KUSTERDINGEN-WANKHEIM. Es ist vor allem ein Ringen um Verantwortung und Zuständigkeiten, das wurde am Informationsabend über den Zustand und die Perspektiven des Jüdischen Friedhofs Wankheim zumindest deutlich. Eingeladen in das Wankheimer evangelische Gemeindehaus hatte der Förderverein für die jüdische Kultur in Tübingen. Moderiert wurde die Diskussion von Hausherrin Pfarrerin Christine Eppler.
Eppler war es auch, die nach über zwei Stunden Vortrag und Debatte den Vorschlag machte, sich wenigstens auf einen Termin zu einigen, an dem sich die verantwortlich fühlenden Stellen für weitere Beratungen treffen sollten. Die Zeit drängt, das gab der Kusterdinger Restaurator Fabian Schorer anhand von kürzlich aufgenommenen Fotos unmissverständlich zu verstehen: »Bei einigen Grabsteinen ist jede Woche mit dem Verlust einer ganzen Zeile zu rechnen«, erklärte Schorer den über 50 Zuhörern.
Bei manchen Grabsteinen kämen jedoch jegliche Bemühungen bereits zu spät, hier könne der Verfallsprozess nur noch verlangsamt werden. »Der Boden ist hochgradig versalzen und greift die Steine von unten an«, teilweise seien auch die im Stein vorhanden Salze verantwortlich, dass die Steine »regelrecht aufgesprengt« werden, so der Kusterdinger Restaurator.
»Der Boden ist hochgradig versalzen und greift die Steine von unten an«
Ob Wurzelwerk oder herabfallende Äste, vom Umfallen bedrohte Grabmale oder ein Baum, der sich auf einen Stein lehnt, bis hin zu Schäden durch Vandalismus: Schorer möchte behutsam restaurieren, sich auf die Ablesbarkeit der Inschriften konzentrieren und der Architektur des Steins Rechnung tragen, vor allem die Standsicherheit für die nächsten Jahre ermöglichen.
»Der Wald ist ein Charakteristikum dieses Friedhofs«, aber man müsse der Verkehrssicherungspflicht nachkommen und dafür sorgen, dass keine weiteren Schäden durch herabfallende Äste oder Wurzelwerk entstünden. Der Wald biete jedoch auch Schutz vor der Sonne, weswegen möglichst behutsam eingegriffen werden solle.
Dem Schadensbericht vorausgegangen war ein Vortrag des Judaisten Frowald Gil Hüttenmeister, der bereits 1997 einen umfangreichen Band über den Wankheimer Jüdischen Friedhof verfasst hat und darin auch sprachhistorische Erkenntnisse oder berufsspezifische Bezeichnungen über die dort bestatteten Menschen veröffentlichte. Für die Ortsgeschichte ist das Buch über den Friedhof ein Zeugnis einer vormals blühenden jüdischen Gemeinde in der Region Tübingen-Reutlingen.
Landesrabbiner Yehuda Pushkin war ebenfalls ins Kusterdinger Gemeindehaus gekommen und erklärte: »Auch mir liegen die Friedhöfe sehr am Herzen«, es gebe in der jüdischen Tradition jedoch keine Pflicht, Grabsteine zu restaurieren. »Dort, wo diese Welt und die spirituelle Welt sich küssen, ist eine besondere mystische Erfahrung«, hob Pushkin hervor.
In Baden-Württemberg gebe es 53 jüdische Friedhöfe, »dass ich schon zwei Mal in Wankheim war, ist fast schon ein Wunder.« Er begrüße die Initiative, den Friedhof zu erhalten, finanzielle Beteiligung könne die jüdische Gemeinde jedoch nicht leisten. Bisher habe sich Ortsvorsteher Gassler – ebenfalls unter den Anwesenden – seit Jahrzehnten um die Pflege gekümmert. Die anstehende Restauration ist jedoch so umfassend, dass die Gemeinde sie finanziell nicht allein tragen kann.
»Wir waren bereits mit den zuständigen Stellen bei einer Ortsbegehung, seither ist nichts passiert«
Auch Bürgermeister Jürgen Soltau und Christopher Blum von der Landesdenkmalpflege saßen im Publikum und beteiligten sich hernach an der Diskussion um Verantwortlichkeiten. Soltau betonte hierbei, dass es eine gesetzliche Landesverpflichtung für den Erhalt Jüdischer Friedhöfe gebe. Die Finanzierung müsse deshalb das Land übernehmen. Blum war der Ansicht, dass die Jüdische Gemeinde hierfür einen Antrag stellen müsse oder aber dies in andere Hände geben müsse.
Harald Schwaderer vom Förderverein für jüdische Kultur bemängelte die gegenseitige Zuschiebung von Zuständigkeiten: »Wir waren bereits mit den zuständigen Stellen bei einer Ortsbegehung, seither ist nichts passiert!«
Der Verein habe sich selbst um die Dokumentation durch den Restaurator gekümmert, eine Finanzierung für die reine Schadenserfassung koste aber um die 3 000 Euro – wer dies nun stemmen soll, ist weiterhin unklar. Vor dem Herbst müsse mit den dringlichsten Arbeiten begonnen werden, »jeder Winter, der über den Friedhof geht, macht das Ganze noch schlimmer«, so Schwaderers Befürchtung. (och)