REUTLINGEN. Im Tarifkonflikt im privaten Omnibusgewerbe in Baden-Württemberg ruft ver.di ab heute zu Streiks auf. Betroffen ist auch der Reutlinger Stadtverkehr. Vom Arbeitskampf ausgenommen sind der Flughafenbus eXpresso und die (Schulbus-)Linien der FES (Freie evangelische Schule).
Auf ihrer Streikversammlung im Echazhafen geben sich die Busfahrer kämpferisch. Wieso der Reutlinger Stadtverkehr im Gegensatz zu Tübingen - wo nur am morgigen Dienstag gestreikt wird - drei Tage lang lahmgelegt wird, erklärt Mustafa Baykan als Betriebsratsvorsitzender bei der RSV: »Daran ist die Geschäftsführung der RSV schuld, weil sie Mitglieder der Tarifkommission massiv unter Druck gesetzt haben«. Die Rede ist von Aushängen mit Schuldzuweisungen sowie weiteren Vorgängen. »Wir werden nicht für Sitzungen der Verhandlungskommission freigestellt. Wir müssen einfach gehen«, sagt Baykan mit ernster Miene. »Deswegen hat die Tarifkommission entschieden, dass auch in Reutlingen drei Tage gestreikt wird, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen«, betont Benjamin Stein, Bezirksgeschäftsgeschäftsführer von Verdi im Bezirk Fils-Neckar-Alb.
RSV kritisiert den Streik: »Unangemessen ... schlichtweg unverschämt«
In einer Pressemitteilung nimmt die Reutlinger Stadtverkehrsgesellschaft RSV unmissverständlich Stellung: »Wir halten es – wie schon bei den vorhergehenden Streiks in Reutlingen – als unangemessen, insbesondere zu Beginn des neuen Schuljahres die Fahrgäste über drei Tage hinweg derart zu enttäuschen und quasi die RSV in Sippenhaft zu nehmen. Deutlich betonen möchten wir, dass die Forderungen von verdi in den Dienst- und Schichtplänen der RSV schon jetzt weitestgehend berücksichtigt sind. Dies hat verdi öffentlich bestätigt. Insbesondere in Hinblick auf die aktuell schwierige Situation bei der RSV halten wir diese Vorgehensweise für schlichtweg unverschämt«.
Die Verantwortlichen der RSV haben den Eindruck, »Verdi nimmt sich die GDL zum Vorbild. Wir bezweifeln, dass solche Aktionen noch irgendwelches Verständnis bei den Kunden der RSV bzw. des ÖPNV aufbringen wird. So sieht das auch die Mehrheit in Deutschland und vermutlich auch unsere Fahrgäste. Die FAZ berichtet heute von einer Umfrage von «YouGov» für die Nachrichtenagentur dpa, dass gut jeder zweite Deutsche kein Verständnis für den jüngsten Streik bei der Deutschen Bahn hat. Trotzdem lässt verdi hier in Reutlingen die Muskeln spielen«.
Der gesamte ÖPNV befinde sich mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie in seiner größten Bewährungsprobe nach dem zweiten Weltkrieg. Die Fahrgastzahlen bewegen sich weiterhin unter dem Niveau von 2019. Die damit einhergehenden geringeren Fahrgeldeinnahmen verursachen bei den Verkehrsunternehmen massive Probleme. Gleichzeitig können auch die Kommunen, aufgrund wegbrechender Gewerbesteuereinnahmen nicht alle Corona-Effekte ausgleichen. Diese aktuellen Entwicklungen seien auch Verdi bekannt.
