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Aktuell Geschichte

Eine alte »Civilprozessliste« und das moderne @

Wandvitrinenausstellung des Stadtarchivs mit analogem »Icon«. Es steht für »contra« bei Gegnern vor Gericht

Frappierende Ähnlichkeit zum aktuelle E-Mail-Zeichen: das Zeichen für »contra« in historischen Prozessunterlagen. In diesem Fall
Frappierende Ähnlichkeit zum aktuelle E-Mail-Zeichen: das Zeichen für »contra« in historischen Prozessunterlagen. In diesem Fall hatte 1851 ein »Apotheker Kachel« gegen einen »Ludwig Bihler« geklagt. foto: stadtarchiv
Frappierende Ähnlichkeit zum aktuelle E-Mail-Zeichen: das Zeichen für »contra« in historischen Prozessunterlagen. In diesem Fall hatte 1851 ein »Apotheker Kachel« gegen einen »Ludwig Bihler« geklagt. foto: stadtarchiv

REUTLINGEN. Wie lokalgeschichtliche Quellen durchaus auch als Erklärungshilfe für »weltweite« Fragen relevant sein können, zeigt derzeit ganz am Rande eine der Wandvitrinenausstellungen des Stadtarchivs. Aus dem millionenfachen E-Mail-Verkehr des »World Wide Web« ist das @-Zeichen nicht wegzudenken. Folgt man einschlägigen Onlinenachschlagwerken, ist dessen Herkunft nicht wirklich geklärt. Verwiesen wird hier allerdings unter anderem darauf, dass das Zeichen schon in Akten des Reichskammergerichts aus dem 18. Jahrhundert vorkomme.

Das A und das C vereint

Nimmt man unter anderem eine für Reutlingen geführte »Civilprozessliste« der Jahre 1850 bis 1859, kann ergänzt werden: So ist es auch hier. Besagtes »@« findet sich in einer Spalte dieses formularhaften Amtsbuches, in dem nicht zuletzt die Rechtsparteien genannt sind. Es werden zunächst der Kläger und sodann der Beklagte festgehalten. Und zwischen beiden Parteien steht zumeist ein in seiner Schreibweise, nicht aber in seiner Bedeutung variierendes Kürzel. Einmal ist recht deutlich ein »c« auszumachen, ein andermal an entsprechender Stelle unverkennbar das »@«. Die Bedeutung bleibt sich gleich: nämlich »contra«.

Egal ob ein Schneider und Schuster, ein Leimsieder und ein Scharfrichter oder ein Rechtsanwalt und ein Uhrenmacher genannt sind: Immer ging es darum, dass die eine Partei gegen die andere geklagt hat. Nachdem dies aber nicht nur in der Gegenwart, sondern auch schon in der Vergangenheit eher zu oft als zu wenig geschah, verwendete man offensichtlich im amtlichen Schriftgebrauch sehr häufig das »@«: in dem Fall als eine Ligatur aus »c« und »a« beziehungsweise eine Abkürzung für »contra«.

Besagte Vitrinenausstellung will nun allerdings nicht primär den Massen und Mythen digitaler Nachrichtfluten und deren Symbole auf den Grund gehen. Warum für den digitalen Mailaustausch ausgerechnet ein Zeichen konfrontativen Inhalts festgelegt wurde, bleibt Spekulationen vorbehalten. Mit der »Civilprozessliste« soll vielmehr eine interessante Archivalie zur Reutlinger Stadtgeschichte anhand einiger ausgewählter Beispiele näher vorgestellt werden.

So klagt hier etwa in Zeiten des Bahnbaus ein Schafhalter 1859 gegen einen »Eisenbahn Bauunternehmer«, dessen Arbeiter ihm angeblich ein Schaf »verführt« hatten. 1858 war einer Frau Dr. Lachenmann durch einen Sackträger der Reutlinger Mühle am Frankonenweg ein bereits bezahlter »Sack Korn« nicht ordnungsgemäß zugestellt worden.

Konfrontatives Zeichen

Auch dies verlangte nach einem Zivilprozess. Und 1853 etwa – um einen letzten aus insgesamt rund 2 300 Fällen – anzuführen, behauptete ein Bäcker aus Eningen, dass ihm der »Papierfabrikant« Werner fünf Gulden schulde. Letzterer muss der Theologe und Sozialreformer Gustav Werner gewesen sein, der damals die »Papierfabrik zum Bruderhaus« betrieb.

Die kleine »Civilprozesslisten«-Archivalienschau wird ergänzt durch weitere Wandvitrinenausstellungen: So erinnert das Stadtarchiv derzeit etwa auch an den 100. Todestag des Reutlinger Ehrenbürgers Carl von Bellino. Vorgestellt werden außerdem die Bändeserie der ab 1744 geführten Reutlinger Steuerbücher sowie ein Teilnachlass Wagner (»Wein-Wagner«). Die Präsentationen können vor den Diensträumen des Stadtarchivs im Rathaus-Erdgeschoss zu dessen Öffnungszeiten besichtigt werden. (eg)