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Darum will Wannweil keinen Landeplatz für Rettungshubschrauber

Rettungshubschrauber
Ein Rettungshubschrauber setzt zur Landung an. Foto: Matthias Balk
Ein Rettungshubschrauber setzt zur Landung an.
Foto: Matthias Balk

WANNWEIL. Dienstag 19 Uhr, der Wannweiler Gemeinderat trifft sich im Gemeindehaus zur Sondersitzung darüber, ob in Ortsrandlage auf den Höhen nahe der B 28 ein Start- und Landeplatz für einen Rettungshubschrauber gebaut werden darf oder nicht. Das Land möchte den bisher in Leonberg stationierten Hubschrauber Christoph 41 auf die Achse Tübingen – Reutlingen verlegen, um bisher notärztliche unterversorgte Gebiete vor allem auf der südlichen Schwäbischen Alb abzudecken. Das hatte das Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement am Münchner Uniklinikum empfohlen.

Bevor die Bürgervertreter das Wort haben, haben es die Bürger. Ihre Fragestunde artet schnell zu einer Statement-Dreiviertelstunde aus. Die Stimmung ist aufgeheizt. Ans Saalmikrofon treten fast ausschließlich Unzufriedene. Gegner des Vorhabens, das Kreis und Kreiskliniken Reutlingen stark befürworten, könnte es doch auch deren Attraktivität als Arbeitgeber stärken.

Darum gibt's keinen Hubschrauber-Landeplatzes in Wannweil

Den Gegnern geht es um Lärmschutz, um Landverbrauch, um zurückgedrängte Landwirtschaft. »Warum tut sich die Gemeinde so etwas an?«, fragt ein Mann, der 42 Jahre im Ort lebt, »die gesamte Wohnqualität geht flöten«, meint er. Dabei hat ein vom Kreis in Auftrag gegebenes Gutachten ergeben, das die Dauer- und Spitzenlärmbelastung durch angenommene 1 200 Rettungsflüge pro Jahr unterhalb der gesetzlichen Richtwerte liegt. Eine Umweltverträglichkeitsvorprüfung ergab keine erheblichen Eingriffe in die Natur durch den 2 250 Quadratmeter großen Start- und Landeplatz. Eine Machbarkeitsstudie hält die Fläche auf den Wannweiler Höhen nahe der B 28 für gut geeignet für einen Hubschrauber-Landeplatz. Die Helis brauchen An- und Abflugschneisen mit flachen Winkeln.

Fachmeinungen, die an der Position der am Saal-Mikro stehenden Leute nichts ändern. Mit Applaus bestätigen sie sich gegenseitig. Bürgermeister Dr. Christian Majer muss sich harte Vorwürfe gefallen lassen. »Sie sind gewählt, um unsere Bürger-Interessen zu vertreten«, sagt ein Mann, »das vermisse ich.« Mit fester Stimme ohne Mikro hinter seinem Tisch stehend macht Majer deutlich: »Es geht um Vorgaben von außen und um eine Entscheidung nach sorgsamer Abwägung verschiedener Interessen.«

Die Gemeindeverwaltung hatte mit dem Kreis einen Kompromissvorschlag ausgehandelt: Hubschrauberflüge nur zwischen 6 und 22 Uhr (das war ohnehin nicht anders geplant), Lärmschutzmaßnahmen für den nahe beim diskutierten Star- und Landeplatz gelegenen Lindenhof, keine Kosten für die Gemeinde durch den neuen Heli-Stützpunkt, vielmehr eine marktübliche Pacht für diesen als Einnahmen. Die Pacht beziffert Dominik Nusser, Geschäftsführer der Kreiskliniken, auf etwa 17.000 Euro im Jahr.

Kreis Reutlingen und Kreiskliniken machen Werbung

Bevor’s in die Ratsdebatte geht, bekommen Vertreter von Kreis und Kreiskliniken 20 Minuten lang das Wort. Ruhig argumentieren sie. Gespannte Stille im Publikum. Kein Applaus. Der Erste Landesbeamte Hans-Jürgen Stede argumentiert mit den kürzeren Eintreffzeiten, die der umgesetzte Heli ermöglichte, und damit, dass jeder Notfallpatient binnen 60 Minuten in der Klinik sein könne. »Bei schwierigen Notfällen zählt jede Minute.«

Der Hubschrauber könnte auch Rettungswagen für Einsätze freisetzen. Prof. Dr. Friedrich Pühringer, Ärztlicher Direktor der Kreiskliniken, spricht von »einer einmaligen Chance. Eine Neuordnung der Luftrettung gibt es in Baden-Württemberg nur alle 50 Jahre«. In Leonberg hätten sich 27.000 Bürger per Petition für den Erhalt des Hubschraubers Christoph 41 ausgesprochen, in Friedrichshafen über 30 000. Den Lärm eines im Schnitt fünfmal am Tag fliegenden Hubschraubers sieht Pühringer gegenüber dem B-28-Verkehrslärm als untergeordnet an.

