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Sicherung/Finanzierung von Pflege: Was Bundestagskandidaten dazu sagen

Der GEA-Kandidaten-Check zur Bundestagswahl: Die sechs Kandidaten der aussichtsreichsten Parteien in den Wahlkreisen Reutlingen und Tübingen beantworten im Wechsel Fragen zu relevanten Themen. Es geht um die allgemeine Impfpflicht, das Aus für Verbrennermotoren, die Energiewende und mehr Kompetenzen für den Katastrophenschutz. Das heutige Thema: die Sicherung und Finanzierung der Pflege für die geburtenstarken Jahrgänge

Schon heute fehlt Personal in der Altenpflege. Wie kann gegengesteuert werden, damit das Problem nicht immer größer wird?  FOTO:
Foto: SCHULDT/DPA
Foto: SCHULDT/DPA

KREIS REUTLINGEN. In der Altenpflege ist das Personal schon heute knapp: Offene Stellen sind in den Pflegeheimen eher die Regel als die Ausnahme. Es ist ein Missstand, der sich in den kommenden Jahren noch deutlich verschärfen wird. Dafür ist keine Kristallkugel nötig – es reicht der Blick auf die Zahlen des Statistischen Landesamts.

Diese weisen fürs Jahr 2035 im Landkreis Reutlingen knapp 80.000 Menschen über 65 Jahren aus – heute sind es rund 20.000 Seniorinnen und Senioren weniger. Gleichzeitig wird die Gruppe der Menschen im Erwerbsalter – also zwischen 20 und 65 Jahren – immer kleiner. Rund 170.000 sind es aktuell im Landkreis Reutlingen. Knapp 157.000 werden es im Jahr 2035 sein.

Wenn an allen Ecken und Enden Arbeitsplätze unbesetzt bleiben und Fachleute fehlen, werden sich immer weniger junge Menschen für eine berufliche Laufbahn in der Altenpflege begeistern – es sei denn, diese Arbeitsplätze werden deutlich attraktiver gestaltet als sie es heute sind. Mit ihrer jüngsten Pflegereform versuchte die Bundesregierung in diese Richtung zu steuern: Die Beschäftigten in den Pflegeeinrichtungen sollen zukünftig nach Tarif oder in entsprechender Höhe bezahlt werden. Bislang wird von den etwa 1,2 Millionen Mitarbeitenden in der Altenpflege nur etwa jeder zweite nach Tarif bezahlt. Gleichzeitig versucht die Politik, die immer weiter steigenden Eigenanteile für die Bewohnerinnen und Bewohner in den Pflegeheimen zu deckeln: Was für die Betreuung, Unterbringung und Verpflegung in den stationären Einrichtungen aus eigener Tasche zu zahlen ist, summiert sich leicht auf rund 2.000 Euro im Monat. Wer bei einem mehrjährigen Heimaufenthalt kein ausreichendes Vermögen im Hintergrund hat, ist auf Sozialhilfe angewiesen.

Für weitere Unsicherheit bei pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen sorgte in diesem Jahr ein Gerichtsurteil, nach dem die ausländischen Pflegekräfte in der 24-Stunden-Betreuung zu Hause einen Anspruch auf Mindestlohn auch für Bereitschaftszeiten haben. Diese Form der Pflege wird damit für die Allermeisten unbezahlbar – oder sie driftet noch stärker in einen Grau- oder Schwarzbereich ab.

Der CDU-Abgeordneter Michael Donth
Der CDU-Abgeordnete Michael Donth. Foto: Pedersen/dpa
Der CDU-Abgeordnete Michael Donth.
Foto: Pedersen/dpa

Michael Donth (CDU)

In unserem immer älter werdenden Land gibt es Handlungsbedarf bei den Rahmenbedingungen für die Pflegekräfte, sowie bei den zu Pflegenden und ihren Familien. Unsere Pflegekräfte sind am Limit. Deshalb muss es weitere Verbesserungen geben. Das Problem ist hier oft der Personal- und Fachkräftemangel.

Gesundheitsminister Jens Spahn hat einige Verbesserungen auf den Weg gebracht. So haben wir in der letzten Sitzungswoche der Legislatur die Pflegereform beschlossen, die unter anderem flächendeckend gute Löhne für Pflegekräfte vorsieht. Die Ausbildung in der Pflege muss noch weiter gestärkt werden, zum Beispiel durch die Einführung einer bundesweiten Vergütung der Pflegeassistenzausbildung.

