TÜBINGEN/ULM/KONSTANZ. In der letzten Eiszeit lebten Nashörner im Gebiet des heutigen Deutschlands. Das dokumentieren zahlreiche Knochenfunde und nun auch genetische Spuren, die ein Forschungsteam unter der Leitung von Professorin Laura Epp und Dr. Peter Seeber von der Universität Konstanz gemeinsam mit der Universität Tübingen und dem Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg jüngst ausgewertet hat. Beteiligt waren die Archäozoologin Dr. Keiko Kitagawa von der Universität Tübingen sowie die Archäobotanikerin Dr. Elena Marinova-Wolff und die Archäologin Dr. Yvonne Tafelmaier, beide vom Landesamt für Denkmalpflege und Lehrbeauftragte der Universität Tübingen.
Bei Ausgrabungen in Höhlen des Lonetals nordöstlich von Ulm, dem Bockstein-Loch und Hohlenstein-Stadel durch die Universität Tübingen in den 1930er-Jahren sowie durch das Landesamt für Denkmalpflege zwischen 2008 und 2013 fanden sich nahezu versteinerte Exkremente von Hyänen aus der mittleren Altsteinzeit. Dieser Zeitraum zwischen 60.000 und 45.000 Jahren vor heute, die Zeit der späten Neandertaler, wird auch als spätes Mittelpaläolithikum bezeichnet. Neue genetische Analysen brachten nun zutage, dass die Hyänen Wollnashörner verdaut hatten.
Wie in einer Zeitkapsel
In einem Kooperationsprojekt rekonstruieren die Forscherinnen und Forscher die Tier- und Pflanzenwelt der späten Neandertaler in Südwestdeutschland. Dabei erweisen sich fossile Exkremente als hervorragende Datenquelle. »Diese fossilen Exkremente werden Koprolithen genannt. Sie sehen versteinert aus, sind aber sehr porös, fast wie Bimsstein, und nicht wirklich versteinert«, erklärt die Umweltgenomikerin Laura Epp. Wie in einer Zeitkapsel komprimiert und vor Verunreinigung geschützt enthalten sie Hinweise nicht nur auf die Produzenten der Exkremente, sondern auch auf deren Nahrung, die verdauten Tiere und Pflanzen.
Ein Team der Universität Konstanz um Laura Epp konnte nachweisen, dass diese Ausscheidungen DNA des Wollnashorns enthalten: Die Hyänen müssen Wollnashörner erbeutet und gefressen haben. Die Funde belegen, dass diese beiden Tierarten damals im heutigen Süddeutschland vorkamen. Zudem konnte das Forschungsteam anhand der Funde erstmals ein komplettes mitochondrielles Genom des europäischen Wollnashorns erstellen. Zwar ist der größte Teil der DNA jeweils im Kern einer Zelle zu finden, doch erlaubt auch die DNA aus Mitochondrien, bestimmten Organen der Zelle, Rückschlüsse auf den Stammbaum dieses europäischen Wollnashorns und dessen Verwandtschaftsbeziehungen zu sibirischen Artgenossen.
Erkenntnisse zum Stammbaum
Die Konstanzer Biologin Laura Epp nutzt für die Rekonstruktion der Flora und Fauna vor Jahrtausenden genetische Ablagerungen in Sedimenten von Gewässern oder aus Ausgrabungen. Die DNA-Rückstände von Tieren, Pflanzen und auch Algen verraten vieles über das frühere Leben und Zusammenleben. Dass sie aber ausgerechnet in fossilen Exkrementen auf relativ gut erhaltene Spuren eines Wollnashorns stoßen würde, war überraschend. Die Koprolithe wurden aufgebohrt und die darin gefundene DNA genetisch sequenziert und analysiert. Sie stammte von zwei verschiedenen Tieren, von der Hyäne und vom verdauten Wollnashorn. Eine zweite Probe aus einer weiteren Höhle im Lonetal ergab eine sehr ähnliche Spur: wieder eine Hyäne, wieder ein gefressenes Wollnashorn. (pm)