TÜBINGEN/REUTLINGEN. Der Name ist etwas sperrig: »Systemimmunologie an biologisch-technischen Grenzflächen«. Was sich dahinter verbirgt, ist aber für alle Menschen wichtig, die Implantate im Körper tragen – Teile, in denen menschliches Gewebe auf Materialien wie Metall oder Kunststoff trifft. Viereinhalb Jahre haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut (NMI) der Universität Tübingen in dem von EU und Land geförderten Projekt die Immunreaktionen an medizinischen Oberflächen erforscht.
Ziel war, ein grundlegendes Verständnis von Immunreaktionen zu entwickeln, die Medizinprodukte hervorrufen. Basierend auf diesen am NMI gewonnenen Erkenntnissen soll die Verträglichkeit von Medizinprodukten verbessert werden.
Viele Implantate sind darauf ausgelegt, ein Leben lang im menschlichen Körper zu bleiben. Doch ist es bekannt, dass alle Fremdmaterialien eine Immunantwort hervorrufen. Während einige Reaktionen milde verlaufen, kann es im schlimmsten Fall zu starken Entzündungen kommen, die zum Versagen eines Implantats führen können oder Nebenwirkungen beim Patienten hervorrufen. Diese Nebenwirkungen können bereits unmittelbar nach der Implantation auftreten oder sich über Monate und Jahre hinweg entwickeln.
Neue Beschichtungen entwickelt
Um diesem Problem zu begegnen, haben die Forscher des NMI die Interaktion zwischen Immunsystem und verschiedenen Biomaterialien untersucht und dabei auch Verfahren entwickelt, die eine Alternative zum Tierversuch darstellen. Dr. Christopher Shipp, Leiter des Projekts, sieht den konkreten Mehrwert der Untersuchungen in dem daraus entstandenen Wissen: »Mit diesem Projekt haben wir ein wesentlich besseres Verständnis von Immunreaktionen erlangt, die Biomaterialien hervorrufen. Dieses Wissen kann als Grundlage für die Entwicklung neuer Generationen von Implantaten mit verbesserter Funktionalität und Biokompatibilität dienen.«
Die Wissenschaftler um Dr. Shipp, der die Gruppe »Grenzflächenimmunologie« am NMI leitet, haben eine Reihe von Eigenschaften von Biomaterialien identifiziert, die Immunreaktionen beeinflussen. Hierzu wurden verschiedene Prüfmethoden genutzt, die bereits am NMI etabliert waren. Darüber hinaus hat das Team mehrere neuartige Beschichtungen entwickelt, die nun genutzt werden können, um die Immunantwort auf Medizinprodukte, beispielsweise Implantate, zu modifizieren.
Dabei arbeiteten die Wissenschaftler eng mit Dr. Hanna Hartmann und ihrer Gruppe »Regenerative Materialien« am NMI zusammen. Denn neben immunologischem Hintergrundwissen waren für das Gelingen des nun abgeschlossenen Projekts Kenntnisse über Oberflächeneigenschaften und geeignete Modifikationsstrategien essenziell.
Gebündelte Kompetenz
Das Projekt bündelte Kompetenzen aus Bioinformatik, Immunologie, Materialforschung, molekularer Diagnostik und Medizintechnik. So brachten diverse akademische und industrielle Partner ihre Expertise in das Projekt ein: Neben der Hochschule Reutlingen und der Universität Tübingen beteiligten sich die Firmen CeGaT GmbH, HOT Screen GmbH und Mediagnost GmbH an dem Projekt. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden bereits auf internationalen Konferenzen präsentiert. (u)