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»Ensemble auf der Suche« ganz im Zauber der Klangs

Studentisches »Ensemble auf der Suche« krönte vor der Mähringer Stephanskirche eine musikalische Woche

Junge Musiker der Freiburger Musikhochschule krönten vor der Mähringer Stephanskirche eine besondere musikalische Woche, erkunde
Junge Musiker der Freiburger Musikhochschule krönten vor der Mähringer Stephanskirche eine besondere musikalische Woche, erkundeten vor Ort zur Freude von Zuhörern neue Formen des Übens, Probens und Konzertierens von Kammermusik. FOTO: BERNKLAU
Junge Musiker der Freiburger Musikhochschule krönten vor der Mähringer Stephanskirche eine besondere musikalische Woche, erkundeten vor Ort zur Freude von Zuhörern neue Formen des Übens, Probens und Konzertierens von Kammermusik. FOTO: BERNKLAU

KUSTERDINGEN-MÄHRINGEN. Eine Woche lang haben die Sieben die beiden Dörfer geradezu verzaubert, aus denen die evangelische Kirchengemeinde Mähringen-Immenhausen besteht: Studentinnen und Studenten der Freiburger Musikhochschule, die sich zu einem »Ensemble auf der Suche« formiert hatten, um neue Formen des Übens, Probens und Konzertierens von Kammermusik zu erkunden. Am Freitagabend war unter freiem Himmel so etwas wie das Finale rund um die ehrwürdige Mähringer Stephanskirche.

Pfarrer Hans-Michael Wünsch, der mit den beiden Kirchen und auch mit dem Gemeindehaus an der Mähringer Härtenstraße »sehr, sehr gerne Gastgeber« war, konnte zu dieser Serenade wohl deutlich mehr als hundert Menschen begrüßen, die sich locker auf immer mehr herbeigekarrten Stühlen im Kirchhof verteilten. Viel Werbung hatte es nicht gebraucht. Denn nicht nur unter den nach Kultur und Musik dürstenden Menschen auf den Härten hatte sich das Vorhaben längst sehr gut herumgesprochen.

Der Himmel grollte zwar ein wenig von Ferne, als das Konzert beginnen sollte, aber die Gewitterwolken zogen dann doch im weiten Bogen an Mähringen vorbei und ließen die milde Abendsonne scheinen. Dass der Ort dieses Geschehens die Härten wurden, war natürlich kein Zufall, denn zwei der Freiburger Studenten sind das Geschwisterpaar Jakob und Eva Schall – er Cellist, sie Geigerin – deren Mutter Anette Schall die Mähringer Gemeindeorganistin ist. Das Immenhäuser Elternhaus wurde zum Hauptstützpunkt für das Streicher-Ensemble.

Stücke zunächst nicht genannt

Ursprünglich, erzählt der zweite Cellist David Neuhaus, hätten 14 Freunde für diese Probenwoche ein richtiges kleines Kammerorchester bilden wollen. Aber eine gewisse Rücksicht auf Corona-Abstände und die begrenzten Räumlichkeiten im Haus der Schalls führten dann doch dazu, dass es bei sieben Streichern blieb. Jeden Tag um 15 Uhr gab es ein kleines Kammerkonzert in der kleineren Kirche, in Sankt Georg zu Immenhausen.

Aber nicht nur geschlossene Räume boten sich an, sondern auch Plätze quer durch die Dörfer oder private Gärten. Eine ganz besondere Stimmung bot ein Gartenkonzert nach Einbruch der Dunkelheit, bei der nur die nötigen Notenblätter mit kleinen Lämpchen erleuchtet wurden. Zum Besonderen des abschließenden Abendkonzerts gehörte auch, so Jakob Schall in seiner Begrüßung, dass die gespielten Stücke zunächst nicht genannt werden, den Zuhörern zunächst Unbekanntes oder Überraschendes bleiben sollten. Erst in der Pause verteilten auch die beiden anderen Geigerinnen Swaantje Kaiser und Hannah Wagner, Anne Sophie van Riel und Aldebaran Garrido (Bratschen) die Blätter mit dem Programm.

Zwar begann die Stückfolge mit der vertrauten barocken Tonsprache des holländischen Bach-Zeitgenossen Jacob Herman Klein und seinem Prélude aus einem Duo für zwei Celli, was dessen klares Lieblingsinstrument war. Aber dann folgte im vollen Ensemble etwas, das vor ein paar Jahrzehnten völlig neue Klangwelten erschloss: die betörend meditative, auch motorische »Minimal Music« eines Philip Glass. »Company« hieß das Stück.

Die Serenade des Ungarn Ernst von Dohnányi, Großvater des Hamburger Bürgermeisters Klaus und des Dirigenten Christoph von Dohnányi, erwies sich schon deshalb als etwas ganz Außergewöhnliches, weil die Bratsche, sonst eher nicht so im Mittelpunkt des musikalischen Geschehens, im zweiten Satz des als Streichtrio gesetzten Stücks die ungemein virtuose Hauptrolle spielte. Anne Sophie van Riel konnte glänzen. Und auch sonst fand die zwischen Spätromantik und tonaler Moderne schwelgende Sprache Dohnányis großen Anklang.

Lebenszuversicht in der Krise

Vor dem sehr motorischen Adagio-Satz aus Leoš Janáeks erstem Streichquartett – auch der Tscheche streifte die Bindungen an Dur und Moll nie völlig ab – gab es ein literarisches Einsprengsel. Im Wechsel lasen die Musiker Passagen aus Leo Tolstojs dramatischer Erzählung »Die Kreutzersonate«, in der es zwar auch ein bisschen um Beethoven geht, viel mehr aber noch um die Ehe, den Betrug und die Eifersucht.

Das Wetter hielt. Nach der ausgedehnten, mit Erfrischungen versüßten Pause gab es noch ein ganz bedeutendes und komplexes Werk: das Streichsextett »Souvenir de Florence«, das Peter Tschaikowsky in Erinnerung an die Italienreise mit seiner geheimnisvollen Gönnerin Nadeshda von Meck komponiert hat. Mitten in einer seiner schweren Krisen feiert der russische Romantiker darin das Genesende und die Lebenszuversicht. Das passte sehr gut in eine Zeit, in der eine Krankheit weltweit das ganze Leben im Griff hat und ändert, auch das kulturelle.

Erstaunlich, wie gut der Klang der Instrumente die Töne auch auf die abgelegeneren Plätze des Kirchhofs trug. Ganz sacht verrauschte hingegen der dankbare Beifall, mit dem die Zuhörer diese zauberhaft neuartige Form von Musik in diesen Zeiten feierten. (GEA)