BERLIN. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sieht in der von Manipulationsvorwürfen durch US-Präsident Donald Trump überschatteten Stimmauszählung bei der Präsidentschaftswahl auch eine Warnung an Deutschland.
Die Auszählung der Stimmen in den USA war nicht nur ein tagelanger Polit-Krimi, sondern er ist auch eine eindringliche Warnung. Eine Warnung auch an uns in Deutschland, wohin es führen kann, wenn eine Gesellschaft sich spalten lässt", schreibt der Finanzminister in einem Gastbeitrag in der "Bild am Sonntag". Die Spaltung sei keine Erfindung Trumps, sondern habe es schon vorher gegeben. "Der US-Präsident hat sie nur aufgegriffen und in seiner Amtszeit gnadenlos politisch ausgebeutet und vertieft."
Auch in Deutschland sei zu beobachten, »dass die Gesellschaft auseinanderläuft«. Manche fühlten sich wie Bürger zweiter Klasse. Diese Entwicklung sei schlecht. »Denn unser Gemeinwesen funktioniert nur dann auf Dauer gut, wenn wir es als unsere gemeinsame Aufgabe begreifen: der Kellner im Coffee-Shop, die Feuerwehrfrau, die Theaterdirektorin und der Facharbeiter bei VW am Fließband.«
Niemand sollte sich für etwas Besseres halten. Die USA seien der wichtigste und engste Partner Europas, und das werde nach dieser Wahl so bleiben. »Lasst uns aber von den USA lernen und Fehler vermeiden, die viel Unheil mit sich bringen«, schließt Scholz seinen Beitrag.
Insgesamt hat der Sieg Bidens in Deutschland parteiübergreifend für Erleichterung gesorgt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schrieb an den 77-Jährigen, dass mit seiner Wahl »die Hoffnung auf Verlässlichkeit, Vernunft und die beharrliche Arbeit an Lösungen in einer unruhigen Welt« verbunden sei. »Mit Ihrer Präsidentschaft verbinden sich die Hoffnungen unzähliger Menschen, weit über die Grenzen Ihres Landes hinaus, auch in Deutschland«, schrieb er. Biden stehe für ein Amerika, das um den Wert von Allianzen und Freunden, von Verlässlichkeit und Vertrauen wisse.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wünschte Biden »von Herzen Glück und Erfolg«. »Unsere transatlantische Freundschaft ist unersetzlich, wenn wir die großen Herausforderungen dieser Zeit bewältigen wollen.« Merkel hatte sich zuvor noch nicht zur US-Präsidentenwahl geäußert. »Ich freue mich auf die künftige Zusammenarbeit mit Präsident Biden«, schrieb sie nun. Ihre Gratulation an Trump vor vier Jahren war distanzierter. Auf der Basis gemeinsamer Werte »biete ich dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, eine enge Zusammenarbeit an«, schrieb sie damals.
Außenminister Heiko Maas (SPD) warb für einen Neustart der schwer angeschlagenen Beziehungen zu den USA. »Wir wollen in unsere Zusammenarbeit investieren, für einen transatlantischen Neuanfang, einen New Deal.«
CSU-Chef Markus Söder kommentierte das Wahlergebnis mit dem Slogan »Yes he can!« - in Anspielung auf das Motto der Präsidentschaft von Trumps Vorgänger Barack Obama »Yes we can!«. Biden war Obamas Vizepräsident. »Bin sehr erleichtert, dass der Wahlkrimi ein gutes Ende genommen hat«, fügte Söder hinzu. »Mein Vertrauen in die amerikanische Demokratie ist wieder gestärkt.«
Auch aus der Opposition kamen erleichterte Reaktionen: »Es wird nun nicht jede Meinungsverschiedenheit mit den USA verschwinden, aber es gibt die Chance auf einen Neustart der transatlantischen Partnerschaft. Wir Europäer sollten sie nutzen«, schrieb FDP-Chef Christian Lindner. Grünen-Chefin Annalena Baerbock twitterte: »Was für eine befreiende Nachricht!«
Linken-Chefin Katja Kipping meinte, die Wahl von Joe Biden sei zwar eine gute, wenn auch keine beruhigende Nachricht. Mit Blick auf das überraschend gute Ergebnis des unterlegenen Amtsinhabers Donald Trump schrieb sie: »Knapp die Hälfte der Stimmen bekam ein großmäuliger Lügner, der täglich seine Verachtung für Demokratie, Frauen und alle, die ihm zu widersprechen wagten, gezeigt hat.«
Auch die AfD-Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland gratulierten Biden, verwiesen aber auf die noch anhängigen Klagen Trumps. »Wir akzeptieren die demokratisch zustande gekommene Entscheidung der amerikanischen Bürger und sind zuversichtlich, dass mögliche Unregelmäßigkeiten bei den Auszählungen schnell auf rechtsstaatlichem Wege geklärt werden.« (dpa)