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Lokalpolitiker aus Tübingen und Reutlingen entdecken Clubhouse für sich

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hat's heute mal ausprobiert, lokale SPD'ler haben daraufhin gleich eine Konter-Talkrunde einberufen. Was kann die App Clubhouse auf lokaler Ebene?

Boris Palmer hat sich in der App Clubhouse versucht.
So sieht eine Gesprächsrunde auf Clubhouse aus: Boris Palmer berichtet vom »Tübinger Weg«. Foto: Kathrin Kammerer
So sieht eine Gesprächsrunde auf Clubhouse aus: Boris Palmer berichtet vom »Tübinger Weg«.
Foto: Kathrin Kammerer

TÜBINGEN. Ein Fazit vorneweg: Stressfreier als eine Diskussion unter einem Facebook-Posting ist eine Talkrunde auf der App Clubhouse allemal. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer zumindest zieht nach seinem ersten Talk-Auftritt heute ein positives Fazit. Das sei viel besser, als alles, was er bisher auf Social Media erlebt habe, sagt der Tübinger OB, der auf seinem Facebook-Profil oft mit einer schieren Flut an (nicht immer nur netten) Kommentaren konfrontiert wird: »Kein einziger, der sofort rumgeschrien hat, was die anderen für Idioten sind.«

Das liegt zunächst schlichtweg in der Natur der App: Zu Wort kommt man in einer Clubhouse-Talkrunde nur, wenn einen die Moderatoren sozusagen auf die Bühne bitten und einem das Wort erteilen. Da Clubhouse eine reine Audio-App ist, muss man seine Meinung verbal kund tun. Auch das minimiert die Chance, dass hier ein aggressives Klima entsteht, wie unter manch einem Facebook-Posting: Beschimpfungen fallen verbal erfahrungsgemäß schwerer, als wenn man sie (oft anonym) in die Tastatur hämmert.

Zuhörerschaft ist deutlich kleiner als auf Facebook

Boris Palmer und Björn Eichstädt, Mitglied der Geschäftsführung der PR-Agentur Storymaker, hatten heute zum Talk über die als »Tübinger Weg« bekannt gewordene Corona-Strategie von Boris Palmer, Lisa Federle und Co. geladen. Mit 80 bis 120 Zuhörern war das Publikum deutlich kleiner, als das, das Palmer sonst auf Facebook erreicht. Dort folgen ihm knapp 60.000 Menschen. Ein Blick auf die Zuhörer-Profile zeigt auch: Die Zuhörerschaft bei Palmers Clubhouse-Talk war lange nicht so divers, wie die auf Facebook. Rund drei Viertel der Teilnehmer waren Männer. Die meisten Zuhörer schienen laut ihrer Profil-Beschreibung aus der PR- und Medienwelt zu kommen, oder aus der Politik.

»Warum wird der Tübinger Weg nicht in ganz Deutschland umgesetzt?«, fragte Moderator Eichstädt Boris Palmer. Dieser sah den Haupt-Widerstand in der »Lauterbach-Gruppe der öffentlichen Meinungsmacher«, die »immer härtere Maßnahmen fordern«, anstatt endlich bessere und zielgerichtetere Maßnahmen zu etablieren. Dann erzählte der Tübinger OB von einem dreiminütigen Anruf der Bild-Zeitung - und wie der »Tübinger Weg« durch den darauf folgenden Artikel endlich deutschlandweit Beachtung fand. Es ging kurz um die Rolle der Medien in der Pandemie, dann um Palmers Wünsche für die Zukunft in puncto Corona. 

Kaum ist der Palmer-Talk im Gange, lädt die lokale SPD auch schon zum Gegen-Talk. Foto: Kathrin Kammerer
Kaum ist der Palmer-Talk im Gange, lädt die lokale SPD auch schon zum Gegen-Talk.
Foto: Kathrin Kammerer

Noch während der »Tübinger Weg«-Talk in vollem Gange war, lud der Reutlinger SPD-Politiker Sebastian Weigle gemeinsam mit dem Bodenseekreis-SPD-Chef Leon Hahn zu einer Contra-Talk-Runde mit dem Namen: »Kann Clubhouse überleben, wenn Boris Palmer da ist?« 15 Minuten lang ging es um Boris Palmers Selbstdarstellung auf Social Media (Zitat Hahn: »Profilneurose«) und darum, dass der »Tübinger Weg« für Hahn eigentlich gar kein spezifischer Tübinger Weg ist: »Ich glaube, dass der große Neuigkeitswert (...) in der öffentlichen Vermarktung des Oberbürgermeisters besteht.« Dann das Fazit von Weigle: »Wir können davon ausgehen, dass Clubhouse in Zukunft nicht nur Bodo Ramelow kennt, sondern auch Boris Palmer.« Mit einem Unterschied, so Hahn: »Ramelow hat nicht damit gerechnet, dass er damit durch die Medien geht.«

Ruhiger und einfacher Austausch

Ein Fazit: Wer TV-Talkshows, bunte Instagram-Stories und Facebook-Kommentarspalten gewohnt ist, den dürfte die Ruhe bei Clubhouse im positiven Sinn überraschen und im negativen Sinn langweilen. Die App hebt die altbekannte Podiumsdiskussion in den virtuellen Raum, was besonders in Corona-Zeiten praktisch ist. Auf Clubhouse können sich sowohl der Bürgermeister von Haslach im Kinzigtal als auch ein Firmenchef aus Düsseldorf via Handy völlig problemlos mit Palmer austauschen. Auch Tübinger Bürger können ihre Fragen - wohl so hürdenlos wie auf keiner anderen Plattform - an den OB richten. Dieser ist am Ende zufrieden: »Das hat Potential.« SPD'ler Hahn dagegen befürchtet, dass der Tübinger OB die App nutzen wird, um gezielt Journalisten in Clubhouse-Talks einzuladen - und somit entsprechende Zitate zu platzieren. (GEA)