KUSTERDINGEN. Es muss nicht immer Bluesgrass sein – zwar steht die erstaunlich junge US-amerikanische Volksmusik am Samstagabend im Kusterdinger Klosterhof im Mittelpunkt, ganz nebenbei dürfen dort aber auch andere Stile hereinschauen. Verwandt sind sie alle, Können erfordern sie, Stimmung bringen sie ins ausverkaufte Haus: Musiker, die alle in Deutschland leben und den schnellen Saitenschlag viele Jahre lang geübt haben. Leider aber: Sie sind zum letzten Mal an diesem Ort.
»Aufhören, solange es noch Spaß macht und rund läuft!« – so schreibt es Dieter Stoll im kurzen Text zu einem Abschied, der am Samstag in der Tat ein langer ist: Um 19 Uhr beginnt der Bluesgrass im Klosterhof, erst nach Mitternacht soll er enden. Fünf Bands und Interpreten sind nach Kusterdingen gekommen, werden mitunter auch ein zweites Mal die Bühne betreten. Sie sind aus Nordhessen, Bayern, Oberschwaben und dem Raum Stuttgart angereist; ihr Publikum ist manchmal ebenso weit gekommen. Die Bluegrass-Szene lebt vom Enthusiasmus der versierten Amateure. Sie alle, die da spielen, gehen ihrem Hobby schon seit vielen Jahren nach, fühlen sich ein in die Musik und ihre Stimmung, beherrschen ihre Instrumente.
Bluesgrass wird zumeist schnell gespielt, die Banjosaiten tanzen dann im endlos variierten harten Schlag, der Gesang liegt mehrstimmig auf dem Mikrofon, das natürlich ganz im alten Stil bereitsteht, die Mandoline flicht ihren Klang in dieses Muster ein.
Entstanden ist diese Musik erst zu Beginn der 1940er-Jahre in ländlichen Regionen der USA als Hybrid anderer Volksmusiken. Allein deshalb gelingt es dem Bluegrass schon, vieles zu integrieren: die Countrymusik, den Gospel, auch ein wenig Jazz und Swing.
»Man sagt zum Bluegrass manchmal auch Redneck-Jazz«, sagt Dieter Stoll. Der Grund: Hier wie dort gibt es eine große Anzahl an Stücken, die zu den Standards gehören, die jeder versierte Musiker beherrscht. So wird die Session, das spontane Zusammenspiel möglich. Im Repertoire findet sich dann auch das eine oder andere Stück, das anderen Ursprungs ist – am Samstag im Kunsterdinger Klosterhof eine Bluegrass-Version von Robbie Robertsons »The Weight«, mit bester Laune vorgetragen von den Grass Root Ties.
In historischem Kostüm
Begonnen hat der Abend mit Horse Mountain, dem Duett von Dieter und Birgit Stoll, Gitarre und Kontrabass. Die Sacred Sounds of Grass aus Hessen mischen den Bluegrass mit dem Spiritual; Sally Greenfield aus Ravensburg begleitet sich selbst auf der Gitarre, singt mit viel Energie und einer vollen warmen Stimme. Dann kommen die Grass Root Ties – ein Amerikaner, ein Engländer, zwei Deutsche.
Die Four Potatoes schließlich, daheim im Raum Stuttgart, widmen sich der noch älteren Musik, den Vorläufern des Bluesgrass, spielen mit Geige, treten auf in historischem Kostüm, aber sehr lebhaft. Spät abends werden sie sich alle zum Finale auf der Bühne treffen – dann ist es vorbei: Zehn Jahre lang ruhte die Organisation des kleinen Festivals ganz auf den Schultern von Dieter und Birgit Stoll. Sie ziehen sich zurück, versprechen aber noch gelegentlich das eine oder andere Konzert zu organisieren, mit amerikanischen Künstlern dann. (GEA)