Außerdem wollen wir eine Bundespflegekammer einrichten und die Pflegeberufe im Gesundheitsrecht aktiv beteiligen. Zukünftig werden wir sicherlich auch noch mehr ausländische Pflegekräfte brauchen. Finanziert werden kann all dies nur durch eine Weiterentwicklung unserer Pflegeversicherung. Dazu gehört auch, dass wir die betriebliche Pflegezusatzversicherung stärken und staatlich fördern. Die Pflegeversicherung ist keine Vollversicherung. Deshalb müssen wir unbedingt Anreize schaffen, privat für das Alter vorzusorgen.

Dr. Ulrich Bausch, fotografiert im Garten des Heimatmuseums.
Dr. Ulrich Bausch. Foto: Markus Niethammer
Dr. Ulrich Bausch.
Foto: Markus Niethammer

Dr. Ulrich Bausch (SPD)

Gegenwärtig wird die Pflege zu schlecht bezahlt. Daher der Pflegekräftemangel. In der Pflege wird jedoch enorme und gesellschaftlich wertvolle Arbeit geleistet.

Ich möchte die Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Altenpflege und Pflege von Menschen mit Behinderung schnell verbessern, auch durch allgemeinverbindliche Branchentarifverträge.

Wir werden über die Pflegemindestlohnkommission eine weitere Erhöhung der Mindestlöhne verfolgen. Ich möchte, dass der arbeitsrechtliche Sonderweg der Kirchen beendet wird. Es gibt einen gewaltigen Personalmangel in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Wir wollen eine Vollversicherung als Bürgerversicherung, die alle pflegerischen Bedarfe und Leistungen abdeckt.

Ein erster Schritt dorthin ist für uns, für Pflegebedürftige mit kleinen und mittleren Einkommen den Eigenanteil zu deckeln, damit Pflege für sie bezahlbar bleibt. Zukünftige Kostensteigerungen werden solidarisch über einen Mix aus moderat steigenden Pflegeversicherungsbeiträgen und einem dynamischen Bundeszuschuss finanziert. Die Pflegeinfrastruktur muss bedarfsgerecht ausgebaut werden.

Bundestagskandidatin Beate Müller-Gemmeke
Bundestagskandidatin Beate Müller-Gemmeke. Foto: Frank Pieth
Bundestagskandidatin Beate Müller-Gemmeke.
Foto: Frank Pieth

Beate Müller-Gemmeke (Bündnis 90/Grüne)

Die meisten pflegebedürftigen Menschen werden zu Hause gepflegt. Viele Angehörigen geraten dabei an ihre körperlichen und seelischen, aber auch finanziellen Grenzen. Pflegende Angehörige brauchen deshalb viel mehr passende Angebote an Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflege. Für berufstätige pflegende Angehörige fordern wir zudem eine »Pflegezeit Plus«, ähnlich der Elternzeit: Wer jemanden pflegt, soll – finanziell abgefedert – für drei Monate im Job pausieren und für bis zu drei Jahre auf Teilzeit reduzieren können.

Finanzielle Notlagen wollen wir mit einer doppelten Pflegegarantie verhindern, indem wir die Eigenanteile senken und dauerhaft deckeln. Die Pflegeversicherung soll alle darüber hinausgehenden Kosten für eine bedarfsgerechte (ambulante wie stationäre) Pflege tragen. Finanzieren wollen wir das mit einer solidarischen Pflege-Bürgerversicherung. Alle werden mit einkommensabhängigen Beiträgen an der Finanzierung des Pflegerisikos beteiligt.

Gleichzeitig müssen wir den Pflegeberuf endlich attraktiver machen. Dazu gehören angemessene Löhne, ausreichende Personalkapazitäten und planbare Arbeitszeiten. Der Fachkräftemangel in der Pflege ist hausgemacht. Das wollen wir ändern.

Bundestagsabgeordneter Pascal Kober
Der Bundestagsabgeordnete der FDP Pascal Kober beim Gespräch in der GEA-Redaktion. Foto: Frank Pieth
Der Bundestagsabgeordnete der FDP Pascal Kober beim Gespräch in der GEA-Redaktion.
Foto: Frank Pieth

 Pascal Kober (FDP)

Wenn Pflegekräfte durchschnittlich nur 7,5 Jahre in ihrem erlernten Wunschberuf bleiben, zeigt es, wo wir ansetzen müssen. Pflegekräfte wünschen sich vor allem mehr Zeit für Zuwendung zu den ihnen anvertrauten Menschen. Hierfür braucht es Entlastung von Bürokratie und Dokumentationspflichten, teils durch Fortschritte bei der Digitalisierung, teils durch einen beherzten Abbau unnötiger Vorgaben.

