ENGSTINGEN. Der globale Klimawandel ist nun auch in der Region Neckar-Alb zu spüren. Im vergangenen Jahr war es so warm und sonnig wie nie seit Messbeginn. In Engstingen werden seit seit 35 Jahren Klimadaten ermittelt, an anderen deutschen Stationen teils schon mehr als über 200 Jahre. Mit einer Mitteltemperatur von 9 Grad Celsius (normal 7,5 Grad) wurde erstmals die 9-Grad-Marke erreicht. Im Jahr 1994 wurde die 8-Grad-Jahresmarke zum ersten Mal überschritten. Vor genau 100 Jahren wurden auf der Mittleren Alb noch 6 Grad Celsius als Jahresmittel gemessen.
Das Jahr startete frühlingshaft mit zweistelligen Plusgraden. Dann folgten zwar viele Schneetage, dennoch war der Januar kein Hochwintermonat, da die Schneedecke meist nur gering war. Anfang Februar war kurz Wintersport möglich, dann dominierten Tiefs und sogar Sturmtiefs mit milder Atlantikluft. Die beiden Orkantiefs »Roxana« und »Zeynep« brausten mit Frontgewittern bis über 100 Stundenkilometern über die Albhochfläche. Der stürmische Spätwinter wurde im März von sogenannten Omega-Hochs abgelöst. Fast den ganzen Monat war es schwach windig, sonnig und sehr trocken. Eine Ausnahme gab es zur Monatsmitte, als der »Blutregen« fiel: Regen mit massiver Saharastaubkonzentration wie selten zuvor.
Dauer-Sonnenschein, dann Frost
Der April legte dann einen richtigen Kaltstart hin. Es gab 10 bis 15 Zentimter m Neuschnee, dazu gesellte sich für die Jahreszeit extreme Kälte hinzu. Mit –12,4 Grad Celsius wurde am 4. die kälteste Apriltemperatur seit Messbeginn 1987 gemessen. In der mittleren Dekade wurden dann aber mit 22,3 Grad am 13. schon frühsommerliche Temperaturen verzeichnet, ein typisch wetterwendischer Monat wie üblich. Die flächendeckende Löwenzahnblüte in rund 700 bis 750 Meter Seehöhe begann am 20., das war etwa eine Woche früher als normal. Der Wonnemonat Mai war mehr als drei Wochen lang sehr warm mit viel Sonnenschein und wenig Niederschlägen. Am Monatsende gab es dann zwei klare und kalte Nächte mit Bodenfrost bis zu –3 Grad.
Der Sommer begann mit reichlich Niederschlägen und vielen Sonnenstunden. Das ist typisch für ein subtropisches Wetter. Der Juni wurde schließlich der drittwärmste seit 1987. Eine Steigerung lieferte der Juli. Hoher Luftdruck dominierte mit einzelnen Warmluftschüben aus Süden. Bei fünf Hitzetagen mit der Jahreshöchsttemperatur von 33,8 Grad am 20. und 14 Sommertagen über 25 Grad kam man selbst auf der Albhochfläche des Öfteren ins Schwitzen. Da es nur wenige lokale Hitzegewitter gab, wurde es der trockenste Juli seit 39 Jahren. Mit 344 Stunden Sonne, also im Schnitt 11 Stunden jeden Tag, wurde ein neuer Sonnenscheinrekord aufgestellt.
Sonne und hochsommerliche Temperaturen bestimmten auch den Spätsommer. Einzelne Hitzewellen ließen die Temperaturen an 19 Tagen über die 25-Grad-Sommertagsmarke steigen, vom 3. bis 5. August wurden erneut 31 bis 33 Grad gemessen. Damit wurde es – nach 2003 – der zweitwärmste August auf der Mittleren Alb seit mehr als 100 Jahren.
Goldener Oktober
Der meteorologsche Sommer 2022 (Juni, Juli und August) war mit deutlichem Abstand der sonnigste seit Beginn der Messungen. Auf den Altweibersommer, der bis Mitte September andauerte, folgten viel Regen und erste Bodenfröste. In der letzten Septemberwoche dominierte windiges und regnerisches Herbstwetter. Nach zwei Regentagen startete der goldene Oktober mit viel Sonne und ungewöhnlicher Wärme. An vielen Tagen wurde nachmittags die 20-Grad-Marke übertroffen, am 29. mit fast 25 Grad ein Sommertag nur knapp verfehlt. Auch die Nächte waren für die fortgeschrittene Jahreszeit ungewöhnlich mild und blieben frostfrei. Am Ende stand ein neuer Wärmerekord fest: Es war der wärmste Oktober seit mehr als 100 Jahren auf der Mittleren Alb.
Im Spätherbstmonat November wechselten sich klare und neblige Nächte häufig ab, zahlreiche Tiefs brachten zudem reichliche Niederschläge. Auch der letzte Monat des Jahres begann mit spätherbstlich: viele graue Tage mit Rauhreifablagerungen. Der Winter gab erstmals vom 10. Dezember an ein Gastspiel. Die dünne Schneedecke von 5 bis 10 Zentimeter reichte aber nur für eingeschränkten Wintersport. Bei einer Starkfrostkältewelle in der mittleren Dekade wurde am 17. die Jahrestiefsttemperatur mit –18 Grad gemessen. Es gab dennoch keine weiße Weihnachten, weil zuvor intensives Tauwetter einsetzte. Das sogenannte Weihnachtstauwetter brachte zweistellige Plusgrade mit Wind und Regen. Innerhalb von nur sechs Tagen gab es einen Temperaturunterschied von 30 Grad.
51 Sommertage
Noch wärmer wurde es am letzten Tag des Jahres mit 16 Grad Celsius. Damit wurde der bisherige Dezemberrekord mit 16,2 Grad vom 24. Dezember 2012 nur knapp verfehlt. Der Jahreswechsel vollzog sich in einer extrem milden Nacht.
Mit einer mittleren Jahrestemperatur von 9 Grad (+1,5 Grad) war es das wärmste Jahr seit Beginn von Temperaturmessungen. Es folgen 2018 mit 8,9 Grad, 2020 mit 8,8 Grad und 2014 mit 8,7° Grad. 2022 gab es 51 Sommertage mit über 25 Grad (normal 28), zehn Hitzetage mit mehr als 30 Grad (normal 4), 120 Frosttage (normal 129), 30 Gewittertage (normal ebenfalls 30), 46 Nebeltage (normal 59), 54 Schneetage (normal 75).
Die Sonne schien im Jahr 2022 so oft und lang wie nie zuvor: 2 251 Stunden (normal 1 737). An 99 Tagen gab es mehr als zehn Stunden Sonne, sonnenscheinlos waren nur 41 Tage. Die Niederschläge summierten sich auf 949 Millimeter (normal 992). Trockenster Monat war der März mit 27 Millimeter Niederschlag, im Juni war es mit 124 Millimeter Regen am nassesten. (eg)