Logo
Aktuell Ahnenforschung

Warum Familien in der Region so heißen und was die Namen bedeuten

Warum leben im einen Ort so viele Familien mit dem Namen Nill, warum heißen nur zehn Kilometer weiter ganz viele Menschen mit Nachnamen Brodbeck und wieso heißen sie so? Namensforscher haben sich die Familiennamen der Region mal genauer unter die Lupe genommen.

KREIS REUTLINGEN/KREIS TÜBINGEN. Irgendwie kennen das alle. In dem einen Ort wohnen beispielsweise die meisten Menschen mit dem Nachnamen Sailer, im anderen Ort heißen ganz viele Familien Brodbeck. Doch wieso ist das so? Aktuell haben sich das zwei Forscher mal genauer angesehen und sind nach der Sichtung unzähliger historischer Quellen zu dem Ergebnis gekommen: Familiennamen kommen gerade im Südwesten sehr häufig immer noch dort vor, wo sie vor vielen Jahrhunderten entstanden sind. Auch in der Region Neckar-Alb ist das offensichtlich so.

Der Namensforscher Professor Konrad Kunze von der Uni Freiburg hat mit seiner Kollegin Professorin Damaris Nübling den »Kleinen Deutschen Familiennamenatlas« herausgegeben, der trotz des Titels fast 750 Seiten dick ist. Darin steht unter anderem, dass gerade Nachnamen mit der für die hiesige Region typischen Verkleinerungssilbe -le - also beipielsweise Eberle, Schäuble, Wehrle oder Brändle - hier entstanden sind und bis heute »eindrucksvoll den alemannisch-schwäbischen Dialektraum abdecken«. Mit anderen Worten: Die Nachnamen haben sich vor Jahrhunderten hier entwickelt und die Familien, die diese Namen tragen, sind auch weitgehend hier geblieben. 

Der schwäbische Bauer blieb jahrhundertelang bei seiner Scholle

Dass diese Namen regional so begrenzt sind, liegt laut Autor Professor Konrad Kunze an der geringen Mobilität der Menschen in den vergangenen Jahrhunderten: »Ein schwäbischer Bauer musste bei seiner Scholle bleiben. Der ging höchstens mal zur Kirchweih ins Nachbardorf. Also blieben auch die Namen erhalten. Das änderte sich erst vor etwa 200 Jahren.« Im 19. Jahrhundert seien die Menschen durch Eisenbahn oder Dampfschiff mobiler geworden.

Im Schwäbischen sei ihr Radius aber nicht sehr viel größer geworden. »Vereinfacht beschrieben: Die meisten sind dann beispielsweise von Göppingen, Esslingen oder Ludwigsburg nach Stuttgart gezogen«, erklärt Kunze. Selten weiter als 30 Kilometer. Aber im 19. Jahrhundert seien gleichzeitig auch zahlreiche Menschen in die USA ausgewandert und haben schwäbische Familiennamen nach Amerika gebracht.

Sivrit der Recke oder Ludwig der Fromme

Die deutschen Familiennamen entwickelten sich laut dem neuen Nachschlagewerk auch in der Region im Hochmittelalter. Bis etwa ins 11. Jahrhundert hatten alle nur einen Rufnamen. Nur in Ausnahmefällen bekamen sie einen Zusatz wie beispielsweise Sivrit der Recke oder Ludwig der Fromme. Erst danach entwickeln sich langsam die Nach- oder Familiennamen. Inzwischen gibt es in Deutschland weit mehr als 850.000 Nachnamen. 

Alle können demnach fünf verschiedene Ursprünge haben:

