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Gerber bangen um Nachwuchs: Ein Reutlinger erzählt

Aus Häuten von Hirschen und Rindern liefern sie Material für Trachtenhosen und Autositze: Gerber. Doch immer weniger wollen den Beruf erlernen. Das liegt auch an zu feinen Näschen.

Dominik Werner, Gerber bei der Firma wetgreen, hält das Rohfell eines Albbüffels in der Hand. Die Firma befindet sich neben dem Lederkompetenzzentrum, der bundesweit einzigen Berufsschule für Auszubildende im Beruf des Gerbers. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Dominik Werner, Gerber bei der Firma wetgreen, hält das Rohfell eines Albbüffels in der Hand. Die Firma befindet sich neben dem Lederkompetenzzentrum, der bundesweit einzigen Berufsschule für Auszubildende im Beruf des Gerbers. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

REUTLINGEN. Rohe Büffelhäute stapeln sich auf einem Tisch: Ziemlich haarig, mit verkrusteten Fleischfetzen an den Rändern und unter einer Salzschicht zur Konservierung. Eine optimierte Version davon liegt ein paar Meter weiter: Lederstreifen in Knallpink und Tiefblau, wachsweich, babypopoglatt. »Ich finde es faszinierend, wie aus blutiger Haut so etwas Schönes werden kann«, sagt Dominik Werner. Er ist Gerber bei der Firma Wet-Green in Reutlingen. Seine Ausbildung hat er in derselben Stadt gemacht - wie alle seine Berufsgenossen.

Gerben bezeichnet das Haltbarmachen von Tierhäuten zur Lederherstellung. Wer die dreijährige Lehre absolviert, muss zum Blockunterricht nach Reutlingen. Hier steht die einzige Berufsschule für angehende Gerber bundesweit.

Die Haut eines Albbüffels liegt in der Gerberei wet-green auf einem Tisch. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Die Haut eines Albbüffels liegt in der Gerberei wet-green auf einem Tisch. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Die Stadt am Albtrauf war früher ein Zentrum der Branche. 200 Betriebe reihten sich im 17. Jahrhundert am Flussufer der Echaz, erzählt Gerber-Lehrer Karl Hirt - wegen der olfaktorischen Begleiterscheinungen des Handwerks schön weit draußen vor der Stadtmauer. Das hat Spuren hinterlassen. Noch heute heißt ein Restaurant »Gerberstüble«, eine Straße »Lederstraße«, ein Brunnen »Gerberbrunnen«. Nur Gerbereien selbst gibt es bis auf Wet-Green keine mehr in Reutlingen. Und auch die Zahl der Auszubildenden schrumpft. Starteten früher noch bis zu drei Bundesfachklassen der Gerber pro Jahrgang, war es 2019 noch eine einzige mit 17 Schülern.

Der Beruf hat ein Imageproblem. Heute kennen ihn viele Jugendliche nicht mehr - die gegenwärtigen Auszubildenden erfuhren nach eigenen Angaben mitunter selbst erst von Berufsberatern davon. Und viele, die ihn kennenlernen, haben Schwierigkeiten mit den Gerüchen, die tote Tiere mit sich bringen. Wie Berufsschullehrer Jürgen Jung berichtet, lud eine Lederfabrik Schüler zur Betriebsbesichtigung ein. Die Begeisterung blieb aus. »Da stinkt's«, monierten die jungen Besucher.

»Es riecht manchmal nach Dung«, beschreibt einer der Reutlinger Lehrlinge seine Arbeitsbedingungen. Schulterzucken bei seinen Klassenkameraden. Man gewöhnt sich dran, sagen sie. 2015 wurde der Ausbildungsberuf offiziell in »Fachkraft für Lederherstellung und Gerbereitechnik« umbenannt. Das solle moderner klingen, sagt Jung.

Lederstreifen hängen vor Auszubildenden zur Fachkraft für Lederherstellung und Gerbereitechnik im Lederkompetenzzentrum in einem Klassenzimmer. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Lederstreifen hängen vor Auszubildenden zur Fachkraft für Lederherstellung und Gerbereitechnik im Lederkompetenzzentrum in einem Klassenzimmer. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Beatrix Walter hat weder wegen Ausdünstungen noch vermeintlich altbackenem Namen irgendwelche Probleme. Über Techniken wie »Entfleischen« und »Dünnschneiden« kann die 16-Jährige ohne mit der Wimper zu zucken Auskunft geben. Walters Berufsentscheidung fiel nach dem Ableben ihres Haustiers. »Als mein Meerschweinchen gestorben ist, habe ich das Fell gerben lassen«, sagt die Leipzigerin. Das wollte sie dann auch selber lernen. Heute lagert sie ihre Stifte in einem Mäppchen aus Hasenfell und gerät über Schafe und Wildschweine ins Schwärmen, aus deren Fell sie Pelze fertigt. Walter ist eine Ausnahme in der Reutlinger Bundesfachklasse, weil sie in einer Pelzgerberei arbeitet.

Für den Großteil ihrer Klassenkameraden geht es darum, die Haare von den Häuten zu entfernen. Ian Lorenz' Ausbildungsbetrieb etwa ist auf Möbel aus klassischem Rindsleder spezialisiert, Lufthansa und Deutsche Bahn zählen zu den Kunden. Erste-Klasse-Reisende in ICE-Zügen können auf Sitzen Platz nehmen, die aus den Händen des 16-Jährigen stammen.

12 Gerbereien mit mehr als 50 Mitarbeitern gab es nach Angaben des Verbands der Deutschen Lederindustrie 2018 bundesweit. Im Jahr 1991 waren es noch 76, in den 1970ern war die Anzahl dreistellig. Wie viele kleinere Betriebe es gibt, ist nicht bekannt. 2018 erwirtschaftete die Branche einen Umsatz von rund 368 Millionen Euro.

Ein Gerber nimmt ein Stück Leder aus einer Trommel, in der es gegerbt wurde. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Ein Gerber nimmt ein Stück Leder aus einer Trommel, in der es gegerbt wurde. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Besonders Umweltschutzkosten machten dem Reutlinger Gerbermeister Jens Schwekendiek zufolge einigen Unternehmen zu schaffen. Nicht alle hätten sich eine inzwischen verpflichtende Kläranlage leisten können. Zudem wurde die Lederproduktion vielfach in Niedriglohnländer wie Indien oder Bangladesch ausgelagert.

Darüber hinaus bestimmen den Zeitgeist Forderungen nach einem Lebensstil, der weniger Konsumprodukte aus getöteten Kühen oder Kälbern vorsieht. Jürgen Jung sagt: »In Deutschland wird kein Tier geschlachtet, um daraus Leder zu machen. Die Haut ist ein Abfallprodukt der Lebensmittelindustrie.« Gerber sorgten aber für die komplette Verwertung dieser Lebewesen.

Weltweit wird vor allem nach zwei Methoden gegerbt: mit Chromsalzen oder pflanzlichen Gerbstoffen, für die teils ganze Plantagen angelegt werden. Die 2012 gegründete Firma Wet-Green will die Sache umweltverträglicher angehen und hat ein Gerbverfahren aus Olivenblättern ertüftelt. Laut Prozessentwickler Stefan Banaszak wird der Extrakt mit Wasser statt chemischen Lösungsmitteln aufbereitet. Für ihn liegen so hergestellte Taschen oder Schuhe durchaus im Nachhaltigkeitstrend. »Wenn ich Gerber-Schüler frage, was sie stolz an ihrem Beruf macht, antworten sie: Dass ich ein Produkt mache, das mich überlebt«, sagt er.