Logo
Aktuell Computerspiele

Gamer der Region nach dem Attentat in Halle: »Seehofer sucht einen Sündenbock«

Zocker aus Reutlingen und Tübingen berichten über ihre Erfahrungen in der Gamerszene

Nach dem Anschlag von Halle will Innenminister Horst Seehofer die Gamerszene stärker in den Blick nehmen.foto: dpa
Nach dem Anschlag von Halle will Innenminister Horst Seehofer die Gamerszene stärker in den Blick nehmen.foto: dpa Foto: Deutsche Presse Agentur
Nach dem Anschlag von Halle will Innenminister Horst Seehofer die Gamerszene stärker in den Blick nehmen.foto: dpa
Foto: Deutsche Presse Agentur

REUTLINGEN/TÜBINGEN. In der virtuellen Welt hat Andreas T. schon unzählige Waffen abgefeuert. Jahrelang, oft fünf bis zehn Stunden am Tag. Beim Töten von animierten Monstern und Charakteren ist er ein echter Profi, gehörte zeitweise sogar zu Deutschlands Besten. Und im realen Leben? Da klappt das mit dem Schießen weniger gut. »Bei Schießbuden auf Jahrmärkten ist meine Mutter immer besser als ich«, sagt der Reutlinger und ergänzt: »Ballerspiele eignen sich eben nicht, um wirklich schießen zu lernen.«

Deutschlands Innenminister Horst Seehofer ist sich da nicht so sicher. Er glaubt, dass Computerspiele so realistisch sein können, dass mit ihrer Hilfe sogar Anschläge geplant werden könnten, sagte er in einem ARD-Interview. Wenige Tage vorher hatte ein Mann mit antisemitischen und rechtsextremistischen Motiven in Halle eine Synagoge angegriffen und zwei Menschen erschossen. Weil der Attentäter in der Gamerszene unterwegs gewesen und sich dort sowie in Foren radikalisiert haben soll, sagte Seehofer, man müsse die Gamerszene stärker in den Blick nehmen. Eine Aussage, für die es Kritik und Spott hagelt.

»Solche Kommentare kommen immer von Leuten, die von der Szene keine Ahnung haben. Ich denke, Seehofer sucht einen Sündenbock«, sagt Andreas T. Einen Zusammenhang zwischen dem Anschlag in Halle und der Gamerszene sieht er nicht: »Der Attentäter hatte ein politisches Motiv. So etwas bekommst du nicht von Ballerspielen, das kommt eher von den Leuten, mit denen du dich umgibst«, sagt der 30-Jährige.

Simon Pfander kritisiert die Aussagen Seehofers ebenfalls. Der 21-jährige Physikstudent aus Tübingen glaubt nicht, dass man mit einem Computerspiel einen Anschlag planen kann. Jedenfalls »nicht mehr, als wenn man sich einen Hollywood-Film angesehen hat«.

»Ballerspiele eignen sich nicht, um wirklich schießen zu lernen«

Im Zusammenhang mit Amokläufen und Anschlägen fühlen sich Gamer immer wieder zu Unrecht an den Pranger gestellt. Oft wird der Szene und ihren Computerspielen eine Mitschuld dafür gegeben, dass Menschen zu Mördern geworden sind. T. findet diese immer wiederkehrenden pauschalen Diskreditierungen der ganzen Community falsch: »Attentäter oder Amokläufer werden nicht durchs Zocken aggressiv, die zocken, weil sie gemobbt werden oder keine Freunde haben. Computerspiele sind da nur ein Ventil.«

Vor 18 Jahren hat T. mit Gaming angefangen. Erst Pokémon, dann sogenannte Ego-Shooter wie »Counterstrike« und »Call of Duty«, später dann »World of Warcraft«, eines der größten Rollenspiele der Welt. Dabei hat er kuriose Bekanntschaften gemacht. Mit einem Ex-Hells-Angel, einem Marine-Soldaten, der geheime Bilder von Einsätzen herumgezeigt hat und einem Hausmeisterehepaar, das klischeemäßig zusammen in einer dunklen Kellerwohnung gezockt hat. Rechtsextreme oder andere Radikale hat er online jedoch bis heute nicht kennengelernt, noch wurde er zu politischen oder religiösen Themen angeschrieben.

Auch Simon Pfander nicht. Er spielt »Anno«, das zum Genre der Wirtschaftssimulationen gehört, und »Grand Theft Auto«, eines der meistverkauften Actionspiele. Durch sein Hobby verbringt er viel Zeit auf »Reddit«, dem weltweit wichtigsten Forum, wenn es um Gaming geht. Rassismus, Rechtsradikalismus und Frauenfeindlichkeit sollen dort mitunter Thema sein, schrieb die Autorin und Radio-Moderatorin Sophie Paßmann auf Twitter.

Bestätigen kann Pfander das aus eigener Erfahrung jedoch nicht. Zwar lese er das immer wieder in Artikeln, ihm selbst sei das aber noch nie begegnet. Ähnlich wie auf »Reddit« sollen laut Experten auch auf »Steam« viele zweifelhafte Inhalte zu finden sein, schreibt die Deutsche Presseagentur. Als Verkaufsplattform für Computerspiele fällt »Steam« nicht unter das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das eine schnelle Löschung von Hassinhalten vorschreibt. Daher können sich Anwender dort weitgehend ungestört nach Rechtsterroristen benennen oder Hakenkreuze als Symbole verwenden.

»Es wäre sinnvoller Plattformen wie ›Reddit‹ oder ›Steam‹ stärker zu kontrollieren«

Statt wie von Seehofer gefordert die Gamerszene mehr in den Blick zu nehmen, findet Pfander daher: »Es wäre sinnvoller Plattformen wie Reddit oder Steam stärker zu kontrollieren.« Andreas T. sieht das genauso. Allerdings fürchtet er, dass das schwer werden könnte: »Die Betreiber sind für freie Meinungsäußerung im Netz, die werden massiv Widerstand leisten.«

Allerdings glaubt T., dass nach den Aussagen Seehofers gar nicht so viel passieren wird. »Das ist ein Politiker, der musste halt irgendwas sagen. Das wird sich alles wieder im Sande verlaufen«, ist sich T. sicher. (GEA/dpa)