  • Familiennamen, die sich aus den früheren Rufnamen entwickelt haben: Hans Michelson ist der Hans, dessen Vater Michel hieß, also Michels Sohn. Kurzformen haben sich daraus entwickelt, wie Michels oder Peters. Auch Abkürzungen von Vornamen wie Buck oder Götz gehören zu dieser Gruppe.
  • Herkunftsnamen sind manchmal sehr leicht zu erkennen. Hans Allgaier kommt aus dem Allgäu, Hans Unger aus Ungarn, Hans Furtwängler aus Furtwangen.
  • Wohnstättennamen leiten sich aus der Adresse her: Fritz Althaus wohnt in einem alten Haus, Fritz Gruber an einer Grube und Fritz Kirchgessler in der Kirchgasse. 
  • Berufsnamen gehören zu den häufigsten Nachnamen im Land. Platz eins unter allen deutschen Nachnamen belegt Müller. Neun Prozent aller Deutschen tragen diesen Nachnamen. Gefolgt von Schmid, Schmidt, Schmitz oder Schmied. Auf den Plätzen landen Schneider, Fischer, Weber, Maier/Maier/Meier/Mayer oder Wagner. Etwas weiter hinten in der Hitliste, aber immer noch sehr häufig: Koch, Schuster (in der Region auch Sauter), Schumacher, Zimmermann, Jäger oder Bäcker/Becker/Beck oder Brodbeck (eine schwäbische Variante).
  • Dann gibt es noch die fünfte Gruppe - die sogenannten Übernamen. Diese Nachnamen orientieren sich an körperlichen, charakterlichen, gewohnheitsmäßigen oder biographischen Merkmalen: Hans (der) Klein(e) oder Hans (der am) Sonntag (geboren wurde). Der berühmte Name Schiller gehört auch dazu und bezeichnet den Schielenden und Doderer bezeichnet einen Stotterer. 

Die Hitliste der im Buch aufgeführten häufigsten Nachnamen in der Region Neckar-Alb unterscheidet sich nicht sonderlich von denen in ganz Deutschland. Auch in den Kreisen Reutlingen, Tübingen oder Sigmaringen sind die Müllers vorherrschend und die Maiers, Fischers und Schneiders folgen in der Häufigkeit direkt hinter ihnen. Doch die regionalen Besonderheiten fallen schon bei den 50 häufigsten Familiennamen auf. 

Besonders typisch für den Kreis Reutlingen sind beispielsweise die Namen Vöhringer, Gaiser, Brändle oder Goller. In keinem anderen Landkreis in Baden-Württemberg gibt es zudem so häufig den Familiennamen Hummel. Im Kreis Tübingen sind die Namen Nill, Schneck oder Schaal ziemlich häufig. Auch recht oft heißen Familien Saile oder Sailer.

 

Besonders interessant sind aber die typischen lokalen Familiennamen, die sich in den einzelnen Orten gehalten haben und die jeder kennt. Die GEA-Recherchen mit Hilfe der Kreisarchive der Landratsämter Tübingen und Reutlingen ergaben eine große Vielfalt an Namen in den unterschiedlichen Orten. Deshalb hier nur einige Beispiele für Kommunen und Familiennamen in den Landkreisen Reutlingen und Tübingen.

  • Reutlingen: Vöhringer, Gaiser, Goller, Hummel, Reiff
  • Pfullingen: Lu(t)z, Sei(t)z, Be(t)z, Saut(t)er
  • Metzingen: Buck, Brodbeck
  • Bad Urach: Holder
  • Münsingen: Lamparter, Brändle
  • Pliezhausen/Walddorfhäslach: Armbruster, Nonnenmacher
  • Wannweil: Reusch

Im Landkreis Tübingen gibt es typische Nachnamen, die sich im benachbarten Landkreis Reutlingen zwar auch, aber deutlich seltener finden.

  • Tübingen: Schaal, Schneck, Saile(r) häufig in Rottenburg 
  • Mössingen: Steinhilber, Lu(t)z
  • Ofterdingen/Nehren: Nill, Steinhilber
  • Gomaringen: Pflumm, Wörner, Ze(e)b
  • Kirchentellinsfurt: Widmann, Walker, Imhof
  • Kusterdingen: Bader

Was bedeuten die für die Region so typischen Namen?

Die meisten der regionalen Namensbesonderheiten werden im Kleinen deutschen Familienatlas erwäht oder haben sogar ein eigenes kleines Kapitel. Der im Kreis und der Stadt Reutlingen häufig auftretende Familienname Vöhriger ist demnach ein Herkunftsname. Der Ort Vöhringen gehört mit zu den ältesten in Baden-Württemberg und liegt etwa 65 Kilometer von Reutlingen entfernt im Landkreis Rottweil.

