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Aktuell Aktion

Bunte Szene in den Wagner-Ateliers in Reutlingen

Acht Mieter der ehemaligen Fabrik auf dem Wagnerbuckel öffnen am Samstag ihre Türen für Besucher

Sibylle Eschenlohr fertigt »Veggie-Felle« und Kissen aus Schafswolle.
Sibylle Eschenlohr fertigt »Veggie-Felle« und Kissen aus Schafswolle. Foto: Matthias Reichert
Sibylle Eschenlohr fertigt »Veggie-Felle« und Kissen aus Schafswolle.
Foto: Matthias Reichert

REUTLINGEN. Düster ragt das historische Firmengebäude ins Morgengrau. Seit den 1990er-Jahren ist die Maschinenfabrik Gustav Wagner mit hundertjähriger Tradition an der gleichnamigen Straße geschlossen. Vormals haben dort bis zu 700 Beschäftigte Kalt-Kreissägen hergestellt. Die Stadt und der neue Eigentümer Martin Bidell planen dort einen Mix aus bezahlbarem Wohnraum, Freizeitangeboten und Arbeitsplätzen – so ein Gemeinderatsbeschluss von 2019.

TAG DER OFFENEN ATELIERS

Am Samstag, 13. Dezember, öffnen acht Ateliers am Wagnerbuckel von 10 bis 18 Uhr ihre Räume in der Gustav-Wagner-Straße 11. (GEA)

Doch aktuell ist das Gebäude kleinteilig vermietet. In der großen verschachtelten Fabrikhalle proben zahlreiche Bands, weiter werden dort Autos repariert, und es gibt Lagerräume. Das erzählt Künstler Friedhelm Wolfrat, der seit elf Jahren sein Atelier im früheren Verwaltungstrakt hat. Wolfrat und acht weitere Mieter veranstalten am Samstag, 13. Dezember, von 10 bis 18 Uhr einen Tag der offenen Tür.

Kunst und Manufakturen

In Wolfrats Atelier stehen zwei Bilder seines aktuellen "Nordsee"-Zyklus" in Acryl. Dahinter hängt der Zyklus "The Essential" aus Acrylfarbe, Lack und Goldsand. Die Serie "Zero" thematisiert Größen der Malerei: "Ein Ritt durch die Kunstgeschichte", so der 77-jährige Künstler, den viele als Ex-Personalratsvorsitzenden der Stadt Reutlingen kennen.

Seit 2020 hat Künstlerin Tanja Robisch ihr Atelier in der alten Fabrik. Früher standen die Staffeleien in der Wohnung, »und dazwischen sind die Kinder herumgesprungen«. Auch Robisch malt hauptsächlich mit Acryl, aber auch in Öl und mit Kaltwachs. Ihre Farbstimmungen seien der Natur ähnlich und erzeugten mit weiteren Materialien fantasievolle Effekte: »Das sind Strukturen, die zufällig und ergebnisoffen entstehen.«

Musik- und Videostudio

Wie es mit dem Fabrikgebäude weitergeht, kann keiner der Mieter genau sagen. Die meisten haben unbefristete Verträge. Benjamin Zeller investiert im Erdgeschoss viel Geld in ein geräumiges Tonstudio auf gut 400 Quadratmetern Fläche und beschäftigt sieben Mitarbeitende. Unter dem Namen »Wagner Records Europe« firmiert es seit Kurzem als offizielles Musiklabel. Es gibt Studioräume und einen Aufenthaltsbereich, aktuell entstehen noch ein Aufnahmeraum für komplette Bandsessions sowie ein Foto- und Videostudio. Hightech wo man hinschaut, jedes Kabel selbst gelötet. Musikschaffende aus der näheren und weiteren Umgebung nehmen hier auf. »Wir sind eines der größten Studios im Land«, wirbt Produzent Alexander Hofer. Und auf Dauer angelegt: »Das Gebäude ist denkmalgeschützt; wir haben einen unbefristeten Mietvertrag.«

