Die Geschichte ist nun wirklich nicht neu, aber für mich bis zum heutigen Tag eine lebhafte Erinnerung. Deutschland gegen Ungarn, Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 1954. Wir waren noch gar nicht auf der Welt, aber unsere Väter haben, als wir es dann waren, immer wieder davon erzählt. Wie sie damals, neun Jahre nach Kriegsende, in Trauben vor den Radiogeschäften standen und der Reportage von Herbert Zimmermann aus dem Wankdorfstadion (»Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen …«) zugehört haben. Und was in der Republik los war, nachdem die Mannschaft von Sepp Herberger aus einem 0:2-Rückstand gegen die Ungarn am Ende in Bern einen 3:2-Sieg gemacht hatte (»Aus, aus, aus, das Spiel ist aus. Deutschland ist Fußball-Weltmeister«). Für die Väter, die im Krieg gewesen waren, erlebte die junge Bundesrepublik am 4. Juli 1954 mit dem »Wunder von Bern« ihre wahre Geburtsstunde. Die Väter, die von diesem Tag immer wieder schwärmten, waren oft die, die uns vom Krieg nie etwas erzählt haben. Aber das ist ein anderes Thema.
Nun also wieder gegen Ungarn. In München. Unter anderen Voraussetzungen, aber den Älteren unter uns fallen immer wieder die Dinge ein, von denen der Vater damals sprach. Ende der 50er, als fast jeder Junge in Deutschland anfing, sich für Fußball zu interessieren. Weil die Väter immer wieder davon erzählt haben – und irgendwie eine besondere Beziehung zum Sport, zum Fußball in uns förderten. Es muss damit zu tun haben.
Was die Favoritenstellung für das aktuelle Spiel angeht, ist das heute nun genau andersherum als damals in Bern. Die Mannschaft von Joachim Löw ist nach dem 4:2 gegen Portugal hoher Favorit, die Ungarn der Außenseiter. Keiner weiß, wie es ausgeht, um auf Sepp Herberger zurückzukommen. Wenn es in München dem Favoriten genau so gehen sollte wie damals in Bern, wird das eine ziemliche Pleite. Aber davon gehen wir jetzt einfach einmal nicht aus.
Und entspannen uns vor dem Spiel heute Abend vielleicht noch bei einem Glas Lemberger. Und nehmen uns danach vor, die Erinnerungen an unsere Väter und deren Erzählungen über das Wunder von Bern zum Anlass zu nehmen, endlich nochmal selbst gegen den Ball zu treten. Dann hätte das alles wirklich einen Sinn gehabt – und uns auf den Weg der sportlichen Tugend zurückgeführt. Weil viel wichtiger als über den Sport im Allgemeinen und den Fußball im Speziellen nachzudenken und zu schreiben, ist es, ihn aktiv zu betreiben. In diesem Sinne uns gutes Gelingen, liebe Leserinnen und Leser.