Nicht mehr ganz so leicht herleiten lässt sich Gaiser. Doch es steckt die Geiß drin, die im Schwäbischen gleichbedeutend mit der Ziege ist. Somit stammen die Gaisers aus einer (großen) Familie von Ziegenhirten. Schillernder ist die Herkunft von Goller. Das Deutsche Namenslexikon schreibt: Aus dem mittelhochdeutschen Goller oder Koller für Halsbekleidung, auch vergleichbar mit dem französischen Collier. Der Name Hummel hat mit dem beliebten Insekt eher wenig zu tun, sondern wird von den Fachleuten als sogenannter Übername eingeordnet und steht für eine Charaktereigenschaft: unruhige oder aufgeregte Menschen. Das Sprichwort von den »Hummeln im Hintern« ist nicht allzu weit weg. Beim Familiennamen Reiff muss man ein klein wenig um die Ecke denken. Tatsächlich ist der Reif oder sind die Reifen gemeint, die ein Fass zusammenhalten. Also ist es eine Berufsbezeichnung im Fasshandwerk. 

Nur in der Region wurden Namen so geschrieben

Die Nachnamen Luz, Diez, Seiz, Bez, oder Friz sind eine regionale Besonderheit, denn nur im Südwesten kommen sie in dieser Schreibweise vor. Alle sind natürlich Kurzformen von Rufnamen wie Dietrich, Lutz, Bernhard oder Friedrich  Doch während diese im restlichen Deutschland mit »tz« geschrieben werden, fallen diese Nachnamen dadurch auf, dass sie nur mit einem Z enden. Namensforscher Konrad Kunze sagt: »Die genauen Hintergründe sind noch nicht erforscht. Möglich wäre, dass die Pfarrer in der Region ihre Bücher so geführt haben, dass diese Familiennamen nur mit Z geschrieben wurden. Sie scheinen sich recht flächendeckend auf diese Schreibweise geeinigt zu haben.« Damals habe es noch keine einheitliche Rechtschreibung gegeben. Typische Kurzschreibweisen für Rufnamen sind auch Frick (für Friedrich) oder Buck (für Burkhard). Typische Schreibweisen in der Region sind auch Finckh (statt Fink) oder Beckh (anstatt Beck oder Becker). Wobei der Fink für einen fröhlichen, unbeschwerten oder übermütigen Menschen steht.

Eine große Vielfalt an Nachnamen hat in der Region das Bäckerhandwerk hervorgebracht. Denn neben dem gängingen Bäcker oder Becker, finden sich in der Region schwäbische Versionen: Gutbrod, Weisbrod, Schönbrodt, Rückbrodt, Brodbeck oder Schlotterbeck

Der Familienname Holder hat laut Namensatlas eine relative Häufigkeit im Ermstal, vor allem in Bad Urach. Es ist der (abgekürzte) Hinweis auf die Wohnstätte am Holunderbaum. Der relativ häufige Name Lamparter in Münsingen und der Umgebung hat nicht, wie man vielleicht vemuten könnte, mit dem Lamm oder Schafen zu tun, sondern ist ein Hinweis auf die italienische Region Lombardei. Diese hieß im mittelhochdeutschen »Lampartenlant«. Der Name ist also ein Hinweis darauf, dass die entsprechende Familie Beziehungen, beispielsweise Handelsbeziehungen zur Lombardei hatte.

Brändle ist ein typischer Name mit der schwäbischen Verniedlichung- oder Verkleinerungsform -le am Ende. Also ein kleiner Brand? Mitnichten. Der Name Brand oder Brandt, der in ganz Deutschland vorkommt, ist die Bezeichnung für eine Wohnstätte. Die Familie Brand hat früher auf einer Fläche gewohnt, die durch Brandrodung erst entstanden war - oder dort ein Haus gebaut.

Die Schnecks waren nicht undedingt langsam

Die Ursprünge der typischen Namen im Landkreis Tübingen ist auch nicht immer leicht zu ergründen. Nill ist die Abkürzung für den Vornamen Cornelius. Also ein Familienname der aus dem ursprünglichen Rufnamen des Familienoberhauptes Cornelius entstanden ist (wie bei Luz, Seiz, Diez). Der Name Schneck ist wieder einer, der mehrere Mögklichkeiten zulässt. Der direkte Bezug zum Schneckentier. Waren die Träger des Namens also einst Schneckensammler? Im 18. Jahrhundert bekommt der Name eine andere Bedeutung und ist wohl entweder übernommen worden von dem schneckenförmigen Haargeflecht, wie es früher bei jungen Mädchen üblich war. Oder aber er spielt auf die Empfindlichkeit an: Bei Zudringlichkeit wird das Mädchen oder Kind unnahbar wie die Schnecke, die sich in ihr Haus zurückzieht.

