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Stadtführung zu Tübingens düsteren Orten

In der Halloween-Nacht wurden unter Leitung von Inge Schettler gruselige Orte in Tübingen aufgesucht

Inge Schettler ließ bei der Stadtführung über das gruselige Tübingen die Teilnehmer hinter die Fassaden sehen.  FOTO: STRAUB
Inge Schettler ließ bei der Stadtführung über das gruselige Tübingen die Teilnehmer hinter die Fassaden sehen. Foto: Andreas Straub
Inge Schettler ließ bei der Stadtführung über das gruselige Tübingen die Teilnehmer hinter die Fassaden sehen.
Foto: Andreas Straub

TÜBINGEN. In der Dunkelheit ging es am Sonntag auf der Tübinger Neckarinsel los zum Grusel vergangener Tage, während junge Leute in schaurigen Kostümen zu Halloween durch die Stadt zogen. Stadtführerin Inge Schettler zeigte zwei Dutzend Leuten die düsteren Orten der Universitätsstadt.

Früher steckten die Wasserläufe die gesellschaftlichen Grenzen in Tübingen ab, sagte Schettler. Der Neckar war bis ins 19. Jahrhundert die natürliche Südgrenze von Tübingen, die Ammer war die Nordgrenze. Dazwischen war der Ammerkanal, der am Ammerhof bei Unterjesingen abzweigt und die Oberstadt von der Unterstadt trennt. Durch den Ammerkanal war die universitäre Oberschicht von den ärmlichen Weinbauern in der Unterstadt getrennt.

Kindsmörderin enthauptet

Die Universitätsangehörigen hatten ihre eigene Gerichtsbarkeit. Das letzte Todesurteil fällten sie bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts über eine Kindsmörderin, die als Hausmädchen eines Professors unehelich schwanger geworden war. Sie wurde im Universitätskarzer eingesperrt und auf dem Hinrichtungsplatz vor der heutigen Gaststätte Neckarmüller enthauptet. Das einstige Studentengefängnis Karzer ist derzeit nicht für die Öffentlichkeit zugänglich und konnte auch bei der Führung nicht besichtigt werden.

Versteckt unter dem ehemaligen Kollegiengebäude der Juristischen Fakultät in der Münzgasse liegen die zwei tonnenförmige Arrestzellen, die ältesten noch erhaltenen in Deutschland. Weil die Wandmalereien der Touristenattraktion immer mehr beschädigt wurden, sperrte die Stadtverwaltung 2014 den Zugang für die Öffentlichkeit. Massen von Besuchern streiften nicht nur mit Schuhen, Rucksäcken und Taschen an den Wänden, sondern veränderten durch ihre Anwesenheit auch das Klima in den Räumen.

An der Neckarfront, in der Bursagasse, berichtete Schettler von einem Justizirrtum. Hinter dem heutigen Geschäft Olivle ist das Haus der »Giftvögtin« Susanna Weber. Sie wurde im 18. Jahrhundert beschuldigt, ihren Mann, der Vogt war, mit einer Kirschsuppe vergiftet zu haben. Zuvor hatte sich das kinderlose Ehepaar über Jahre hinweg so heftig gestritten, dass manchmal Möbelstücke im Neckar lagen, erzählte Schettler. Doch trotz einer peinlichen Befragung unter Folter gestand Susanna Weber den Gattenmord nicht.

Als man in dem Fall nicht weiterkam, exhumierte man den Leichnam des Vogts und untersuchte ihn in der Gerichtsmedizin in Straßburg, weil man die Tübinger Mediziner für befangen hielt. Als der Straßburger Pathologe einen natürlichen Tod feststellte, entließ man Susanna Weber und gestand ihr ein lebenslanges Wohnrecht in dem Anbau ans Vogtshaus in der Bursagasse zu. »Fürs Volk blieb sie schuldig und man nannte sie weiterhin die Giftvögtin«, erzählte Schettler.

Leichname von Hingerichteten

Gegenüber vom Nonnenhaus, einem ehemaligen Beginenkloster, ist heute eine Geigenbauwerkstatt. Der Anbau dieser Werkstatt enthielt einst ein Plumpsklo, dessen Fäkalien direkt in den Ammerkanal fielen, sagte Schettler. Insgesamt gab es 24 solcher Plumpsklos in der Unterstadt. Gereinigt wurde die Unterstadt durch Überflutung des Ammerkanals, wobei der gesamte Schmutz zum Schmutztor in der Langen Gasse hinausgespült wurde.

Zentrum der Unterstadt ist neben dem ehemaligen Spital und der Fruchtschranne die Jakobuskirche. Neben der Jakobuskirche stand einst die Konradskapelle, die als erstes Anatomiegebäude in Tübingen genutzt wurde. Dort wurden von Medizinstudenten die Leichname von Hingerichteten, Selbstmördern und Ertrunkenen seziert. Als man die Konradskapelle als Anatomie Mitte des 19. Jahrhunderts aufgab, brach man sie ab. Schettler nannte den Grund dafür: »Weil man nicht mehr an dieses gruselige Geschehen erinnert werden wollte.« (GEA)