KUSTERDINGEN. Die August-Lämmle-Schule wird umbenannt. Das beschloss der Kusterdinger Gemeinderat am Mittwochabend nach einer engagierten Debatte. Auch die nach dem nazi-belasteten Heimatdichter benannte Straße bekommt einen neuen Namen. Die Gemeinde erhofft sich zu Beidem Anregungen aus der Bürgerschaft, über die der Gemeinderat dann bereits in seiner Januar-Sitzung entscheiden soll. Für die Grundschule kam schon ein Vorschlag von Schulleiterin Tanja Pommersbach: »Schule am Wasserturm« regte sie im Rat an.
Vor gut 20 Jahren hatte der damalige Kusterdinger Gemeinderat eine Namensänderung nach einem eher zurückhaltenden Historiker-Gutachten noch mit klarer Mehrheit abgelehnt. Jetzt kam die Debatte erneut auf die Tagesordnung, weil die Stadt Leonberg aktiv geworden war. Ein dort beauftragter Historiker hatte den 1876 geborenen Lehrer, Heimatforscher und Mundartdichter klipp und klar zum »ungeeigneten Namensgeber« erklärt. Zu offensichtlich, urteilte Peter Poguntke, sei die Hitler-Vergötterung und ideologische Anhängerschaft des NSDAP-Mitglieds August Lämmle gewesen, der 1947 als Nazi-»Mitläufer« eingestuft und zu einer Geldstrafe verurteilt worden war.
Der Leonberger Gemeinderat entzog dem 1962 in Tübingen gestorbenen und in Stuttgart begrabenen August Lämmle daraufhin am 19. November 2020 posthum die Ehrenbürgerwürde und beschloss eine Umbenennung der dortigen Schule. Der Straßenname am Nachkriegs-Wohnort Lämmles bleibt hingegen. Die Schilder werden aber mit einer historischen Erläuterung versehen, entschied man in Leonberg.
Bürgermeister Dr. Jürgen Soltau bat das Gremium »jetzt ein klares Zeichen zu setzen«. Eine Namensänderung von Schule und Straße hatte auch der Geschichtsverein Härten empfohlen. Die Anwohner der August-Lämmle-Straße allerdings, sind - rein aus praktischen Gründen, wie SPD-Rat Timo Dolch bekräftigte – gegen eine Umbenennung und überreichten dazu eine Unterschriftenliste.
Schulleitung und Kollegium hingegen tragen ein Änderung »selbstverständlich mit«, sagte Tanja Pommersbach. Niemand hänge an dem Namen, auch wenn er »so schön schwäbisch« klinge. Man gehe »den Weg mit«, obwohl viel Aufwand nötig sei und das »tolle Logo« der Grundschule wegfalle. Die vor knapp einem Jahrzehnt aus Brandschutzgründen samt zugehörigem Glasschrank entfernte Bronzebüste Lämmles habe »niemand vermisst«. Sie ist seither, wie Jürgen Soltau aufklärte, im Schrank des Bürgermeisters weggeschlossen.
Die Aussprache eröffnete Gudrun Witte-Borst von der Härtenliste mit einem eindringlichen Statement. Es habe eines Anstoßes von außen bedurft, um die überfällige Debatte nach 21 Jahren erneut zu führen. »Der Name ist Botschaft«, sagte sie, erinnerte sich an die eigene Erschütterung durch KZ-Fotos in ihrer Jugend und an eine Reise nach Krakau, Auschwitz und zum dortigen Vernichtungslager Birkenau. Sie empfahl, »nicht Hals über Kopf« etwas Neues festzulegen, sondern »mit Bedacht die Chance zu nutzen« und einen Namen zu wählen, »der Ermutigung bedeutet, stolz macht und Orientierung gibt«.
Jürgen Henes von der Neuen Liste hatte anschließend die ganze Namensgeschichte seit 1964 nochmals skizziert und wegen des Aufwands und der Unannehmlichkeiten für die Anwohner für eine Beibehaltung plädiert. Dem schloss sich zwar auch Siegfried Maier (Freie Wähler), meinte aber mit Blick auf die »stark politisierte« Resonanz auf die Leonberger Entscheidung: »Der Karren ist gelaufen!« Bei einem neuen Namen möge man aber »besser keine Person mehr« auswählen.