Auch beim Familiennamen Pflumm weist die Namensforschung auf mehrere mögliche Ursprünge hin. Er kann ein Hinweis auf die Herkunft sein, denn die Stadt Riedlingen im Kreis Biberach hat einen Ortsteil Pflummern. Möglich ist aber auch, dass die Namensträger einst Händler von Flaum (mittelhochdeutsch Phlume oder Pflume) - oder von Bettfedern waren. Oder Handwerker, die mit Flaumfedern arbeiteten, beispielsweise Enten und Gänse gerupft oder Federn gefärbt haben. Möglich ist auch ein Pflaumenhändler als Namenspatron oder jemand der in der Nähe von Pflaumenbäumen wohnte.

Bader rissen auch Zähne aus

Einfacher wird's bei den Namen Schaal, Saile oder Sailer. Bei Schaal handelt es sich um eine Berufsbezeichnung für einen Schalenhersteller, der Trink,- Ess- oder Waagschalen hergestellt hat. Saile oder Sailer haben früher Seile hergestellt. Besonders in Rottenburg taucht der Name sehr häufig auf. Das hängt mit der früheren Rottenburger Seilerei oder Reeperbahn zusammen. Ein Seile-Manufaktur, bei der zahlreiche Rottenburger Arbeit fanden. Übrigens: Die Rottenburger Seilerei ist im Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck erhalten geblieben.

Auch die Familien mit dem Namen Bader haben ihn von einem Berufsstand früherer Zeiten. Der Bader war in der mittelalterlichen Badstube nicht nur für das Baden selbst zuständig, er kümmerte sich auch um die Frisur, riß Zähne aus und schröpfte.

Höchstwahrscheinlich ist der Ursprung der Familien Steinhilber im gleichnamigen Ort Steinhilben, der bekanntlich zur Stadt Trochtelfingen gehört. Im Mittelhochdeutschen gibt es aber auch die »Steinhülwe«, was auf ein Sumpfgebiet mit Steinen hinweist.

Zeeb ist schlicht eine Dialektform eines Körperteils, nämlich von Zeh. Auffällige Beine haben überall in Deutschland zu Übernamen wie Holbein oder Schmalfuß geführt, schreibt Kunze in seinem Nachschlagewerk. Im Schwäbischen wurde aus Zeh, Zee oder Zehe eben Zeeb.

Widmann oder auch Wittmann oder Widmeier stammt wiederum aus dem Mittelhochdeutschen. Widemann oder Widemer war ein Bauer, der ein Gut bewirtschaftete, dass im geistlichen Besitz war. Walker ist wieder ein eindeutiger Berufsname. Der Tuchwalker, der Textilien reinigte. Der Nachname Imhof kann ganz wörtlich verstanden werden und bezeichnete jemanden, der »in einem (Bauern-)Hof« wohnt.

Der Name Reusch lässt zwei Möglichkeiten zu. Zum einen abgeleitet vom Fischer, der mit Reusen seine Fische fängt. Reusch ist dann auch eine Abkürzung für Reusenfischer. Möglich ist aber auch ein Wohnstättename, denn mittelhochdeutsch bedeutet »riusche« ein binsenbewachsenes, feuchtes Gelände. Also steht Reusch dann für jemanden, der an oder in einem solchen Gelände oder einem entsprechend benannten Flurstück wohnt.

Mehrere Ursprünge kann auch Armbruster haben. Dieser Name entstand mit der größeren Verbreitung der gleichnamigen Waffe, die ab dem 11. Jahrhundert in Mitteleuropa beginnt. Träger des Namens können entweder Hersteller der Waffen sein, oder solche, denen erlaubt war, eine solche Waffe zu tragen, oder die besonders gut mit ihnen umgehen konnten.

Der Nonnenmacher ist eine Verballhornung des Wortes »Nunne«, was nichts anderes als ein kastriertes Schwein ist. »Nunnemacher« waren also im Metzgerhandwerk wichtig. Der Volksmund machte Nonnenmacher daraus. (GEA)