BERLIN. Wegen des neuartigen Coronavirus haben die Organisatoren der weltgrößten Reisemesse ITB Berlin die Veranstaltung abgesagt. Das sagte ein Messesprecher am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Die Messe sollte vom 4. bis 8. März in der Hauptstadt die Tore öffnen. In den Tagen und Wochen zuvor hatten sich immer mehr Aussteller abgemeldet, nicht nur aus China. Nach Angaben der Messegesellschaft hat das zuständige Gesundheitsamt Charlottenburg-Wilmersdorf Auflagen stark erhöht. Diese seien insgesamt von der Messe Berlin nicht umsetzbar.
Der Krisenstab der Bundesregierung empfahl am Freitagabend, bei der Risikobewertung von Großveranstaltungen die Prinzipien des Robert Koch-Instituts zu berücksichtigen. Bei Anwendung dieser Prinzipien sollten aus Sicht des Krisenstabs »unmittelbar bevorstehende internationale Großveranstaltungen« abgesagt werden. Zudem will die Bundesregierung von Reiseunternehmen künftig Angaben zur Gesundheit von nach Deutschland kommenden Passagieren aus insgesamt fünf Staaten verlangen. Damit soll die Verbreitung des neuartigen Coronavirus in der Bundesrepublik begrenzt werden.
Die Anordnungen für Beförderer im Luft- und Schiffsverkehr würden entsprechend erweitert, teilte der Krisenstab von Bundesinnenministerium und Bundesgesundheitsministerium mit. Zusätzlich zu China sei künftig für Reisende aus Südkorea, Japan, Italien und dem Iran vor der Einreise der Gesundheitsstatus der Passagiere zu melden. Zudem sollten an alle Reisenden, die über eine Landesgrenze nach Deutschland kommen, Informationen zur Krankheitsvorbeugung verteilt werden. Diese Regelung gilt den Angaben zufolge auch für Passagiere im Zug- und Busverkehr.
Bundeskanzlerin Angela Merkel plädierte unterdessen für »Maß und Mitte« beim Umgang mit dem neuartigen Coronavirus. Es sollten nicht alle Veranstaltungen deshalb abgesagt werden, sagte sie am Freitagabend auf ihrem Jahresempfang in ihrem vorpommerschen Bundestagswahlkreis in Stralsund. Deutschland gehöre zu den Ländern, die die besten Voraussetzungen hätten, um mit dem Virus klarzukommen. Zudem könne jeder einzelne etwas dazu beitragen. Sie ging mit gutem Beispiel voran: »Ich gebe heute Abend niemandem die Hand«, sagte Merkel.
Unterdessen steigen in Deutschland die Zahlen der mit dem neuartigen Coronavirus Infizierten an. Bis Freitagvormittag zählte das Robert Koch-Institut 53 nachgewiesenen Infektionen, hauptsächlich in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Im Laufe des Tages wurden mehr als ein Dutzend weitere Fälle gemeldet. Betroffen sind auch die Bundesländer Bayern, Rheinland-Pfalz, Hessen und Hamburg beziehungsweise Schleswig-Holstein.
Nach Ansicht eines Experten werden sich noch etliche weitere Menschen mit Sars-CoV-2 anstecken. »Es werden sich wahrscheinlich 60 bis 70 Prozent infizieren, aber wir wissen nicht, in welcher Zeit«, sagte der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité am Freitag. »Das kann durchaus zwei Jahre dauern oder sogar noch länger.« Problematisch werde das Infektionsgeschehen nur, wenn es in komprimierter, kurzer Zeit auftrete. »Darum sind die Behörden dabei, alles zu tun, um beginnende Ausbrüche zu erkennen und zu verlangsamen.«
Deutschland sei hervorragend auf die Lungenkrankheit Covid-19 vorbereitet. Drosten mahnte dennoch: Die benötigte Zahl der Therapiebetten auf den Intensivstationen könne man schwer vorhersagen, aber, »wenn wir jetzt nichts tun, dann werden die vielleicht nicht ausreichen«.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) setzte angesichts der wachsenden Zahl von Sars-CoV-2-Infektionen das Risiko einer weltweiten Verbreitung des Virus von »hoch« auf »sehr hoch«. Noch aber sei der Kampf gegen die Ausbreitung nicht verloren, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus.
