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Aktuell Erinnerung

Fake News im Reichstag

Zum Volkstrauertag zeigen Schüler in Gomaringen, welche Auswirkungen Propaganda haben kann

Kinder verteilen weiße Rosen – ein Symbol des Widerstands gegen das Naziregime.  FOTO: JAENSCH
Kinder verteilen weiße Rosen – ein Symbol des Widerstands gegen das Naziregime. FOTO: JAENSCH
Kinder verteilen weiße Rosen – ein Symbol des Widerstands gegen das Naziregime. FOTO: JAENSCH

GOMARINGEN. »Die Vergangenheit darf nicht verdrängt werden, und die Gegenwart darf uns nicht gleichgültig sein«, sagt Sandra Hertha, jedes ihrer Worte wird begleitet von weißen Atemwölkchen. Trotz der niedrigen Temperaturen ist der Eingangsbereich des Gomaringer Friedhofs voller Menschen, ihre grauen Schirme und schwarzen Mäntel vermischen sich an diesem nebligen Sonntagmorgen zu einer monotonen Masse. An manchen Stellen blinzelt ein Blümchen aus einer Jackentasche oder zwischen behandschuhten Fingern hervor: Die weiße Rose, Symbol des Widerstands gegen das Naziregime, wurde zuvor von Schülern an die Besucher der Gedenkfeier anlässlich des Volkstrauertages verteilt.

Zu Ehren der Kriegsgefallenen und Opfer der Gewaltherrschaft legt Sandra Hertha als Vorsitzende des Ortsverbands Gomaringen-Bronnweiler des Sozialverbands VdK gemeinsam mit Bürgermeister Steffen Heß einen Kranz auf dem Gomaringer Friedhof nieder.

Deutschland begann den Krieg

Sie betont dabei die Bedeutsamkeit einer Demokratie – und die der freien Presse und Meinungsäußerung. »Am ersten September des Jahrs 1939 sagte Adolf Hitler vor dem Reichstag: «Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen», und verkündete damit den Kriegsbeginn«, greift Hertha auf, was zuvor Pfarrer Peter Rostan in der evangelischen Kirche mahnend betonte. Dieser Satz sei beispielhaft für das, was heute als Fake News bezeichnet werde. Es wurde nämlich nicht zurückgeschossen, sondern angegriffen – Deutschland war das Land, das den Zweiten Weltkrieg begann, und nicht Polen, wie damals behauptet wurde.

Schon vor 80 Jahren war es eine Falschmeldung, die mitunter zur Auslösung eines Krieges beitrug. Und auch heute kursieren Unwahrheiten, vor allem im Internet, die den Frieden gefährden und dem Terror Vorschub leisten, erklärt Pfarrer Rostan in seinem ökumenischen Gottesdienst und richtet einen Appell direkt an seine Zuhörer: »Lassen Sie uns hellwach sein«, vor allem dann, wenn es um Lüge und Stigmatisierung gehe. »Gewalt beginnt nicht erst, wenn man die erste Waffe in die Hand nimmt – oft reicht schon ein Bleistift oder eine Tastatur.«

In einem kurzen Rollenspiel zeigten Schüler der Schloss-Schule sowie der Merian-Gemeinschaftsschule, welche Auswirkungen Mobbing haben kann und wie Propaganda es schafft, eine neue, frei erfundene Realität herzustellen. Ursprünglich hätten die Schüler ein Theaterstück geplant, wie Rostan berichtet: »Aber es wollte keiner den Nationalsozialisten verkörpern, nicht mal im Spiel«, also hätten sie sich dagegen entschieden. Ein starkes Zeichen, findet der Pfarrer.

Es ist wohl selten, dass ein Gottesdienst so voller Leben ist. In Gomaringen haben zum Gelingen der Gedenkfeier alle mitgeholfen: Die umliegenden Schulen präsentieren die Ergebnisse ihrer Auseinandersetzung mit dem Volkstrauertag. Musikalische Einlagen gab es vom Grundschulchor der Hublandschule, dem Gomaringer Posaunenchor und dem Gesangverein Frohsinn Hinterweiler. »Wir wollen aufsteh’n, aufeinander zugeh’n, voneinander lernen, miteinander umzugeh’n«, singen die Grundschüler. Ein fröhliches Kinderlied, das trotz des ernsten Anlasses nicht unpassend wirkt, sondern Mut für die Zukunft macht. (alj)