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Aktuell Häusliche Gewalt

Reutlinger Diakonieverband bietet Hilfe für Opfer und Täter

Fachberatung und Interventionsstelle des Diakonieverbands zeigt Alternativen auf

(Von links) Sarah Mbak, Jonas Kaiser und Florence Wetzel kümmern sich um Menschen, die häusliche Gewalt erlebt haben.  FOTO: PRI
(Von links) Sarah Mbak, Jonas Kaiser und Florence Wetzel kümmern sich um Menschen, die häusliche Gewalt erlebt haben. FOTO: PRIVAT
(Von links) Sarah Mbak, Jonas Kaiser und Florence Wetzel kümmern sich um Menschen, die häusliche Gewalt erlebt haben. FOTO: PRIVAT

REUTLINGEN. Im Jahr 2021 starben bundesweit 139 Frauen und 30 Männer durch Gewalt durch den Partner oder die Partnerin im häuslichen Bereich. Diese Zahlen liefert die Beratungsstelle für Häusliche Gewalt beim Reutlinger Diakonieverband. »Insgesamt wurden 156 000 Fälle von häuslicher Gewalt polizeilich bekannt, in 80 Prozent waren Frauen die Opfer«, betont Sozialarbeiterin Florence Wetzel. »Das ist eine erschreckend hohe Zahl, und sie spiegelt das Dunkelfeld nicht wieder.«

Es sei aber angesagt, einen Blick hinter die Zahlen zu werfen, sagt Wetzel. Rund 70 Prozent aller Fälle, die in der Interventions- und Fachberatungsstelle »Häusliche Gewalt überwinden« auftauchen, »sind dem Bereich der Konfliktgewalt zuzuordnen«, erklärt Kollegin Sara Mbak. Das bedeutet, dass es in den Beziehungen aus ganz unterschiedlichen Gründen immer wieder zu massiven Auseinandersetzungen zwischen dem Paar kommt – die körperliche Gewalt ist der Gipfel des Streits.

Hinter die Gewalt schauen

»Hier lohnt es sich, mit einem systemischen Blick auf die Beziehungen zu schauen«, erläutert Florence Wetzel. »Wir versuchen hinter die Gewalt zu schauen und mit Opfern und auch Tätern zu erforschen, welche Probleme die Konflikte so eskalieren lassen.« Das sei wichtig, wenn Menschen trotz häuslicher Gewalt die Beziehung nicht beenden möchten. Aber dieser Punkt sei auch enorm wichtig, wenn beide Partner nach einer Trennung weiterhin für die Kindererziehung sorgen wollen. »Wir wollen Täter und Opfer darin unterstützen, dass sie aus ihren bisherigen Rollen herausfinden«, so Wetzel.

Damit Männer eine männliche Ansprechperson haben, ist Jonas Kaiser nun Teil des Teams von Florence Wetzel und Sara Mbak. »Da sind wir richtig dankbar dafür«, so Wetzel. »Es ist wichtig, dass die Täter nicht vorverurteilt werden – obwohl ihnen sehr deutlich vor Augen geführt wird, dass ihr Gewaltausbruch nicht geduldet wird«, betont Kaiser. »Wir verurteilen die Gewalt, nicht die Menschen«, sagt Florence Wetzel.

Wenn beide Teile in der Partnerschaft die Beziehung weiterführen wollen (oder auch nicht), dann helfen die Fachleute der Beratungs- und Interventionsstelle den Beteiligten auf ihrem Weg.

Warum es so häufig zu Gewalt hinter verschlossenen Haustüren kommt, das hänge oft mit der Kindheit der Beteiligten zusammen – da ist sich das Trio des Diakonieverbands ganz sicher. Wer in der Kindheit selbst Gewalterfahrungen gemacht hat, der rutsche auch als erwachsener Mensch leicht wieder in dieses Klima der Gewalt hinein – weil sie Gewalt als »normal« erlebt und andere Arten der Konfliktlösungen nie gekannt haben. »Das ist wie Vererbung, aber nicht genetisch, sondern sozial«, sagt Mbak.

Wenn Gewalt Normalität war, dann bestehe die große Gefahr, dass Betroffene sich unterbewusst wieder solche Situationen suchen. »Zumindest dann, wenn Reflexion darüber nie stattgefunden hat«, so Kaiser.

Ursache oft Kindheitserfahrungen

In den Gesprächen geben die Fachleute Tipps und Hilfestellungen, damit die Betroffenen lernen, über ihre Situation nachzudenken – und Alternativen zu finden. Auch die vermeintlich »geborenen Opfer« können mit Hilfe aus ihrer Rolle herauskommen. »Dabei ist nicht gesagt, dass immer Frauen die Opfer sind«, sagen alle drei Fachleute. »Für Männer ist es nur noch schwieriger, sich Hilfe zu suchen, weil das Thema Gewalt von Frauen gegenüber Männern noch viel schambesetzter ist als andersherum«, so Jonas Kaiser. Doch egal, ob die Täter männlich oder weiblich sind: »Manchen tut die Tat sehr leid – die meisten haben aber Schwierigkeiten damit, die Verantwortung dafür zu übernehmen«, wissen Mbak, Wetzel und Kaiser.

Seit 2014 ist es möglich, dass die Beratungsstelle des Diakonieverbands auch Menschen berät, die sich selbst melden – und nicht erst auffallen, wenn ein Wohnungsverweis durch Polizei oder Ordnungsamt erfolgt ist. »Das Beratungsangebot wird von der Stadt Reutlingen finanziert, entsprechend ist unsere Zuständigkeit auf Menschen begrenzt, die im Reutlinger Stadtgebiet wohnen«, betont Florence Wetzel. Aber: Die Beratungsstelle des Frauenhauses berate landkreisweit. Mit dem Unterschied, dass Männer als Opfer oder als Täter dort nicht beraten werden. (eg)