Raimund Bezold betreibt am Wagnerbuckel eine Polstermanufaktur. Er übernimmt Spezialaufträge »für alles, was mit Stoff zu tun hat«, restauriert alte Möbel, berät bei der Gestaltung von Wohnräumen. Er ist seit 40 Jahren im Geschäft, seit vier oder fünf Jahren unter dieser Adresse. »Das sind wunderbare Räume, man hat hier viele Möglichkeiten zum Gestalten.«

Nebenan produziert Sibylle Eschenlohr »Veggie-Felle« ohne Lederbezüge aus der Rohwolle von Schafen. Die Wolle kommt überwiegend von regionalen Tierhaltungen. »Ich habe mir das selbst beigebracht und so lange probiert, bis es funktioniert«, sagt Eschenlohr. Die Agraringenieurin und Textilgestalterin ist vor zehn Jahren über die städtische Homepage auf ihr Domizil gestoßen.

»Makertreff« und Boxtraining

In zwei Räumen der alten Fabrikhalle im Erdgeschoss stapeln sich auf 150 Quadratmetern gesponserte Werkzeuge von der Linearkreissäge bis zum Lasercutter und 3-D-Drucker. Hier sitzt der Verein »Makertreff«. Für 15 Euro Beitrag im Monat kann dort jeder und jede nach einer Einweisung rund um die Uhr nach Herzenslust werkeln, berichtet Axel Weber, der im Vorstand ist. Ein Ort, niederschwellig kreativ zu werden. Offene Abende sind dienstags und donnerstags, 19 Uhr. Aktuell hat der Verein 40 Mitglieder; bis vor fünf Jahren saß er im »Innoport«. »Hier haben wir mehr Freiheiten«, findet Weber.

Im »Box Gym« ist es frostig kalt. Sandsäcke hängen von der Decke, hinten ist mit Seilen ein Boxbereich abgetrennt. Dreimal die Woche wird hier trainiert. Das Gym bietet kostenloses Training für Jugendliche, auch für junge Leute aus schwierigen Verhältnissen. 20 bis 30 Leute kommen regelmäßig. Die Stadt finanziert die Miete, ansonsten trägt sich die Einrichtung über Spenden. Der ehrenamtliche Leiter Wladimir Twerdochlib hat das Gym vor Jahren von Phillip Herfert übernommen, der damit ein Langzeitprojekt seines verstorbenen Vaters Max fortführte. Seit zwei Monaten ist die Boxhalle in der alten Wagner-Fabrik – bis sich neue Pläne des Inhabers auftun.

Pflanzen und Gartenzubehör

Die »Grow Factory« von Vitus Geiger verkauft nebenan Produkte rund um den Pflanzen-Anbau – vom Kleingarten bis zur legalen Cannabis-Aufzucht: »Für alle, die gerne gärtnern«, sagt Mitarbeiterin Julia Geiger, die Schwester des Inhabers. Dünger, Erde, Substrat und Samen: »Für alles, was wächst.« Wichtig sei persönliche Beratung.

Gartenzubehör gibt es auch bei »Martha’s Gardening«. Der Genitiv-Apostroph ist hier korrekt, denn englische Produkte sind Verkaufs-Schwerpunkt. Inhaberin Maria Flamm präsentiert neben weiteren Werkzeugen eine rasiermesserscharfe Hacke von der Insel, Weihnachts-Strümpfe mit britischer Finesse für Geschenke, wohlriechende vegane Seifen. Ehemann Manfred Flamm repariert Gartengeräte und Rasenmäher, früher saß das Geschäft 50 Jahre in Metzingen. Namenspatin ist die Tochter des Ehepaares. Weil abseits der Reutlinger Innenstadt die Laufkundschaft überschaubar ist, bieten die Flamms ihre Produkte auch im Online-Shop an – und hoffen nun auf Andrang am Samstag. (GEA)