Die zu dünne Personaldecke und daraus resultierenden Arbeitsdruck müssen wir durch Zuwanderung von Fachkräften stärken. Unser Kreisklinikum macht es vor mit Kolleginnen und Kollegen von den Philippinen.

Die Betreuung im eigenen Haushalt durch Betreuungspersonen aus den zumeist osteuropäischen Ländern wollen wir rechtssicher und finanzierbar erhalten. Fortschritte bei Robotik und Sensorik können die Eigenständigkeit von Menschen unterstützen und verlängern. Hier braucht es mehr Forschung. Zur Finanzierung brauchen wir neben einer soliden wirtschaftlichen Grundlage künftig mehr betriebliche Pflegezusatzversicherung, wie sie die Tarifpartner der Chemiebranche soeben auf die Füße gestellt haben. Die Chancen der privaten Zusatzversicherungen müssen von mehr Menschen in Anspruch genommen werden.

Hansjörg Schrade, AfD-Fraktionssprecher und Bundestagskandidat
Hansjörg Schrade, AfD-Fraktionssprecher und Bundestagskandidat. Foto: Stephan Zenke
Hansjörg Schrade, AfD-Fraktionssprecher und Bundestagskandidat.
Foto: Stephan Zenke

Hansjörg Schrade (AfD)

Heute werden über drei Viertel der 3,4 Millionen Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt, allein von Angehörigen oder mit Hilfe ambulanter Pflegedienste. Dabei gibt es für pflegende Angehörige von der Pflegeversicherung bisher maximal 905 Euro Pflegegeld im Monat (im Pflegegrad 5) plus sogenannte »Sachleistungen« bis zu 1.995 Euro, die meist keine »Sachleistungen«, sondern auch Dienstleistungen sind, aber nur für professionelle Pflegedienste verwendet werden können.

Das ist eine Subvention für kommerzielle Pflegeanbieter, die dafür jedoch viel weniger Stunden Dienstleistungen erbringen können als es Angehörige oder im Haushalt mitwohnende (meist osteuropäische) Pflegekräfte könnten.

Die Forderung liegt also klar auf dem Tisch: Die bis zu 1.995 Euro im Pflegegrad 5 werden zusätzlich zum Pflegegeld von 905 Euro, mit dem bisher pflegende Angehörige »kurz gehalten werden«, direkt an die Pflegebedürftigen ausbezahlt, die damit Angehörige oder eine familienfremde Pflegekraft entlohnen können – ohne dass die Pflegekassen mehr belastet werden!

Die Abgeordnete Jessica Tatti
Die Abgeordnete Jessica Tatti will weiter im Bundestag wirken. Foto: Frank Pieth
Die Abgeordnete Jessica Tatti will weiter im Bundestag wirken.
Foto: Frank Pieth

Jessica Tatti (Linke)

Viele Menschen wünschen sich, zu Hause gepflegt zu werden. Dies übernehmen vielfach Angehörige, vor allem Frauen. Ich halte eine Stärkung der unterstützenden ambulanten Pflegedienste für nötig: eine individuell passende Stundenzahl und die Erhöhung der Pflegesätze, damit Angehörige nicht überfordert werden, ihren Beruf aufgeben oder stark einschränken müssen. Wenn zu Hause eine Betreuungskraft eingestellt wird, müssen Mindestlohn und Arbeitszeit gelten.

Falls Angehörige pflegebedürftig werden, braucht es für sechs Wochen eine Freistellung von der Arbeit, damit die Pflege organisiert werden kann. Zudem bedarf es einer Grundqualifizierung, damit sich Angehörige auf ihre neue Aufgabe gut vorbereiten können. Für beides ist ein Lohnausgleich nötig. So kann die Pflege zu Hause gestärkt werden. Trotzdem: Die häusliche Pflege ist nicht in jedem Fall die richtige Lösung. Auch eine hochwertige stationäre Pflege muss für alle bezahlbar werden.

Man darf politisch nicht mit dem schlechten Gewissen von Angehörigen spielen, mit dem Ziel, die Pflege insgesamt so billig wie möglich zu halten. Daher wollen wir die Pflegeversicherung so ausbauen, dass sie die Pflegekosten voll abdeckt. (GEA)