Auch FDP-Vertreter Gerhard Mayer wäre eigentlich - mit Verweis auf die »große Mehrheit damals« - auch eher für eine Beibehaltung des Namens gewesen, kam aber zu dem Schluss: »Ändern, wenn's denn sein muss!«
Die Beteiligung der Kusterdinger bei der Entscheidung und einer neuen Namensgebung wollte Elvira Hornung (Freie Wähler) über einen Bürgerentscheid sicherstellen, eventuell im terminlichen Zusammenhang mit den Wahlen für Landtag und Bundestag, zog den Antrag aber vor der Abstimmung wieder zurück, weil die notwendige Zweidrittelmehrheit der Ratsmitglieder nicht in Aussicht war. Von SPD-Rat Timo Dolch kam die Bitte, die Kosten für Ummeldung der Anwohner seitens der Gemeinde zu erlassen oder gar Zuschüsse zu geben.
Er habe seine ganze Schulzeit auf der August-Lämmle-Schule verbracht, den Namen bei Mannschaftserfolgen mit Lokalstolz getragen und sich nie über den Mann dahinter Gedanken gemacht, bedauerte Joachim Kaiser (Neue Liste). Auch andere Räte fanden ein letztgültiges Urteil über Taten und Gesinnung August Lämmles während der Nazizeit und auch nach dem Kriegsende für nicht endgültig erwiesen. Wie Johannes Ferber von der Härtenliste sprach sich hingegen auch Steffen Reichl von der FW-Fraktion für eine Änderung aus: »Das ist sonnenklar. Der Name muss weg. Der ist einfach nicht mehr tragbar.«
Vor der Abstimmung wies der Bürgermeister noch einmal auf seine persönliche Einschätzung hin, dass August Lämmle »Mitläufer und Sympathisant« der Nazi-Ideologie gewesen sei und Kusterdingen nach der weithin beachteten Vorgabe aus Leonberg auch ein Zeichen dazu setzen müsse.
Für eine Namensänderung der Schule sprachen sich danach 12 Stimmen aus, sechs Gemeinderäte enthielten sich. Für einen Aufruf an die Bürgerschaft zu Namensvorschlägen votierten zehn Räte. Drei Gegenstimmen und fünf Enthaltungen gab es bei der Abstimmung über die Umbenennung der August-Lämmle-Straße; zehn Vertreter waren für den Antrag, wobei ein Kostenerlass seitens der Gemeinde für Ummeldegebühren dem Verwaltungsvorschlag des Bürgermeisters beigefügt war. (GEA)
Wer war August Lämmle?
Nur relativ kurz und beiläufig war August Lämmle mit Kusterdingen verbunden. Bei Ludwigsburg im Jahr 1876 geboren, wirkte er um die Wende zum 20. Jahrhundert für ein oder zwei Jahre als junger Volksschullehrer auf den Härten. Nach dem neuen Gutachten des Münchner Historikers Dr. Peter Poguntke war sein Denken als Heimatforscher, Dialektdichter, Sammler, Volkskundler und Publizist schon vor der Nazizeit tief geprägt von dem »Blut- und Boden«-Ideologie, von Nationalismus, Bauerntums- und Rassegedanken. Im Mai 1933 trat der der NSDAP bei.
Für aktive Verbrechen in der Zeit von Judenverfolgung und Krieg war er zu alt – er ging 1938 in Pension – oder als früherer Freimaurer bei den Nazis sowieso nicht ausreichend wohlgelitten. Allerdings gilt als gesichert, dass er persönlich von der Arisierung jüdischen Vermögens profitierte. Er hat nach den Recherchen des Historikers als »bedingungsloser Anhänger« Hitler als Führer vergöttert und seinen schwäbischen Statthalter und Gauleiter Wilhelm Murr verehrt.
»Peinlich« nennt der Historiker die Elogen Lämmles und bescheinigt ihm »beispiellosen Opportunismus«. In einem Entnazifizierungsprozess wurde Lämmle 1947 als »Mitläufer« eingestuft und zu einer Geldstrafe verurteilt. Spätere Zeugnisse von Distanzierung von der Nazi-Ideologie oder Reue sind nicht überliefert. Er war nach Kriegsende weiterhin als Dichter, Sammler und Publizist für Schwäbisches tätig, nahm seinen Wohnsitz in Leonberg, starb 1962 im Tübinger Paul-Lechler-Krankenhaus und wurde auf dem Stuttgarter Waldfriedhof begraben.
Zwei Jahr nach seinem Tod benannte die Gemeinde Kusterdingen ihre neue Grundschule am Wasserturm nach ihm. August Lämmles Nazigesinnung führte während der Ära des Bürgermeisters Günter Müller in den Jahren 1998/99 zu einer über Kusterdingen hinausreichenden Debatte über den Schulnamen. Sie endete nach dem in Auftrag gegebenen Gutachten des Volkskundlers Gustav Schöck, das Lämmle in eher mildem Licht sah, bei klarer Gemeinderatsmehrheit mit einer Beibehaltung des Namens. (mab)