LICHTENSTEIN. Aus den Regalen des Lebensmittelhandels sind Biomarken nicht mehr wegzudenken. Es gibt große wie Bioland, Naturkind oder Demeter. Das von der Unesco anerkannte Biosphärengebiet Schwäbische Alb tummelt sich seit einiger Zeit mit der kleinen, landeseigenen Dachmarke Albgemacht auf dem Markt. Zurzeit läuft an zwei Testmärkten ein Modellversuch mit Rewe Südwest. An diesem ist auch die Universität Hohenheim beteiligt. Man geht der Frage nach, wann Menschen bereit sind, regionale Produkte auch im Zusammenhang mit Artenvielfalt auf Produktionsflächen zu kaufen.
Die Mini-Marke will mehr als regional sein, die Produkte sollen unmittelbar die Kulturlandschaften des Biosphärengebiets wie Streuobstwiesen und Wacholderheiden schützen. »Die Marke besteht seit fünf Jahren und läuft gut. In der Nachfrage von Verbrauchern ist noch Luft nach oben«, sagt Rainer Striebel vom Regierungspräsidium Stuttgart, Teamleitung Naturschutz und Landnutzung. Unter den Erzeugern bei Albgemacht ist auch die Lichtensteinmühle in Lichtenstein im Kreis Reutlingen.
Familienbetrieb in vierter Generation
Zwei Schwestern, Michaela Frech und Ann-Catrin Knupfer , haben dort den Familienbetrieb in vierter Generation übernommen. Michaela Frech (31) hat Ernährungswissenschaft studiert, ihre zwei Jahre jüngere Schwester Agrarwissenschaft. Die 29-Jährige ist Müllermeisterin. Vier Mitarbeiter arbeiten in der Produktion, durchschnittlich werden pro Tag drei bis vier Tonnen Getreide vermahlen. »Das ist im Vergleich zu anderen Mühlen sehr wenig«, erklärt Michaela Frech. Die Geschäfte laufen gut, sagen beide Schwestern. Die Mühle ist spezialisiert auf Verarbeitung und Herstellung von Dinkelmehlen und verwendet dazu alte Dinkelsorten.
Nur ein geringer Teil des Getreides, das die lokalen Landwirte im betriebseigenen, 7000 Quadratmeter großem Getreidelager im benachbarten Engstingen anliefern, wird vermahlen. »Der Rest kommt in den Handel«, sagt die 29-Jährige. Sie ist es, die die Preise mit den Landwirten und den Händlern aushandelt. Daneben betreiben sie auch einen Hofladen. Beide Schwestern haben ihre Büroräume in der Mühle in ihren ehemaligen Kinderzimmern eingerichtet. Der Produktionsraum mit seinen Walzen und Rohren - insgesamt sind mehrere Kilometer im ganzen Haus verteilt - ist gleich nebenan. Die Rohre müssen mehrmals täglich abgeklopft werden, eine Aufgabe, die auch die Schwestern übernehmen. Die Müllermeisterin prüft auch regelmäßig die Mehlqualität, das in einem Walzenstuhl der Mühle gemahlen wird.
Zur Produktpalette von Albgemacht gehören Milch, Apfelsaft, Rot- und Weißwein, Lammsalami, Lammschinken, Rindermaultaschen, verschiedene Dinkelmehltypen und seit kurzem auch Dinkelbackwaren, Kartoffeln, Käse und Joghurt. Im Verbund sind neben der Lichtensteinmühle unter anderem eine Schäferei (Kräuterlamm), ein Edelbrenner, eine Metzgerei, zwei Weingärtnergenossenschaften, eine Hofmolkerei und eine Dorfbäckerei. »Eine Regionalmarke funktioniert, wenn man im Handel eine Blockplatzierung bekommt«, erzählt Striebel. Doch die sei im Einzelhandel sehr umkämpft. Die Abnahme entscheide. »Wenn die Produkte gut laufen, dann bleiben sie dort.« Striebel sieht das Biosphärengebiet als Modellregion für nachhaltige Entwicklung. »Wir haben Zeit, um etwas auszuprobieren.«
Die Leiterin des Fachgebiets Management und Konsumverhalten an der Universität Hohenheim in Stuttgart spricht in diesem Zusammenhang von einem Nischenprodukt. »Zahlenmäßig werden die Produkte nie im Massenmarkt funktionieren«, sagt Verena Hüttl-Maack. Bei der Abnahme müsse man in Zielgruppen denken. »Kunden, die dort einkaufen, unterstützen lokale Erzeuger. Das ist eine große Motivation.«
Herkunft der Produkte ist bekannt
Ein weiterer Grund für den Kunden, sich für diese Produkte zu entscheiden, sei, dass man wisse, woher das Produkt komme. »Man hat einen Bezug zum Produkt und das ist ein Mehrwert«, sagt Hüttl-Maack. Der Zusammenbruch der Lieferketten während der Corona-Pandemie habe bei den Menschen zunehmend das Bewusstsein dafür erzeugt, dass man in heimischen Regionen anbauen müsse. »Ich würde erwarten, dass sich das fortsetzt - bedingt durch den Ukraine-Krieg.« Im Juli hatte Russland das Getreideabkommen zur Ausfuhr von ukrainischem Getreide aufgekündigt.
Im grün-schwarzen Koalitionsvertrag wurde ein Strategiedialog Landwirtschaft vereinbart. Dieser soll die kleinstrukturierte, bäuerliche Landwirtschaft in Baden-Württemberg erhalten und gleichzeitig die biologische Vielfalt stärken. Beim ersten Treffen der Akteure betonte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) die Bedeutung der Versorgungssicherheit. »Der Angriff auf die Ukraine hat manche Selbstverständlichkeit ins Wanken gebracht. Auch die, dass wir uns um Lebensmittelsicherheit keine Sorgen machen müssen. Deshalb tun wir gut daran, regional und ressourcenschonend zu produzieren«, sagte Kretschmann damals. (dpa)