FL: Wannweiler waren »überwiegend für das Projekt«

Im Empfinden der Unzufriedenen ist er trotzdem beklagenswert. In der einstündigen emotionalen Gemeinderatsdebatte, in der Fraktionszwang klein- und die eigene Gewissensentscheidung großgeschrieben werden, kommen auch die mit dem Hubschrauber-Vorhaben Zufriedenen zur Geltung: vermittelt durch Räte wie Ulrich Joos (FL). »Ich hatte Kontakt zu rund 100 Bürgern. Weit überwiegend waren sie für das Projekt«, berichtet er und meint: »Ein Bürgerentscheid wäre sinnvoll gewesen.«

Auch Dr. Christoph Treutler (GAL) hat »eine große Zahl positiver Rückmeldungen bekommen. Viele sagen ›Den Rettungshubschrauber brauchen wir.‹«. Er selbst hält die Lärmentwicklung durch den Hubschrauber über Wannweil für zumutbar und den Flächenverbrauch durch den Landeplatz »nicht so hoch«. Es sind negative Begleiterscheinungen, die Treutler dem Hilfszweck des weithin einsetzbaren Hubschraubers unterordnet.

Das sagen die Projektgegner

Erich Herrmann (CDU) führt die Rednerliste der Projektgegner an, spricht den Flächenverbrauch der kleinsten Gemeinde – »drei Hektar bester Ackerboden« – an, den Naherholungswert des dortigen Streuobstgebiets und dass dort ein theoretisch für künftige Generationen mal denkbares Gewerbegebiet wegen der flachen An- und Abflugwinkel nur noch eingeschränkt zur Verfügung stehen könne. »Wir appellieren an das Innenministerium, neue Alternativen zuzulassen, auch im Bereich der Stadt Reutlingen.« Man möge eine Ausnahmegenehmigung für das Areal Dr. Seuffer im Gebiet Mark West prüfen. Dieses hält das Land aber wegen der zu steilen An- und Abflugwinkel nicht für geeignet als Helikopter-Stützpunkt.

Ruth Uhlisch (GAL) lehnt den Wannweiler Start- und Landeplatz ebenfalls ab. »Es gibt Alternativen auf dem Dach der BG-Klinik Tübingen.« Die Klinik bewirbt sich beim Land um den Standort. Auch Armin Dieterle (SPD) ist gegen die Stationierung von Christoph 41 auf eigener Gemarkung: »Die kleinste Gemeinde im Kreis gibt einen großen Anteil an Platz ab«. Fraktionskollegin Sigrun Franz-Nadelstumpf wertet anders: »Manchmal ist es einfach nötig, dass man Belastungen in Kauf nimmt. Der Rettungshubschrauber ist nötig.« – »Wieso muss der Standort auf der Achse Reutlingen – Tübingen sein?«, fragt Martina Lietz (FWV) wie zuvor bereits Erich Herrmann. Sie regt an, den Leonberger Rettungshubschrauber dort zu belassen und zusätzlich einen in Engstingen-Haid zu stationieren. »Er sollte dort stationiert werden, wo er eingesetzt wird.« Den Standort Haid hat das Land bisher als nicht als geeignet angesehen. Ein Zusatzhubschrauber wäre zudem ein zusätzlicher Kostenfaktor.

Innenministerium entscheidet über alternativen Standort

Das Stuttgarter Innenministerium wird nach dem ablehnenden Wannweiler Beschluss und über alternative Hubschrauber-Landeplätze zu entscheiden haben. Wannweil, nah bei den Kliniken Reutlingen und Tübingen gelegen, ist raus aus der Nummer, nachdem viele Menschen aus dem Ort vehement Wannweiler Interessen geltend gemacht haben. Kreis und Kreiskliniken werden ihr Heli-Stützpunkt-Konzept nicht beim Regierungspräsidium Tübingen einreichen.

21 Uhr, Applaus aus den Einwohnerreihen am Ende der Sondersitzung. »Es geht nicht immer nur um einen selber«, hatte Bürgermeister Majer vor der Abstimmung gemahnt. Nach dem Ergebnis kann er zumindest als Erfolg verbuchen, dass der Beschluss nach intensivem Austausch von Argumenten unter breiter Beteiligung der Bürger zustandekam. Kein Rat und keine Rätin hat sich die Entscheidung leicht gemacht. Kalt gelassen hat das Thema kaum einen in Wannweil.

Kritik von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer

Und auch nicht den Tübinger OB Boris Palmer. »Wie soll eine Gemeinschaft bestehen können, wenn Gemeinderäte sogar ablehnen, Standort eines Rettungshubschraubers zu werden?«, schreibt er am Mittwoch auf Facebook. Klinikchef Pühringer spricht im SWR von einer »verpassten Jahrhundertchance«. (GEA)