TÜBINGEN. Die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) ist eine chronisch verlaufende Netzhauterkrankung und bei Menschen über 50 Jahren in den westlichen Ländern die häufigste Ursache für schwere Seheinbußen bis hin zur Erblindung. Schätzungen zufolge leiden mindestens sieben Millionen Menschen allein in Deutschland daran. Die Behandlungsoptionen sind bisher noch eingeschränkt: Während die sogenannte feuchte AMD bis zu einem gewissen Grad behandelt werden kann, gibt es für die trockene Form derzeit keine Therapie.
Hinweis auf Entzündungen
Allerdings gibt es nun Hoffnung. Wissenschaftler um Professor Simon Clark vom Forschungsinstitut für Augenheilkunde an der Tübinger Uniklinik Tübingen haben in einer jetzt veröffentlichten Studie herausgefunden, dass ein bestimmtes Eiweiß großen Einfluss auf Entzündungen und dadurch ausgelöste Immunreaktionen im Auge hat.
Es ist bekannt, dass Entzündungsprozesse bei der Entstehung der AMD eine zentrale Rolle spielen. Ein Gendefekt in einem Protein, das ein Risikofaktor für die AMD ist, rückte das Komplementsystem, dem im Immunsystem eine Schlüsselfunktion bei Entzündungen zukommt, in das Interesse der Forschung.
Die Annahme, dass AMD durch eine Störung der Komplementregulierung verursacht wird, hat die Entwicklung vieler Medikamente zur feuchten AMD ausgelöst. Um effektive Medikamente zur Behandlung entwickeln zu können, muss verstanden werden, was in der Fein-Regulation des Komplementsystems falsch läuft. Die Wissenschaftler aus Tübingen, Manchester, Cardiff, London und Nijmegen gingen der Frage nach, ob auch andere Regulatoren des Komplementsystems beim Kontrollverlust im Immunsystem eine Rolle spielen. Ein starker genetischer Risikofaktor für die AMD ist das Protein Faktor-H (FH), das Teil dieser Kaskade des Immunsystems ist. Eines dieser Proteine, das Faktor H assoziierte Eiweiß 4 (FHR4), wurde im Blut von AMD-Patienten in erhöhtem Maße gefunden.
Unkontrollierte Reaktion
Im Vergleich zwischen gesunden Personen und Menschen, die unter AMD leiden, war das Ergebnis statistisch hochsignifikant. Insgesamt wurden 484 Patienten und 522 Kontrollproben aus zwei unabhängigen Untersuchungen analysiert. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass das FHR4-Protein zum Kontrollverlust des Komplementsystems bei AMD beiträgt. Ist die gesteigerte FHR4-Menge nun aber eine Ursache oder eine Folgeerscheinung von AMD? Hier fanden die Forscher überzeugende Beweise, dass FHR4 ein kritischer Regulator von Komplement im Auge ist. Genetisch höhere FHR4-Mengen im Blut führen zu mehr FHR4 im Auge, welches seinerseits das Risiko einer unkontrollierten Komplementaktivierung erhöht und damit die Krankheit verstärkt.
»Diese Studie ändert grundlegend unser Verständnis davon, wie die Komplementaktivierung die AMD vorantreibt«, fasst Simon Clark zusammen. »Die neuen Untersuchungen zeigen einen direkten Zusammenhang. Damit kommen wir der Behandlung dieser schweren Augenerkrankung einen Schritt näher.«
Neben einem besseren Verständnis, was die AMD verursacht, liefert diese Studie eine Möglichkeit, das Risiko auf Erkrankung an AMD durch Messen der Mengen von FHR4 im Blut zu prognostizieren. Damit eröffnet sich eine neue Möglichkeit der Behandlung vom AMD: die FHR4-Mengen im Blut reduzieren, um die Komplementkontrolle wiederherzustellen. (u)