Logo
Aktuell Kino

Kein Schutz vor digitalem Schmutz?

Die Tübingerin Christiane von Wahlert war zwei Jahrzehnte Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft. Wie die FSK arbeitet, und welche Herausforderung für den Jugendschutz das Internet ist.

Was in den 50er Jahren als zu erotisch gegolten hat, ist heute fast schon Allgemeingut. Auf diesem Archivbild filmt ein Kamerama
Was in den 50er Jahren als zu erotisch gegolten hat, ist heute fast schon Allgemeingut. Auf diesem Archivbild filmt ein Kameramann im Deutschen Filmhaus das Plakat zum damaligen Skandalfilm »Die Sünderin« mit Hildegard Knef. FOTO: DPA
Was in den 50er Jahren als zu erotisch gegolten hat, ist heute fast schon Allgemeingut. Auf diesem Archivbild filmt ein Kameramann im Deutschen Filmhaus das Plakat zum damaligen Skandalfilm »Die Sünderin« mit Hildegard Knef. FOTO: DPA

TÜBINGEN. Wer Filme im Kino oder auf DVD liebt, kennt die Alterskennzeichnungen der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft. Seit 70 Jahren sorgt die FSK für den Jugendschutz, zwanzig Jahre davon ist die Tübingerin Christiane von Wahlert Geschäftsführerin gewesen. Es sind die Jahre, in denen Filme zunehmend auf anderen Wegen konsumiert werden. Doch wer schützt Minderjährige vor digitalem Schmutz aus dem Internet?

»Das ist ein Problem«, sagt Christiane von Wahlert mit Blick auf das Netz und seine Streamingdienste. Zwar habe die FSK seit 2011 eine Online-Abteilung, »aber das Ganze ist freiwillig. In Rundfunk und Internet hat der Anbieter die Verantwortung«, so die Filmliebhaberin. Jedoch würden vor allem amerikanische Verkäufer von laufenden Bildern aller Art »fahrlässig« mit dem Jugendschutz umgehen. Faktisch finde bei Youtube, Netflix & Co. keine wirkliche Alterskontrolle statt, »das Regulierungsmodell der FSK greift da nicht«, so Wahlert. Wohl eher aus Gründen des Marketing, oder weil bestimmte Serien irgendwann auch mal auf DVD verkauft werden sollen, würden Konzerne die FSK um eine Bewertung bitten. »Amazon schickt uns manche Eigenproduktionen, weil sie das FSK-Label wollen«, nennt die Tübingerin als ein Beispiel. Eltern sollten sich dessen bewußt sein.

»Smartphone nicht zu früh«

»Unter Jugendschutz-Gesichtspunkten wird die eigene Medienkompetenz immer wichtiger«, mahnt Christiane von Wahlert eine entsprechende Begleitung und Erziehung im Elternhaus und in der Schule an. Ihre Empfehlung: »Ein Smartphone nicht zu früh, und die Kinder dazu bringen, über verstörende Inhalte zu sprechen«. Oder eben ins Kino schicken, weil dort das sehr schlau nach dem Krieg von der amerikanischen Besatzungsmacht konzipierte Kontrollmodell greift.

Die Tübingerin Christiane von Wahlert ist zwei Jahrzehnte lang Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtsc
Die Tübingerin Christiane von Wahlert ist zwei Jahrzehnte lang Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft gewesen. Die Herausforderungen für den Jugendschutz sind in dieser Zeit gewaltig gewachsen. Foto: Stephan Zenke
Die Tübingerin Christiane von Wahlert ist zwei Jahrzehnte lang Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft gewesen. Die Herausforderungen für den Jugendschutz sind in dieser Zeit gewaltig gewachsen.
Foto: Stephan Zenke

