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Wie Reutlinger Gemeinden der Coronakrise begegnen

Mit Kreativität und neuen Medien begegnen die evangelischen und katholischen Gemeinden der Coronakrise

Ein katholischer Pfarrer aus dem Ruhrgebiet hatte die Idee, abends um 19 Uhr eine Kerze anzuzünden, auf die Fensterbank zu stel
Ein katholischer Pfarrer aus dem Ruhrgebiet hatte die Idee, abends um 19 Uhr eine Kerze anzuzünden, auf die Fensterbank zu stellen und dann das Vaterunser zu beten. Auch Gläubige aus Kirchengemeinden der Region folgen dem Aufruf. FOTO: DPA
Ein katholischer Pfarrer aus dem Ruhrgebiet hatte die Idee, abends um 19 Uhr eine Kerze anzuzünden, auf die Fensterbank zu stellen und dann das Vaterunser zu beten. Auch Gläubige aus Kirchengemeinden der Region folgen dem Aufruf. FOTO: DPA

REUTLINGEN. Keine Gottesdienste, keine Konfirmationen oder Firmungen, keine Hochzeiten, keine Osterfeste. Und Beerdigungen nur noch im engsten Familienkreis unter freiem Himmel. Auf diese neuen Gegebenheiten müssen sich die Kirchengemeinden derzeit einstellen. Keine leichte Aufgabe. Denn Kirche lebt von Gemeinschaft. Von den Treffen in Gruppen, in Gesprächskreisen, zum Gebet. All das fällt bis auf Weiteres notgedrungen aus, um die Menschen vor der Ausbreitung des Coronavirus zu bewahren. »Alles, was uns ausmacht und was uns selbstverständlich ist, ist von jetzt auf nachher weg«, beschreibt Stephan Sigloch, Pfarrer der evangelischen Kreuzkirchengemeinde, die Lage.

Jetzt gehe es darum, neue Formen zu finden, um die Menschen zu erreichen. Digitale Medien spielen auf einmal – wie auch in vielen Bereichen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens – eine viel größere Rolle. Manchmal sind es aber auch die kleinen Gesten, die Trost und Verbundenheit versprechen: wie etwa die Idee, allabendlich zur selben Zeit eine Kerze ins Fenster zu stellen. Oder zu singen.

Stephan Sigloch entzündet täglich in der Kreuzkirche eine Kerze. ARCHIV-FOTO: PRIVAT
Stephan Sigloch entzündet täglich in der Kreuzkirche eine Kerze. ARCHIV-FOTO: PRIVAT
Stephan Sigloch entzündet täglich in der Kreuzkirche eine Kerze. ARCHIV-FOTO: PRIVAT

Gut möglich, dass, wer derzeit um 19 Uhr durch Reutlingens Straßen geht, von Balkonen und in Gärten »Der Mond ist aufgegangen« hört: Die Evangelische Kirche in Deutschland will die Menschen über die Musik verbinden. Manche evangelische und katholische Kirchengemeinden haben auch eine Idee aus dem Odenwald aufgegriffen: Kerzen ins Fenster zu stellen – als »Licht der Hoffnung« in diesen schwierigen Zeiten, zum Abendläuten der Kirchen. Pfarrer Sigloch entzündet täglich in der Reutlinger Kreuzkirche die Osterkerze. Die Idee: Je mehr sich anschließen, um so heller scheint das »Licht der Hoffnung«. Er hat beobachtet, dass die Aktion wächst.

Auch die katholische Lukas-Gemeinde ermuntert dazu. Während um 19 Uhr die Gebetsglocke läutet, so verspricht das Seelsorgeteam, werde man für und mit der Gemeinde beten. Gebetsvorschläge und spirituelle Impulse werden jeden Tag neu auf der Homepage der Gemeinde bereitgestellt.

Kirchen geöffnet

Die Kirchen der Diözese Rottenburg-Stuttgart bleiben weiter geöffnet. Auch in der Lukas-Gemeinde (Heilig Geist, Bruder Klaus in Betzingen, St. Johannes in Ohmenhausen, St. Michael in Gönningen) können Einzelne dort verweilen oder eine Kerze anzünden. Die Seelsorger und das Sekretariat der mit fast 11 000 Gläubigen größten Gemeinde der Stadt bleiben für alle Anliegen per Telefon oder E-Mail erreichbar. Die Pfadfinder der Gemeinde bieten Älteren Hilfe vor allem beim Einkaufen an.

