ENGSTINGEN. Will die Bundes- und Landespolitik die kleineren Kommunen loswerden? Den Eindruck hat Bürgermeister Mario Storz immer häufiger. »Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit«, zitierte er in seinem Jahresrückblick im Gemeinderat Kurt Schumacher, einen der Gründerväter der Bundesrepublik. An Realitätsbewusstsein scheint es bei den Gesetzgebern zunehmend zu hapern. Storz führte ein besonders skurriles Beispiel an: Er musste versichern, dass die Gemeinde Engstingen keine terroristische Vereinigung sei und solche auch nicht durch erhaltene Fördergelder unterstütze.
»Ich musste eine Erklärung abgeben, wonach die Gemeinde Engstingen keine terroristische Vereinigung darstellt «
Die alberne Erklärung musste er abgeben, um den Bundeszuschuss für eine E-Ladestation zu erhalten. Was den dafür verantwortlichen Sachbearbeiter bei der Formulierung geritten hat, ist nicht bekannt. Dass Regelungen und Vorschriften aber zunehmend absurd und weltfremd werden, erleben nicht nur Kommunen. Auch die Bauernproteste, die Anfang des Jahres in Engstingen besonders sichtbar wurden, resultierten aus Ärger über Bürokratiewahnsinn. In die Phalanx der Landwirte, Handwerker und Logistiker hätte sich die Verwaltung einreihen können, sagte Storz.
Als ein weiteres Beispiel für gut gedacht, aber schlecht gemacht, führte Storz die verpflichtende Ganztagsbetreuung an Grundschulen ab 2026 an. Rund zehn Millionen wird die Ertüchtigung der Grundschule in Kleinengstingen kosten, die Gemeinde hofft auf Zuschüsse von sieben Millionen Euro - womit immer noch drei Millionen an ihr hängen bleiben. Falls die Zuschüsse denn kommen, denn die Fördertöpfe sind hoffnungslos überzeichnet, nur etwa ein Drittel der notwendigen Mittel stehen in Baden-Württemberg zur Verfügung.
Chronische Unterfinanzierung
Die Anträge und Konzepte mussten im Hauruckverfahren über die Osterfeiertage erstellt werden - ein Tiefpunkt im Umgang von Bund und Land mit den Kommunen, findet Storz. Chronische Unterfinanzierung von Pflichtaufgaben, weniger Entwicklungsmöglichkeiten, die Schließung der Notfallpraxen - positive Rahmenbedingungen für den ländlichen Raum sähen anders aus. Auch weil durch den umstrittenen Zensus 2022 die Zahl der Engstinger um einhundert nach unten korrigiert wurde.
Obwohl das nachweislich nicht stimme, so Storz. Weniger Einwohner, weniger Geld aus dem Finanzausgleich und das nicht einmal, sondern für die kommenden Jahre: Storz' vielleicht etwas überspitzte Formulierung, dass der Druck auf die kleinen Gemeinden Schritt für Schritt gezielt erhöht werde, kann man nachvollziehen.
»Wir können feststellen, dass wir beim Thema Umweltschutz bereits auf einem richtig guten Weg sind«
Von Seiten der Politik schlecht vorbereitete Förderanträge, die immer noch laufende Umstellung des Kommunalen Rechnungswesens auf die Doppik, Kommunal- und anstehend Bundestagswahlen, aktuell die Grundsteuerreform: Ohne den Einsatz der Mitarbeiter im Rathaus über das übliche Maß hinaus, sei das nicht zu stemmen gewesen, lobte Storz sein Team. Denn das hat Engstingen weiter funktionieren lassen, im fast vergangenen Jahr wurde ja einiges erreicht, »im Rahmen unserer Mittel und Möglichkeiten«, so Storz.
Ziele beim Umweltschutz erreicht
Beim wichtigen Thema Umweltschutz sei einiges erreicht worden: Der Energiebericht und die Treibhausgasbilanz von Klimaschutzmanager Philipp Frenz steht, die Bürger wurden beteiligt. Anfang kommenden Jahres wird das Konzept im Gemeinderat beraten. Mit E-Car-Sharing, Rad-Servicestationen und dem Lastenradprojekt des Vereins Familienfreundlches Engstingen - von der Gemeinde gefördert - wurde spürbar und handfest etwas zur Verbesserung der CO2-Bilanz getan. Ebenso durch die Verpachtung des Dachs der Freibühlschule an die Energiegenossenschaft EENA für eine Photovoltaikanlage. Beim Ausbau der Windkraft seien durch die Verpachtung von Gemeindeflächen an die Windkraft Schonach die Hausaufgaben gemacht worden und auch der fertiggestellte Lärmaktionsplan fällt in die Kategorie Umweltschutz.
Über die Verpachtung der Flächen für den Windpark wurde noch im Jahr 2023 in einem Bürgerentscheid entschieden, ebenso in diesem Jahr über den Standort des zentralen Feuerwehrhauses zwischen Groß- und Kleinengstingen, es kommt nun in die Neue Ortsmitte. Die Bürgerinnen und Bürger würden sich für die Kommunalpolitik interessieren, würdigte der Bürgermeister die engagierten Beiträge und die hohen Wahlbeteiligungen.
Auf Interesse stießen auch die Debatten um den Beitritt zum Biosphärengebiet und über die Schließung des traditionsreichen Automuseums. Der Beitritt wurde im Gemeinderat einstimmig beschlossen. Dass der Bundesforst 20 der verlangten 50 Hektar Kernzone beisteuert, hatte den Entschluss erleichtert. Auch die Entscheidung, das Museum zu schließen, habe man sich nicht leicht gemacht. Letztlich sei sie aber wegen des Zustands des Gebäudes nicht mehr zu verhindern gewesen.
»Wir werden künftig noch mehr das Machbare vom Wünschenswerten trennen müssen«
"Wenn ich meinen Rückblick schreibe, bin ich immer wieder überrascht, wie viele Themen uns beschäftigt haben", schloss Storz. Das werde sich nicht ändern: Großprojekte wie die Planung der Regionalstadtbahn, die Ganztagsbetreuung an Grundschulen und die Schaffung weiterer Kindertagesplätze, der Neubau des Feuerwehrhauses und die Planung der Neuen Ortsmitte, die Umsetzung des Lärmaktionsplans und des Radwegekonzepts stehen an - Bürgermeister, Verwaltung und Gemeinderat werden die Themen nicht ausgehen. »Wir werden künftig noch mehr das Machbare vom Wünschenswerten trennen müssen«, warnte der Bürgermeister. (GEA)