Freiwillig ist die Selbstkontrolle, weil sämtliche der FSK nicht vorgelegten Filme »automatisch nur für Erwachsene ab 18 Jahren freigegeben sind«. Es handele sich juristisch um ein »Verbot mit Erlaubnisvorbehalt«. Im Prinzip ist alles erst einmal nur für Volljährige, es sei denn die FSK stuft es niedriger ein. Deswegen legen Filmproduzenten ihre Werke sehr gerne vor. Unabhängig sind die Bewertungen der FSK durch ehrenamtlich von diversen staatlichen Organisationen berufene Prüfer, die ebenso weisungsfrei wie vertraulich entscheiden sollen und dürfen. Während ihres 70-jährigen Bestehens haben die FSK-Prüfer fast 250 000 Filme, Trailer und andere Inhalte begutachtet. »Die Filmwirtschaft, also die Produzenten und Programmanbieter, haben Null Einfluß«, betont von Wahlert. Umstritten sind manche FSK-Freigaben dennoch, was am äußerst schwierigen Balanceakt zwischen zwei Grundrechten liegt.

Die Freiheit der Kunst steigt bei jeder Altersbewertung mit dem Schutz der Jugend bildlich gesprochen in den Ring. »Es geht um die Einschätzung der Wirkung, und das ist eine Vermutung«, beschreibt die Tübingerin den schmalen vom Zeitgeist beeinflußten Grat, und nennt dafür mehrere Beispiele aus der Filmgeschichte.

Noch sauber, oder zu sexy?

Im zugeknöpften Nachkriegsdeutschland sorgt der Film »Die Sünderin« etwa 1950 wegen einer Nacktszene mit Hildegard Knef für einen handfesten Skandal. Der Streifen wurde in die damals höchste Stufe als »ab 16« einsortiert. »Die Sünderin ist heute ab 12 freigegeben«, sagt von Wahlert. Eben weil sich der Zeitgeist geändert, und damit auch die Wirkungserwartung gewandelt hat. Ähnliches gilt auch für Wim Wenders »Im Lauf der Zeit«, der Ende der 70er Jahre für Diskussionen sorgt. In dem Roadmovie ist nur angedeutet eine Masturbationsszene zu sehen, wobei nicht wirklich etwas zu betrachten wäre. Deswegen hat ihn die FSK erst ab 18 freigegeben, bei einer Neuvorlage viele Jahre später dann aber ganz anders entschieden, »der ist jetzt ab 6 Jahren. Kein Mensch hat sich mehr an der Szene gestört«, so von Wahlert, »die Bewertungspraxis hat sich enorm im Bezug auf die Darstellung von Erotik und Sexualität verändert«. Das bedeute aber keinesfalls eine durchweg lässigere Einstellung der Prüfer. »Der Umgang mit Gewalt in Filmen ist sensibler geworden«, meint die ehemalige FSK-Geschäftsführerin. Deswegen sind manche knallharten Italo-Western bis in die Gegenwart hinein nur für Volljährige zugelassen. Wenn ein Antragsteller mit dem Ergebnis der Prüfer nicht einverstanden ist, dann kann er Widerspruch einlegen. Wie sieht Christiane von Wahlert die nächsten 70 Jahre der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft?

»Die FSK hat Zukunft, wenn wir unser Verfahren so weiterentwickeln, dass sich auch Anbieter im Netz des Instrumentes bedienen«, meint die Tübingerin. Geht es nach ihren Nachfolger im Amt des Geschäftsführers, Stefan Linz, sollten Filme online und offline in Zukunft gleich behandelt werden: »Es sind die gleichen Inhalte, die bei den Zuschauern auch die gleiche Wirkung erzielen«, sagt er. (GEA)

Zahlen und Fakten zu 70 Jahren FSK

Die FSK ist eine 1949 gegründete Einrichtung der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft und hat ihren Sitz in Wiesbaden. Die Gesellschaft finanziert sich zu 100 Prozent aus den Gebühren, die etwa Verleihfirmen für die Altersprüfung ihres Filmes zahlen. Der jährliche Etat der FSK beträgt rund drei Millionen Euro, die Prüfung eines Spielfilms kostet je nach Länge zwischen 1 000 und 1 500 Euro. Es gibt verschiedene Stufen - ohne Altersbeschränkung, ab 6, 12 oder 16 Jahren sowie keine Jugendfreigabe (FSK ab 18). Während Filme im Kino und auf DVD aufgrund des Jugendschutzgesetzes geprüft werden, gilt bei Online-Angeboten der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Länder. (dpa)

www.spio-fsk.de