Informationen der RSV
Vom Streik sind alle Linien und auch die Auftragsunternehmen der RSV betroffen. Der öffentliche Busverkehr in Reutlingen, Pfullingen, Eningen unter Achalm, Pliezhausen und Walddorfhäslach kommt so zum völligen Erliegen. Die FES-Linien sind von den Streikmaßnahmen ausgenommen. Die Schnellbuslinie eXpresso ist wegen ihrer überregionalen Bedeutung von den Streikmaßnahmen ebenfalls ausgenommen. Informationen über den Streik werden wir auf unserer Homepage www.reutlinger-stadtverkehr.de , der App ÖPNV live sowie auf den Dynamischen Fahrgastinformationsanzeigern an den Reutlinger Haltestellen bekanntgeben. (pr)
Auf diese Vorwürfe antwortet Verdi-Funktionär Benjamin Stein auf GEA-Nachfrage am Montagmorgen folgendermaßen: »Die RSV ist Mitglied im Arbeitgeberverband. Das bedeutet, dass sie mitverantwortlich ist. Wenn es um die Pausenzeiten geht, sind Forderungen in den jetzigen Dienstplänen umgesetzt. Das gilt nicht für die Subunternehmer und ist keine Garantie für die Zukunft, weil es nicht nach Tarif geregelt ist«.
Verdi spricht von Gehaltsverzicht der Fahrer und Fahrerinnen
Die Gewerkschaft hatte bereits vor dem Beginn der Sommerferien nach erfolgreicher Urabstimmung und Streikverzicht vor der anschließenden sechsten ergebnislosen Verhandlungsrunde den Arbeitgebern, dem WBO, angekündigt, den unterbrochenen Arbeitskampf wiederaufzunehmen. Aufgerufen sind zunächst Beschäftigte in rund zwanzig Betrieben aus ganz Baden-Württemberg. Hauptstreiktag ist der Dienstag, dann wird auch der Tübinger Stadtverkehr lahmgelegt.
Verdi-Verhandlungsführerin Hanna Binder sagte, die unbezahlten Standzeiten der Busse seien eine Subvention der Ticketpreise durch Gehaltsverzicht der Fahrer und Fahrerinnen. Die Arbeitgeber seien in sechs Verhandlungsrunden nicht bereit gewesen, diesen untragbaren Zustand noch vor den Sommerferien anständig zu regeln. »Wir setzen darauf, dass die Streiks nächste Woche die Arbeitgeber endlich zum Einlenken bewegen.«
Informationen von Verdi
In den Manteltarifverhandlungen für das private Omnibusgewerbe zwischen ver.di und dem Arbeitgeberverband von Baden-Württemberg WBO fanden bisher sechs Verhandlungsrunden statt. ver.di fordert unter anderem eine Pausenregelung nach dem Arbeitszeitgesetz, eine Vereinheitlichung der Sonntags- und Nachtzuschläge auf höherem Niveau sowie die Aufnahme von Verhandlungen für eine betriebliche Altersvorsorge. Nachdem die Arbeitgeber in der dritten Runde kein verhandlungsfähiges Angebot vorgelegt hatten und weiterhin auf einer Absenkung der Jahressonderzahlung beharren, hatte die Tarifkommission beschlossen, zu ersten Warnstreiks aufzurufen. Nach der vierten Verhandlungsrunde fanden begleitend zur Urabstimmung weitere Warnstreiks statt. Bei der Urabstimmung hatten sich 97,9 Prozent der zur Abstimmung aufgerufenen Mitglieder für Arbeitskampfmaßnahmen zur Durchsetzung der Forderungen ausgesprochen. Damit ist seitdem der Weg auch für längere und unbefristete Arbeitsniederlegungen grundsätzlich frei. (pr)
Kritik am Vorgehen der Gewerkschaft kam vom Arbeitgeberverband WBO. »Verdi sucht sich die Schwächsten in der Kette - die Schülerinnen und Schüler - zu Schulbeginn aus, um Druck aufzubauen«, sagte Yvonne Hüneburg, stellvertretende Geschäftsführerin des Verbandes. Das Verhalten der Gewerkschaft sei ein Unding, zumal es vor der Sommerpause zeitlich nicht gereicht habe, den Manteltarifvertrag abschlussreif zu verhandeln.
Strittig sind in dem Tarifstreit unter anderem Pausenregelungen sowie Nacht- und Sonntagszuschläge. Der Ausgang der Verhandlungen hat Auswirkungen auf rund 9000 Busfahrer im Südwesten. (GEA)