Nach Einschätzung von UN-Generalsekretär António Guterres hat die Bekämpfung des Coronavirus Sars-CoV-2 einen kritischen Punkt erreicht. »Wir wissen, dass eine Eindämmung möglich ist, aber das Zeitfenster schließt sich«, sagte Guterres am Freitag in New York. Es sei für alle Regierungen die Zeit gekommen, den Erreger mit allen Mitteln zu bekämpfen - »und dies ohne Stigmatisierung und unter Achtung der Menschenrechte«.
In Deutschland ist derzeit der Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen besonders stark betroffen. Dort stieg die Zahl der Infizierten bis Freitagnachmittag auf 35. Ein Ehepaar wird im Krankenhaus behandelt. Alle anderen seien nicht stationär aufgenommen worden, sagte Landrat Stephan Pusch (CDU). Der Krankheitsverlauf sei bei ihnen vergleichsweise mild. Am Freitagabend wurden noch Testergebnisse von Kindern eines Kindergartens erwartet, in dem die 46-jährige Ehefrau als Erzieherin tätig ist. Etwa 1000 Menschen befinden sich im Kreis Heinsberg nach Schätzungen der Behörden in häuslicher Quarantäne.
Nachdem bei einem Mitarbeiter eines großen Beratungsunternehmens in Düsseldorf das Coronavirus Sars-CoV-2 nachgewiesen wurde, sollen 1500 Kolleginnen und Kollegen des Mannes erst einmal zuhause bleiben. Die Unternehmensberatung Ernst & Young (EY) berichtete am Freitag, sie sei am Donnerstagabend über die Erkrankung ihres Angestellten informiert worden und habe daraus Konsequenzen gezogen. Betroffen sind rund 1400 Mitarbeiter von Ernst & Young in Düsseldorf und weitere 110 Beschäftigte der Niederlassung in Essen, wo der Mann ebenfalls gelegentlich gearbeitet habe.
In Deutschlands zweitgrößter Stadt Hamburg hat sich ein Arzt der Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) aus Henstedt-Ulzburg (Schleswig-Holstein) infiziert. Nach Erkenntnissen der Behörden hatte er im privaten und beruflichen Umfeld Kontakt zu etwa 100 Personen. Die Kontaktpersonen des Kinderarztes am Klinikum seien bereits alle auf Sars-CoV-2 getestet worden, mit negativem Ergebnis, sagte eine Sprecherin. Unter den Betroffenen seien 16 Kinder, die mit je einem Elternteil auf Station isoliert worden seien, und 12 ärztliche Mitarbeiter, die zu Hause isoliert seien.
Die Schweiz griff am Freitag zu einer drastischen Maßnahme und verbot alle Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern. Das Verbot soll bis mindestens 15. März gelten. Das betrifft unter anderem den Genfer Autosalon, der am 5. März starten sollte und zu dem jedes Jahr mehr als 600 000 Besucher kommen. Ebenso trifft es die Basler Fasnacht, die an diesem Montag beginnen sollte.
Laut RKI hat sich die Zahl der Fälle weltweit auf mehr als 83 000 Infizierte in 52 Ländern erhöht. Ein Teil dieser Menschen ist längst wieder geheilt oder hatte von vornherein keine oder kaum Symptome, überstandene Infektionen bleiben in der Statistik aber weiter erfasst. In Europa sind mehr als 20 Länder betroffen, wie aus der Statistik des europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) hervorgeht.
Die meisten Sars-CoV-2-Infizierten haben nur eine leichte Erkältungssymptomatik mit Frösteln und Halsschmerzen oder gar keine Symptome. 15 von 100 Infizierten erkrankten schwer, hieß es vom RKI. Sie bekommen etwa Atemprobleme oder eine Lungenentzündung. Nach bisherigen Zahlen sterben ein bis zwei Prozent der Infizierten, weit mehr als bei der Grippe.
Auch die Wirtschaft bekommt die Furcht vor der Virus-Ausbreitung zunehmend zu spüren: Der wichtigste deutsche Aktienindex Dax fiel am Freitag um mehr als fünf Prozent. Die Sorge um die Folgen der Coronavirus-Ausbreitung belasten seit Tagen die Finanzmärkte weltweit und drückten am Morgen bereits die Börsen in Asien tiefer ins Minus.
Und auch im Sport werden erste Auswirkungen der Coronavirus-Epidemie spürbar. In Abu Dhabi und Berlin sitzen Radprofis in Quarantäne, bei Weltcup-Skirennen in Norditalien wurde Körperkontakt praktisch untersagt und die Schweiz hat aus Sorge vor Covid-19 gleich alle größeren Sportveranstaltungen inklusive Toppartien im Fußball und Eishockey verboten.