (hai)