Für Roland Knäbler, Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde St. Wolfgang, ist »spürbar, dass die Versammlungen, Gruppen und Kreise fehlen, die einen festen Rhythmus haben«. Aufgabe der Kirchen sei, trotzdem die Kommunikation aufrechtzuerhalten. »Wir rufen von uns aus Menschen an, die wir kennen. Und schon nach dieser kurzen Zeit der Krise stellen wir fest, dass die Telefongespräche länger werden.« Seine Gesprächspartner treiben viele Fragen und Sorgen um: Wie geht es weiter mit dem Land? Was macht der Stillstand des öffentlichen Lebens mit der Wirtschaft – ganz reale Fragen.

Infos auf den Webseiten

Grundsätzlich offen fürs Gebet sind auch die Kirchen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg – natürlich unter Einhaltung der Regeln der Corona-Verordnung des Landes. Und die Reutlinger Citykirche, ein ökumenisches Projekt, bietet zum Beispiel diese Woche bis Samstag täglich von 14 bis 16 Uhr eine Art Sprechstunde. »Es gibt in dieser Zeit die Möglichkeit zum Einzelgespräch, für ein Gebet oder einen persönlichen Segen vor Ort. Dabei wird sorgsam auf den zurzeit gebotenen Mindestabstand geachtet«, teilt die Pfarrerin der Citykirche, Cornelia Eberle, mit. Wer nicht aus dem Haus kommt oder lieber auf Distanz gehen und trotzdem mit jemandem reden möchte, kann in dieser Zeit anrufen (Telefon 07121 372955). Auf den Webseiten der überregionalen Stellen gibt es aktuelle Informationen mit Tipps und Hinweisen für alle Beteiligten. »Die Kirchengemeinden kommen mit vielen Fragen auf uns zu«, berichtet Oliver Hoesch, Sprecher der Evangelischen Landeskirche.

Roland Knäbler, Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde St. Wolfgang. ARCHIV-FOTO: TRINKHAUS
Roland Knäbler, Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde St. Wolfgang. ARCHIV-FOTO: TRINKHAUS Foto: Gerlinde Trinkhaus
Roland Knäbler, Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde St. Wolfgang. ARCHIV-FOTO: TRINKHAUS
Foto: Gerlinde Trinkhaus

Schub für die Digitalisierung

In der Ausnahmesituation würden viele Gemeinden »kreativ«. Sie versuchen, die Gemeindemitglieder auf allen möglichen Wegen zu erreichen. Da werden Predigten ausgedruckt und in den Kirchen ausgelegt oder in die Briefkästen geworfen. Es gibt Telefondienste wie in der Citykirche, Newsletter und E-Mails. Und gestreamte Gottesdienste. In den Kirchen erfährt die Digitalisierung derzeit »einen Schub«, sagt Hoesch.

»Als Einzelkirchengemeinden sind wir noch nicht ganz up to date, was die digitalen Medien anbelangt«, schildert Pfarrer Knäbler. Das sei für die Kirchen ähnlich wie für die Schulen. »Die Krise hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass wir da einen Nachholbedarf haben. Wir müssen mehr machen, um ein Netz aufzubauen, in dem wir digital kommunizieren können.« Es werde sich zeigen, ob die Menschen dazu bereit sind.

Bei den jungen Mitgliedern, den Familien mit Kindern und auch bei den »fortschrittlichen Älteren« funktioniere das schon ganz gut. Sie melden sich zum Beispiel an für den Newsletter. Auch intern seien die Pfarrämter dabei, sich die nötige Infrastruktur zu schaffen, damit die Mitarbeiter sich per Videotelefonie verständigen können. Oder um Gruppen und Gesprächskreise online anbieten zu können. An die Einrichtung eines eigenen Onlinegottesdiensts will er sich bislang noch nicht machen, auch wenn er durchaus Bedarf sieht an solchen regionalen Angeboten von Pfarrern, die nah dran sind an den Menschen. »Dazu muss aber auch die Technik stimmen.« Knäbler verweist auf das entsprechende Angebot auf der Seite der Diözese.

Auch Stephan Sigloch überlässt die Online-Predigt vorerst den Profis: »Es ist die Frage, ob wir das selbst machen müssen. Es gibt ja den TV-Gottesdienst in den Öffentlich-Rechtlichen.« Für ihn geht es darum, Wege zu finden, das fehlende Miteinander auszugleichen. Die Aktion »Licht der Hoffnung« ist für ihn ein niederschwelliges Angebot, das sich aber noch mehr herumsprechen könnte. (GEA)

LAGEBERICHT

Das Reutlinger Landratsamt teilte am Dienstag 152 laborbestätigte Coronafälle und 2 Todesfälle im Landkreis Reutlingen mit. (eg)