TÜBINGEN. »Wir freuen uns sehr, dass das Tuch nun wieder Teil einer lebendigen jüdischen Gemeinde sein kann und in den religiösen Alltag integriert wird«, sagte Wiebke Ratzeburg, Leiterin des Tübinger Stadtmuseums, bei der feierlichen Übergabe im Gemeindezentrum der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) in Stuttgart.
Gemeinsam mit der Provenienzforscherin Andrea Richter überreichte sie das Tuch an Michael Kashi, Cláudia Marx Rosenstein und David Holinstat von der IRGW. Das Tuch soll künftig bei Gottesdiensten als Auflage für den Amud, das Lesepult des Vorbeters, in der kleinen Synagoge in Stuttgart dienen. Ein Foto davon wird zukünftig den Ausstellungsteil zur Tübinger Synagoge im Stadtmuseum Tübingen bereichern. Das gewebte Tuch aus Wolle und Baumwolle mit hebräischer Inschrift stammt aus den 1920er-Jahren. Die Recherchen von Richter haben ergeben, dass das Tuch eine Dankesgabe der Gesellschaft der Zionsfreunde war. Diese Bewegung war in Osteuropa verbreitet und unterstützte Auswanderer nach Palästina. Die Forschung zur Herkunft des Tuches war möglich, weil das Stadtmuseum eine Stelle zur Provenienzforschung eingerichtet hat, die von der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste Magdeburg gefördert wird.
Wie das Tuch nach Tübingen kam, ist nicht geklärt. Nach der Plünderung der hiesigen Synagoge soll eine Bürgerin es aus dem Neckar geborgen und aufbewahrt haben. Nachdem der evangelische Theologie-Professor Otto Michel 1957 das Institutum Judaicum in Tübingen gegründet hatte, übergab man ihm das Tuch. Nach dessen Tod 1994 schenkte die Witwe Michels es dem Stadtmuseum. (t)