TÜBINGEN. Wieso rutscht ein Mensch in den Rechtsextremismus, welche Strukturen und Hintergründe gibt es in dem Milieu? Mit solchen Fragen soll sich die neue Forschungsstelle Rechtsextremismus wissenschaftlich befassen - in dieser Art sei das bundesweit einzigartig, sagte Wissenschaftsministerin Petra Olschowski am Dienstag. Nun ist auch klar, welche Südwest-Uni Sitz der neuen Stelle wird: die Eberhard Karls Universität Tübingen.
Was genau soll die neue Forschungsstelle machen?
Ziel sei es, »Erkenntnisse zu gewinnen, die Demokratie zu schützen und dadurch auch den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken«, sagte Kretschmann. Die Forschungsstelle soll zu allen relevanten Feldern des Rechtsextremismus wissenschaftliche Kompetenzen aufbauen. Dabei geht es auch um neuere Forschungsfelder wie »rechte Musik« oder die Umdeutung von Sprache. Außerdem soll es dort die deutschlandweit erste politikwissenschaftliche Professur für die Erforschung des Rechtsextremismus geben.
Wichtig ist Kretschmann und Olschowski (beide Grüne), dass es dabei nicht nur um den »rechten Rand« geht, sondern auch um »Übergangsstrukturen«. Also beispielsweise darum, wieso Menschen in den Extremismus abdriften und was sich dagegen tun lässt. Dabei sollen die Wissenschaftler nicht nur vor sich hin forschen, sondern es geht auch um einen »Transfer in die Gesellschaft«, wie die Ministerin betont.
Warum genau soll das gemacht werden?
»Wir brauchen Wissen, wir brauchen fundierte Kenntnisse über die Hintergründe, wie wann und warum radikalisieren sich Menschen«, sagte Kretschmann. Beispielsweise in der Corona-Pandemie sei deutlich geworden, wie durchlässig manchmal der Übergang in den Rechtsextremismus ist. Rechtsextreme hätten versucht, Demos gegen die staatlichen Corona-Beschränkungen zu kapern und für sich zu vereinnahmen, erklärte der Ministerpräsident. In so einer Dynamik sehe man dann manchmal, dass die Politik zu wenig über die Hintergründe wisse. »Fragen wie: Wer steckt da jetzt dahinter? Das ist manchmal nicht so eindeutig.«
Je mehr man über diese Hintergründe und Strukturen wisse, desto besser könne man dem begegnen, die Demokratie schützen, sagte Kretschmann - und ergänzte: »Vom Rechtsextremismus geht die größte Gefahr für unsere Demokratie aus.«
Was ist so besonders an der neuen Forschungsstelle?
Nach Angaben der Regierung ist diese Forschungsstelle bundesweit einzigartig. Außerdem soll es dort die deutschlandweit erste politikwissenschaftliche Professur für die Erforschung des Rechtsextremismus geben. Insgesamt sollen dort vier Professorinnen und Professoren arbeiten - eine der Stellen ist eine Juniorprofessur für Antisemitismusforschung, die die Uni Tübingen als Eigenleistung zusätzlich einbringt.
Die Forschungsstelle war eine der Forderungen des NSU-Untersuchungsausschusses. Mit dem Einrichten der Stelle setzt das Ministerium eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag um.
Wieso ausgerechnet Tübingen?
Mehrere Universitäten reichten ihre Vorschläge ein, dann wählte eine unabhängige Kommission. Die Uni Tübingen habe ein schlüssiges Konzept vorgestellt, mit dem Rechtsextremismus gesellschaftlich verortet und multidisziplinär erforscht werden könne, das aber auch offen sei für neue Probleme und Fragestellungen, wurde Kommissionsmitglied Gideon Botsch zitiert. »Vielversprechend ist auch die Verbindung von Forschung, Lehre und dem Austausch mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren.« Am Ende habe sich Tübingen gegen Mannheim durchgesetzt, sagte Olschowski. Alle Einreichungen seien hervorragend gewesen. Die Aufbauphase soll nun etwa zwei Jahre dauern und im April beginnen.
Hat die Forschungsstelle etwas mit dem Archiv in Karlsruhe zu tun?
Im Generallandesarchiv in Karlsruhe gibt es seit Sommer 2020 die Dokumentationsstelle Rechtsextremismus. Das ist eine eigene Stelle, die aber mit dem Forschungszentrum zusammenarbeiten wird. Die Dokumentationsstelle ist ein Archiv, es gibt dort zahlreiche Publikationen und Zeitschriften zum Thema Rechtsextremismus. Dort wird aber nicht geforscht oder gelehrt. Das Archiv werde aber natürlich ein wichtiger Baustein in der Arbeit des künftigen Forschungszentrums sein, erklärte Olschowski. (dpa)