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Tübinger Archäologe mit dem »Fund des Jahres«

Ein Elfenbeinfragment verbindet bereits vorhandene Fundstücke aus dem Hohle Fels bei Schelklingen zu einem ganz neuen Bild.

Im Hohle Fels gemachter »Fund des Jahres«: Tierfigur als Bärendarstellung neu bewertet.
Im Hohle Fels gemachter »Fund des Jahres«: Tierfigur als Bärendarstellung neu bewertet. Foto: Steffen Wurster
Im Hohle Fels gemachter »Fund des Jahres«: Tierfigur als Bärendarstellung neu bewertet.
Foto: Steffen Wurster

BLAUBEUREN. Kleine Fundstücke können viel verändern, den Blick auf eine Epoche und den Blick auf jahrzehntelange Forschung. Professor Nicholas Conard und Ria Litzenberg vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen haben im Urgeschichtlichen Museum (Urmu) in Blaubeuren so einen Fund als »Fund des Jahres« vorgestellt.

Es handelt sich um ein sorgfältig geschnitztes Fragment einer größeren – nicht großen – Figur, das vom Archäologen Rudi Walter im Juni vergangenen Jahres in der Welterbehöhle Hohle Fels bei Schelklingen gefunden wurde.

In der Höhle hatten die Ausgräber bereits 1999 eine Elfenbeinschnitzerei entdeckt und als Schädel eines Pferdes interpretiert. Der »Fund des Jahres« wirft ein neues Bild auf die Sache. Das Fragment passt ohne Zweifel zum »Pferdekopf« und verbindet andere Fragmente mit dem ersten Fund. Die jetzt fünf Puzzleteile zusammengenommen, wird aus dem Pferd ein Bär: mit dem typischen Bärenbuckel und dem massigen Körper und in einer Körperhaltung, die den trottenden Gang eines Bären zeigt.

Puzzle nach 24 Jahren gelöst

Der Fund des Jahres ist nicht groß: 3,99 Zentimeter lang und 2,49 Zentimeter hoch. Fragment und »Pferdekopf« zeigen feine Schraffuren, solche konnten auch auf anderen Elfenbeinteilen gefunden werden. Das Puzzle gelöst hat Zeichner Ralf Ehmann, der Funde aufs Papier bringt und so dokumentiert. »Die Zeichner kennen die Stücke meist am besten«, würdigte Conard.

Im Urmu konnte man bisher nur einen Bären bewundern, hoch aufgerichtet und leicht zu klassifizieren. Nach einem Vergleich mit dem neuen Bären wurde auch eine andere Figurine als Bär eingestuft – aus eins mach drei.

Mitbewohner Höhlenbär

Damit bekommt der Bär, beziehungsweise der Höhlenbär, eine andere Bedeutung. Die erste Löwenmensch-Darstellung war zwar eine Sensation, sagte Conard bei der Pressekonferenz im Urmu, aber erst als andere Löwenmenschen auftauchten, war klar, dass hier etwas wie eine gemeinsame Philosophie oder sogar Religion entsteht. »Stellen Sie sich vor, nach 30.000 Jahren wird eine Christusdarstellung ausgegraben. Das bedeutet wenig. Wenn dann immer mehr auftauchen, wird klar, dass etwas Größeres dahintersteckt.« Das Pferd hat dafür an Reputation verloren, das Urmu hat jetzt nur noch eines.

Nicholas Conard und Ria Litzenberg im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren bei der Vorstellung des »Fundes des Jahres«.
Nicholas Conard und Ria Litzenberg im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren bei der Vorstellung des »Fundes des Jahres«. Foto: Steffen Wurster
Nicholas Conard und Ria Litzenberg im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren bei der Vorstellung des »Fundes des Jahres«.
Foto: Steffen Wurster

Die meisten Funde im Hohle Fels sind Höhlenbärenknochen. »Die Bären waren immer in der Höhle, die Menschen nur ab und an«, sagte Conard. Ob der Bär beziehungsweise Bärenfigurinen kultische Bedeutung hatten, ist damit aber nicht sicher. »Der Löwenmensch ist eindeutig kultisch, der Bär ist ein Bär«, versuchte Ria Litzenberg eine Einordnung. »Aber auch hinter einer Tierdarstellung kann mehr stecken.« Auf jeden Fall haben sich die Ur-Älbler vor ungefähr 35.000 Jahren intensiv mit ihrem Mit-Höhlenbewohner auseinandergesetzt, das macht die magische Zahl Drei jetzt deutlich. Wobei der Vegetarier Höhlenbär vom Allesfresser Mensch beziehungsweise Homo sapiens durchaus auch despektierlich getötet und verspeist wurde, wie eine Speerspitze in einem Bärenrückgrat und Schabespuren an Knochen belegen. Im Hohle Fels haben immer wieder auch Neandertaler gelebt. Die dort gefundenen Kunstwerke seien aber sehr eindeutig Homo sapiens zuzuordnen, erläuterte Conard.

Urgeschichtliches Museum

Der jetzt nahezu komplettierte Höhlenbär kann ab sofort im Urgeschichtlichen Museum, Kirchplatz 10 in Blaubeuren, besucht werden. Das Urmu hat dienstags bis sonntags und an Feiertagen von 10 bis 17 Uhr geöffnet. (GEA)

Zwischen dem Fund des »Pferdekopfs« über die Entdeckungen verschiedener Fragmente bis zum »Fund des Jahres« lagen 23 Jahre kontinuierlicher Forschungsarbeit. 24 Jahre, bis der Bär zu erkennen war. Vollständig ist die Figurine noch nicht, aber: »Da ist noch mehr«, sagte Conard mit leuchtenden Augen, »die Höhle verliert nichts.« Und fast schon bedauernd: »Es geht nicht um Schatzsuche.« Die Arbeit geht also weiter. (GEA)