OFTERDINGEN. Auf einem grünen Klappstuhl mit grauem Gestell saß Ava Smitmans zwei Monate lang an der Ofterdinger B 27. Während in der immer noch sommerlichen Hitze des August und September vergangenen Jahres die Autos an ihr vorbeirauschten, konzentrierte sie sich auf die Dinge, die sonst kaum einer wahrnimmt – oft auch gar keiner sehen mag. Gelbe Säcke am Bordsteinrand, Stapel voller Unrat in Hofeinfahrten. Immer wieder wechselte sie ihre Position, bewegte sich Meter für Meter an der Bundesstraße entlang. Als sich das Projekt der Künstlerin in der Gemeinde herumsprach, wurden die Bewohner neugierig. Die einen brachten ihr ein Glas Wasser, die anderen ein Stück selbst gebackenen Brombeerkuchen.
Intensiv in Kontakt gekommen
»Für mich war es das Projekt, an dem ich am intensivsten mit den Menschen in Kontakt gekommen bin«, berichtet Ava Smitmans rückblickend, als sie ihre Werke im Ofterdinger Rathaus präsentiert. Schon in Hamburg, Bremerhaven, Frankfurt oder Sindelfingen war die Künstlerin unterwegs und stellte im Anschluss die Ergebnisse ihrer Beobachtungen vor. Doch die Leute sind eben nirgends so interessiert wie im Schwabenland. »Ava Smitmans sieht die Schönheit der Alltagswelt«, erklärt Gemeinderätin Ruth Blaum, die bei der Vernissage unter dem Titel »rechts und links der Straße – ein Kunstprojekt zur B 27 durch Ofterdingen« aus der Reihe Kunst und Musik im Rathaus gemeinsam mit Bürgermeister Joseph Reichert durch das Programm führt.
Auch an diesem Abend kann es die Künstlerin nicht lassen. Mit Bleistift und Papierblock sitzt sie vor der finnischen Tangoband »Vaaralliset-huulet«, die mit fetzigen Stücken und humorvollen Einlagen das Publikum begeistert, und zeichnet die Musiker mit ruhiger Hand. In Windeseile hat sie ein skizzenartiges Kunstwerk geschaffen. Im Vordergrund ist die Sängerin der Band Claudia Jochen zu sehen, mit weißer Stola und gepunktetem Rüschenkleid. Ihre Augen sind geschlossen, es entsteht das Gefühl, allein durch das Betrachten des Bildes ihre kräftige Stimme hören zu können, die sich mischt mit den Instrumenten der drei Herren im Hintergrund.
Ava Smitmans weiß, Momente einzufangen. Dadurch wird den Besuchern der Ausstellung auch die Vergänglichkeit der Dinge vor Augen geführt. Auf einem der Werke prangt noch die alte Radarfalle, die schon längst durch neuere Technologien ersetzt wurde. Und in ein paar Jahren werden die Bilder vielleicht Zeugen einer ganz anderen Zeit sein, wie Ruth Blaum betont: Wenn die Pläne zur »neuen« B 27 umgesetzt werden, wird sich das Erscheinungsbild der Gemeinde ebenfalls verändern. Der Tübinger Kreisarchivar Wolfgang Sannwald geht in seinen Ausführungen näher auf dieses Phänomen ein, indem er einen Blick auf die Historie der Straße wirft.
Eine alte Fernverkehrsstraße
Die »Schweizer Chaussee«, aus der später die B 27 entstand, war als Fernverkehrsstraße von Stuttgart nach Schaffhausen weit bekannt. Gewürze wurden dort transportiert, in Zeiten eines Getreidemangels in der Schweiz bekam sie durch den einseitigen Lebensmitteltransport den Beinamen »Kornstraße«. Selbst Goethe, der auf Durchreise in einem Ofterdinger Gasthaus haltmachte, lobte den guten Zustand der Straße, so Sannwald.
In Ava Smitmans Bildern kommen diese positiven Eigenschaften eher kurz. In feinen Linien, bei der keine komplett gerade erscheint, zeigt sie auch die weniger schönen Seiten der Straße. »Es ist keine Postkartenidylle, die auf den Werken zu sehen ist«, erklärt Ruth Blaum: »Vielmehr regt es zum Nachdenken an, die Dinge im Umbruch zu sehen.« Die Ausstellung ist bis 8. März im Rathaus zu sehen. (GEA)