REUTLINGEN. Die gefühlt 80 Millionen Bundestrainer in Deutschland erlebten während der Vorrunde dieser Fußball-EM ein Wechselbad der Gefühle: Nach der 0:1-Niederlage gegen Weltmeister Frankreich wurde Bundestrainer Jochim Löw für das offensichtlich einfallslose Angriffsspiel kritisiert. Nach dem 4:2-Triumph über Europameister-Portugal war das DFB-Team plötzlich Titelfavorit und Löw ein Taktik-Fuchs. Und nach dem erzitterten Weiterkommen mit dem 2:2 gegen Außenseiter Ungarn befürchten viele im Achtelfinale ein Debakel gegen die formstarken Engländer, wenn der Coach die Taktik nicht ändert. Der GEA hat sich bei Fußball-Trainer aus der Region umgehört, was sie im deutschen Team umstellen würden.
Pfullingens Coach Daniel Güney wünscht sich mehr Einsatzzeit für Volland
Daniel Güney, Trainer des Verbandsligisten VfL Pfullingen, würde an Löws Grundformation nichts ändern. »Ich würde mir allerdings ein oder zwei mehr Spielzüge als Variante im Offensivspiel wünschen«, sagt der A-Lizenz-Inhaber, »wir tun uns oft schwer, Überzahlsituationen herzustellen«. An der Startelf vom Ungarn-Spiel würde er gegen England festhalten, allerdings fände er es gut, wenn Löw früher reagieren würde, sobald das Angriffsspiel stockt. »Mit einem klassischen Stoßstürmer könnte man dann auch mehr mit Flanken arbeiten«, sagt der Pfullinger Coach, der Kevin Volland in dieser Rolle gerne länger sehen würde.
Ein Fußball-Trainer aus der Region will Löw dagegen lieber keine Tipps geben: Steven Trevaillon, Trainer des Landesligisten SV 03 Tübingen und im englischen Northampton geboren. »Ich hoffe auf einen 10:0-Sieg für England«, sagt Trevaillon. Er hält Löw im Vergleich mit Englands Gareth Southgate zwar für den deutlich besseren Coach, »aber wenn er bei der Dreierkette bleibt, gewinnen wir«, ist Trevaillon überzeugt. Wobei - so überzeugt klingt der Engländer aus Tübingen dann doch nicht: »Es ist immer schön gegen Deutschland zu gewinnen, aber leider ist das sehr selten.«
Maik Schütt vom SSV Reutlingen zurückhaltend
Maik Schütt, Trainer des Oberligisten SSV Reutlingen, ist zurückhaltend, was eine Bewertung von Löws Arbeit angeht. »Ich würde gerne mal Mäuschen spielen, um zu sehen, welche Vorgaben Löw genau macht«, sagt der A-Lizenz-Inhaber, »so aber sehe ich mich eigentlich nicht befugt, den Bundestrainer zu kritisieren«. Schütt outet sich jedoch als »Fan der Viererkette«, was darauf schließen lässt, dass er am liebsten die taktische Formation des DFB-Teams ändern würde. Löw hat in allen drei Vorrunden-Spielen einer Dreierkette mit Mats Hummels, Antonio Rüdiger und Matthias Ginter vertraut. »Mit einer Dreierkette zu spielen, ist nicht immer einfach«, sagt Schütt. »Wenn man den Ball in der Vorwärtsbewegung verliert, braucht man oft zu lange und die Räume im Umschaltspiel sind oft zu groß.« Das macht Mannschaften anfällig für Konter.
Froh ist der SSV-Trainer dagegen, dass Löw Hummels und Thomas Müller zurückgeholt hat. Und generell geht Schütt davon aus, dass das Spiel der offensiv ausgerichteten Engländer dem deutschen Team mehr liegt als die destruktive Taktik der Ungarn.
Jens Bauer aus Kusterdingen-Jettenburg äußert sich hinsichtlich möglichen Änderungen zurückhaltend, arbeitet der weltweit jüngste Absolvent eines Fußball-Lehrer-Lehrgangs doch seit dem 1. Juni als Co-Trainer der U16-Nationalmannschaft für den Deutschen Fußball-Bund. Der 29-Jährige ist nach dem zweiten Platz in der Todesgruppe F jedoch generell optimistisch für den weiteren Turnierverlauf - vor allem nach dem Portugal-Spiel, das er live im Münchner Stadion verfolgte. »Der Eindruck war sehr positiv. Das war taktisch auf ganz hohem Niveau. Und man hat gesehen, was diese Mannschaft in der Lage ist zu leisten«, sagt Bauer. (GEA)